Nicht erst seit Frau Merkel Kanzlerin wurde, verstehen sich Staat und Wirtschaft als Einheit. Das gab es schon mit Schröder (Genosse der Bosse), unter Kohl (CDU-Spendenaffäre), und auch davor. In den letzten Jahren wurde diese Einheit jedoch zunehmend unverhohlener zur Schau gestellt. Unter Kohl blühte die Korruption noch im verborgenen (schwarze Koffer, heimliche Luxusreisen, Männerrunden mit Ehrenworten, die über dem Rechtsstaat standen), während heute der Kaufpreis für Gesetze in der Spendenrubrik des Bundesanzeigers nachzulesen ist und Paragraphen per Copy and Paste aus Lobbyvorlagen heraus übernommen werden. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Unternehmen, die sich bisher auf den Bau von Straßen, Tunneln und Gebäuden beschränkte, wurde bis ins Kanzleramt ausgeweitet. Die “Economy Political Partnership” wurde zur Staatsform erhoben.
Die Hochzeit von Schwarz-Gelb war ein rauschendes Fest mit Ansage. Doch nach den Flitterwochen kam der Herbst der Entscheidungen. Und plötzliche wurde die Traumverbindung der Koalitionäre schnell zur Vernunftehe. Gegenseitiges Nachgeben und abnicken, um im Gegenzug Akzeptanz für die eigenen Gesetze zu schaffen. Platz für zukunftsweisende Politik blieb da keine. Verabschiedet wurde nur das, was Lobbyisten oder die einflussreichen Vordenker der Parteien mit Nachdruck forderten.
Den Bürger scherte das nicht, solange die Gehälter stiegen. “Korruption gibt es schließlich überall” dachte sich der deutsche Michel, “und im internationalen Vergleich steht Deutschland ja ganz ordentlich da”. Doch mit der Zeit agierten Wirtschaftslenker und die Gewählten des Staates immer frecher miteinander. Sie wurden ihrer Sache zu sicher, wollten mehr und mehr und mehr – und sahen sich als gemeinsame Erben des Landes, nicht mehr als Volksvertreter oder Arbeitgeber. Zeitgleich wurde der Kuchen, den es zu verteilen galt, immer kleiner. Die Löhne stiegen kaum noch, doch trotz leerer Staatskassen wurden die Unternehmen steuerlich entlastet. Wettgemacht wurde dies, indem die Bevölkerung dazu gebracht wurde mehr Geld auszugeben. Durch Umweltplaketten fand so mancher Neuwagen einen Käufer, die Haushaltsabgabe presste den letzten Fernsehverweigerern monatlich 18 Euro ab, die Energiewende ermöglichte es wirtschaftliche Risiken der Stromversorger auf die Kunden abzuwälzen. Wäre die Wasserwende, die Privatisierung kommunaler Wasserwerke, nicht durch massive Proteste gleich am Anfang gestoppt worden, hätte sich hier ein weiterer Topf mit garantierten Einnahmen etablieren lassen.
Die Konservativen wurden bisher gerne gewählt, denn die Sozis können bekanntlich nicht mit Geld umgehen. Doch als die Konservativen das Geld ihrer Wähler gänzlich ohne schlechtes Gewissen verpulverten bekamen die Deutschen erste Zweifel. Lohnerhöhungen blieben aus, der Arbeitsmarkt wurde rauer, private Vermögen schmolzen dahin. Dazu kam eine Art von Werteverlust, der nahtlos in den Verlust der Glaubwürdigkeit überging: standen die Konservativen früher für den Erhalt von Werten, erklärten sie nun den DAX zur Leitkulturt. Dazu kam, dass sämtliche Parteien den Bürger zunehmend als unsicheren Kantonisten wahrnahmen, der zu überwachen sei. Plötzlich gehörte die Erkentniss, dass schliesslich jeder über Nacht Terrorist, Steuerhinterzieher, Raubkopierer oder Konsumverweigerer werden könne, zur Staatsraison. Als in Stuttgart die Wasserwerfer rollten, um den renitenten Widerstand weg zu kärchern, wurde die CDU in der nächsten Wahl weggefegt und durch die Grünen ersetzt, bei denen noch am ehsten Werte und Moral zu erkennen waren.
Nun rückt die nächste Bundestagswahl näher. Damit kommt die Regierung von der Phase der maximalen Grausamkeit in der Legislaturphase in den kurzen Zeitabschitt, der Geschenke an das Wahlvolk bringt. In dieser Zeit ist alles denkbar. Die FDP war schon immer für den Mindestlohn, die CDU findet die Ehe für alle einfach dufte! Die Koalition erinnert sich, dass DAX-Werte kein Stimmrecht haben und umgarnen den Wähler.
Relativ ungerührt betrachten Deutschlands Unternehmen die kommende Wahl. Denn erstens stehen die Chancen der CDU auf Wiederwahl nicht schlecht, und dazu unterschrieb die Schwarz-Gelb Koalition seit 2009 lieber Verträge statt Gesetze zu erlassen. Denn während Gesetze geändert werden können, überdauern Verträge auch Regierungswechsel. Zwar fiel Frau Merkel selbst in die Atomausstiegsgrube, die sie einer möglichen Folgeregierung grub, in Stuttgart ging das Kalkül jedoch auf: Nicht einmal Grün-Rot kommt aus den CDU-Verträgen zum Neubau des Bahnhofs raus.
Schwarz-Gelb wollte mit der Wirtschaft ins Bett, doch der Wähler sollte den Unterhalt zahlen. Gut möglich, dass die Rechnung dafür im September präsentiert wird. Wir Piraten wären gut beraten, den Wählern zu vermitteln was sie von uns erwarten können, und wo wir uns widersetzen werden. Ehrliche Politiker machen keine Versprechen, die sie nicht halten können. Da wir uns bei dieser Wahl um Oppositionssitze bewerben, müssen wir nicht viele Versprechen machen. Nur unsere Grenzen deutlich aufzeigen. Und jedem einzelnen Wähler deutlich machen, dass er für uns im Mittelpunkt steht. Sonst nichts.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.