Ein Gastartikel von Katrin Hilger.
Mehr Überwachung – mehr Sicherheit? Ein Trugschluss
Da hat also das ARD Morgenmagazin 1.008 Leute zum Thema Überwachung befragen lassen: und prompt waren 81 Prozent der Deutschen dafür. Für mehr Kameras, mehr Kontrollen, mehr Polizeipräsenz. Wie die genaue Fragestellung bei dieser Umfrage ausgesehen haben mag, dass ein derartig einseitiges Bild herauskommt, lassen wir mal außen vor. Denn auch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) und die konservative Spinger-Presse waren gleich dabei: Mehr Überwachung!
- 1. Wie lautete die genaue Fragestellung?
- 2. Wie wurde befragt (Telefon, Interview, Internet etc.)?
- 3. Welche Daten (Alter, Geschlecht etc.) wurden noch abgefragt?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Grund war eine glücklicherweise nicht detonierte Bombe am Bonner Hauptbahnhof, die schnell als mögliches Werk islamistisch-salafistischer, radikaler Kreise ausgemacht wurde. Blöd nur: Die Täter hatten die Bombe vor einer Kamera platziert, der Abschreckungseffekt, den der Innenminister immer so begeistert preist, war nicht gegeben. Genauso wenig die tolle Aufklärungshilfe. Denn die Kamera am Bonner Hauptbahnhof hatte wohl gefilmt, aufgezeichnet wurde die Tat – angeblich aus Kostengründen – jedoch nicht. Verwertbare Daten kamen erst von der Kamera eines benachbarten Fast-Food-Restaurants. Bahnchef Grube will nachbessern lassen, und bald nehmen die Kameras an Bahnhöfen auch auf. Sicher ist sicher.
Ja, Kamera-Aufzeichnungen mögen die Fahndung erleichtern, aber Taten verhindern sie nicht. Kein besoffener Schläger im Blutrausch, kein Selbstmordattentäter, kein Terrorist hat je gesagt “Huch, eine Kamera, da lasse ich das lieber.” Das zeigen die Ereignisse auf dem Berliner Alexanderplatz, in U-Bahnen oder am Bonner Bahnhof in aller Deutlichkeit. Die rechten Terroristen der NSU konnten – trotz aller Kameras – einige Banken ausrauben, ohne je geschnappt zu werden. Dass die Täter womöglich leichter gefunden werden, hilft den Opfern hinterher meist auch wenig.
Dafür gehen mit der Überwachung allerorten diverse Risiken und Nebenwirkungen einher. Ein Klima des Misstrauens entsteht. Zivilcourage wird noch seltener, weil sich die Zeugen drauf verlassen, dass Papa Staat ja zuguckt und deswegen sie nicht gefordert sind zu helfen. Überhaupt: Wer schaut sich denn die ganzen Videobilder an? Bei der Polizei wird Personal abgebaut, niemand hat Zeit, zeitnah auf die Überwachung zu reagieren, es bleibt nur die erleichterte Fahndung – nachdem ein Verbrechen geschehen ist. Und: Durch die immer bessere Gesichtserkennung im Internet ist es ein Leichtes, Daten aus öffentlichen Kameras mit Internetprofilen abzugleichen. So entstehen lückenlose Überwachungsprofile, das gesamte soziale Umfeld eines „Verdächtigen“ kann durchleuchtet werden. Da gerät jeder mal schnell ins Visier. Moment, nicht unbedingt jeder: Bevorzugt Menschen, die irgendwie “ausländisch aussehen“, werden von Polizeistreifen angehalten. Also meist Menschen mit Migrationshintergrund, dunklerer Haut, Bart. Sie müssen derzeit damit rechnen, jederzeit angehalten und überprüft zu werden, ihr Gepäck wird durchsucht, sie werden gefilzt. Wie schrecklich das ist und wie entwürdigend, weiß jeder, der am Flughafen durch die Sicherheitskontrolle muss. Und wenn man sich vorstellt, man müsste damit täglich sogar auf dem Weg in die Arbeit damit rechnen… Die Piraten lehnen das “Racial Profiling“, wie es in Polizeikreisen genannt wird, ganz entschieden ab. Und ist erst einmal die Videoüberwachung installiert, was kommt dann? Nacktscanner am Flughafen, warum nicht auch auf Bahnhöfen, in öffentlichen Gebäuden? Brauchen wir mehr Überwachung an Schulen, im Arbeitsamt wurden sie ja auch gefordert, um die Angestellten vor Übergriffen zu schützen. Taxen sollen mit Kameras ausgestattet werden.
Es stellt sich die Frage, was gibt es sonst für Möglichkeiten, Deutschland sicherer zu machen. Und da muss die Politik an die Ursachen ran, das ist langwieriger, schwieriger und sicher teurer als Überwachung, aber möglicherweise nützlicher. Denn was wirklich wichtig ist, ist allen Mitbürgern von klein an die Teilhabe anzubieten, niemanden zu behandeln wie Bürger zweiter Klasse. Ausgrenzung und Vernachlässigung treiben Jugendliche in die Arme von Extremisten. Wenn die Nazis im Osten die Jugendheime betreiben, Freizeitangebote anbieten, die Konzerte organisieren, dann ist auch deren Ideologie nicht weit. Auf der anderen Seite werden Jugendliche mit Migrationshintergrund von konservativen islamischen Predigern fanatisiert und auf deren Werte eingeschworen. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir als Staat Alternativen anbieten, Wege zeigen, für eine gute Bildung sorgen und alle Menschen gleich behandeln – einfach niemanden zurücklassen. Das ist jedenfalls der Weg, den die Piraten vorschlagen.