Wenn enttäuschtes Vertrauen nach einer Wahl einzig in gebrochenen Wahlversprechen und Korruptionsvorwürfen bestünde, wäre die Welt fast in Ordnung. Doch die, die vor dem Wahlsonntag noch um Vertrauen baten, entwickeln nach Amtsantritt ein tiefes Misstrauen gegen ihre Wähler. Man muss von einem gestörten Vertrauensverhältnis sprechen, denn anderes sind die Kameras, die Datenbanken und all die Befugnisse für die Polizei nicht mehr zu erklären.
Nun wurde im Bundestag unter Billigung des Bundesrates die Bestandsdatenabfrage durchgewunken. Ein Machwerk in Paragraphen, das es der Polizei erlaubt, bei Providern umfassende Informationen über deren Kunden, also die Bürger, also deren Wähler, also uns, einzuholen. Mittelpunkt des Interesses ist das Mobiltelefon, das schon beim Verdacht auf Ordnungswidrigkeiten einer „Telefondurchsuchung“ unterworfen werden darf. So unbedeutend so manche Ordnungswidrigkeit erscheinen mag, so dramatisch ist die Verletzung der Privatsphäre, wenn andere durch den Speicher des Telefons stöbern. Mit wem wurde telefoniert? Wann wurde telefoniert? Natürlich können im Adressbuch stadtbekannte Drogendealer stehen, und das Telefonat während der Autofahrt Aufschluss über einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung geben. Aber ist zur Klärung derartiger Sachverhalte der Blick in das Telefon tatsächlich moralisch gerechtfertigt, oder schlicht unanständig?
Die Politik wirbt um Vertrauen, misstraut dem Bürger im Gegenzug aber so sehr, dass er im wahrsten Sinn der Worte auf Schritt und Tritt unter Beobachtung zu halten ist. Die Bitte um Vertrauen, die zu wahlkampftaktischen Zwecken ausgesprochen wird, erfährt keinen Akt der Ehrlichkeit oder der Offenheit. Transparenz sucht man oft vergeblich, „der ehrliche Politiker“ ist zwar Subjekt einiger Witze, im Politikbetrieb aber selten anzutreffen. Wie ungleich die Situation verteilt ist, erkannt man daran, dass ein EU-Gesetz gegen Bestechung von Abgeordneten, der berühmt-berüchtige §108e, in Deutschland noch immer nicht umgesetzt ist. Ganz legal können sich Parlamentarier beliebige Geldmengen zustecken lassen. Dem Bürger und Wähler dagegen wird allerorten unehrlicher Umgang mit Geld vorgeworfen. In manchen EU-Staaten gibt es seit einiger Zeit eine Begrenzung der zulässigen Bargeldsumme. Größere Transaktionen müssen dort über Banken abgewickelt werden. Womit Geldströme, die den Wert eines Fernsehers übersteigen, nachvollziehbar werden.
Soweit ist es in Deutschland noch nicht, auch wenn die Forderung auf Abschaffung von Bargeld von deutschen Überwachungshardlinern bereits ins Gespräch gebracht wurde. Doch der Zugriff auf die Historie der genutzten IP-Adressen, auf PIN und vor allem die PUK des Telefons sind ein Horrorszenario, das jeden schon heute betrifft. Dabei machen PIN und PUK alleine die Ermittlungsbehörden nicht glücklich. Denn moderne Mobiltelefone besitzen den doppelten Zugangsschutz: Die PIN schützt die SIM-Karte vor unberechtigten Zugriffen (die Polizei besitzt seit dieser Woche ein gleichberechtigtes Zugriffsrecht auf jedes Mobiltelefon), ein Passwort oder eine Wischgeste schützt das, was das Smartphone ausmacht: Die privaten oder geschäftlichen E-Mails, die Mitteilungen auf Twitter und Facebook, das Adressbuch und den Terminkalender. All dies sind schützenswerte Daten, für die in früheren Zeiten sehr hohe Hürden für den Zugriff durch Behörden galten. Heute genügt eine ignorierte rote Fußgängerampel, um all diese Daten in die Hand eines Polizisten zu geben.
Im Film „Matrix“ zeigt Morpheus Neo, was wir Menschen für die Maschinenwesen sind: Nicht mehr als eine Batterie. Die Bürger Deutschlands sind für viele Politiker nicht mehr als ein Kreuz auf dem Wahlschein, das in regelmäßigen Abständen gemalt werden muss. Ist diese Pflicht erfüllt, greift die Geringschätzung, ja die Respektlosigkeit vor der Privatsphäre des Bürgers wieder um sich.
Wie weit der Respekt vor den Bürgern inzwischen schwand, zeigt sich an der erschreckend hohen Anzahl behördlicher Auskunftsersuchen von Ermittlungsbehörden gegenüber Internet-, Telefon-, E-Mailprovidern sowie Suchmaschinen. Vor allem amerikanische Provider machen diese Zahlen regelmäßig öffentlich. Und offenbaren damit, dass deutsche Behörden sehr neugierig sind – und bekommen, wonach sie fragen! Man stelle sich vor, dass jede einzelne dieser Abfragen eine Hausdurchsuchung wäre, bei der Adressbücher und Terminkalender beschlagnahmt werden sollen. Durch unsere Straßen führen ständig Polizeitransporter und die Treppenhäuser wären mit Polizisten verstopft, die kistenweise Aktenordner aus den Wohnungen tragen. Mit der Vereinfachung und Automatisierung solcher Abfragen auf einen Mausklick scheinen alle Hemmungen entfallen zu sein, dies auch zu tun. Offensichtlich wird jedem Bürger wirklich alles zugetraut – was es aufzuklären gilt. Gerne indem das Tagebuch ermittlungstechnisch ausgewertet wird. Alleine schon die Möglichkeit, dass die Inhalte der Kurznachrichten, die Positionsdaten oder die Liste der aufgerufenen Webseiten in die Hände der Polizei fallen können, lässt eine Schere im Kopf entstehen, die das Ende des freien Willen der Menschen darstellt. Wer traut sich noch, einen Dritten in einer SMS mit Kraftausdrücken zu bedenken, wenn diese SMS später kopiert werden könnte? Wer traut sich noch zu schreiben „er sei spät dran“, wenn dies später als Indiz für eine ignorierte Ampel gelten kann? Wer traut sich noch zärtliche Worte an den Partner zu schreiben, wenn diese Worte durch einen dummen Zufall später in Polizeidatenbanken kopiert werden?
Das Gesetz zur Bestandsdatenabfrage macht das Mobiltelefon endgültig zu einer Wanze, die jeder Bürger aus eigenen Mitteln finanziert und ständig bei sich trägt. Eine Regierung, die nicht nur um Vertrauen bittet, sondern dieses auch den Bürgern entgegen bringt, würde solche Gesetze nicht erlassen. Eine Opposition, die den Bürgern verspricht, ihn zu respektieren, würde gegen ein solches Gesetz kämpfen. Es wird Zeit, dass eine Partei in den Bundestag zieht, die nicht überall potentielle Verbrecher sieht. Sondern Menschen.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.