
Es gibt Berufsgruppen, denen alles zugetraut wird. Minister leisten (sich) so einiges, die Pharma-Industrie zeigt durchaus auch Mitnahmequalitäten. Trotzdem staunte man nicht schlecht, als Mitte Dezember ein IT-Mitarbeiter entdeckt wurde, der vertrauliche Unterlagen aus dem Gesundheitsministerium an Apotheker-Lobbyisten weiter gab.
Im Netz machte die Nachricht schnell die Runde, auf Twitter gab es die vertrauten Reaktionen: Witze und Spott, dazu die Vermutung „Der Name Apotheken-Umschau bekäme so eine ganz neue Bedeutung“. Nach zwei Tagen Aufregung flaute die Erregungswelle wieder ab. Für drei Tage gibt ein Datenleck bei einem Bundesministerium offensichtlich nicht genug her.
Mitte Januar war die Sache mit dem enttarnten Apothekerspion schon lange vergessen. Nur der Verlag der erwähnten Apotheken-Umschau grollte wohl noch und beauftragte einen Anwalt, bei Twitter vorstellig zu werden. Gelöscht werden sollen insgesamt 37 Tweets vom 11. und 12. Dezember.
In dem Schreiben des Anwalts, das der Flaschenpost vorliegt, wird Twitter gebeten, die dem Schreiben angefügten Tweets wegen unwahrer Behauptungen zu löschen.
Dem Rotstift zum Opfer fallen soll der Tweet „Apotheker-Lobby spionierte im Gesundheitsministerium“ – Der Name „Apotheken-Umschau“ bekommt so eine ganz neue Bedeutung! samt aller Retweets, aber auch andere Äußerungen, beispielsweise vom Landtagsabgeordneten Christopher Lauer mit seiner Erkenntnis „Ich hab doch immer gesagt, dass die Apotheken Umschau eine gute Investigativ-Abteilung hat“.
Offensichtlich hat die Apotheken-Umschau tatsächlich eine gute Investigativ-Abteilung. Denn wer sonst sollte die alten Tweets im Internet entdeckt haben? Wie auch immer: Mit Hilfe eines Anwalts holte der Verlag den vergessenen Skandal erneut an die Öffentlichkeit. Aber während der Begriff „Apotheken-Umschau“ im Dezember nur augenzwinkernd benutzt wurde, ergoss sich nun, als die Sache bekannt wurde, Spott und Häme über das Blatt selbst. Manche sprachen von der „Rentner-Bravo“, andere schrieben, dass sie die Apotheken-Umschau nur wegen des Sportteils lesen würden. Gesundheitstipps gab es dazu: „Wenn man seinen Aluhut mit der #Apothekenumschau polstert, drückt er nicht so, während man sich vor den Chemtrails versteckt!“
Der Verlag erklärte auf Nachfrage, dass sich die satirischen Beiträge vom Dezember verselbständigt hätten und zum Teil unwahre Behauptungen enthielten. Allerdings legt der Verlag auch Wert auf die Feststellung, dass keine Abmahnungen angedroht wurden und auch keine weiteren rechtlichen Schritte wegen der Tweets und der Retweets geplant seien.
In einem Artikel im Magazin der Süddeutschen Zeitung (SZ) werden die Redakteure der Apotheken-Umschau als öffentlichkeitsscheu bezeichnet. Als Grund dafür macht die SZ den Spott aus, den die regelmäßig wiederkehrenden Artikel erzeugen. Es mag sein, dass die Neuerung „Auf Twitter werden Witzchen über uns gemacht“ dazu führte, mit Anwaltshilfe alte Tweets löschen zu wollen. Dass die als „streitlustig“ bekannten Anwälte des Verlags jetzt den Streisand-Effekt kennen, nach dem, wie Wikipedia schreibt „der Versuch, eine Information zu unterdrücken, genau das Gegenteil erreicht, nämlich dass die Information besonders bekannt gemacht wird“, darf als gesichert gelten. Der Schaden ist wohl nicht wieder gut zu machen. Oder – wie es auf Twitter stand – „Ob ich jemals wieder ernst bleiben kann, wenn mir die Apotheken Umschau angeboten wird?“
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.