Das Interview mit Vea Kaiser fand einigen Widerhall. Nicht jeder stimmt Veas Meinung, dass wildes Runterladen von E-Books die Autoren versklavt, zu. Paul G. aus S. am A. ist im Gegenteil davon überzeugt, dass die Buchbranche selbst schuld ist, wenn Leser sich am Verlag vorbei bedienen. Seine E-Books hat er nicht gekauft. Wir unterhielten uns mit ihm über die Beweggründe.
Flaschenpost: Paul, wann hast du dein letztes E-Book gekauft?
Paul: Ich habe mir noch nie ein E-Book gekauft. Ich habe mir vor einigen Monaten einige wissenschaftliche Artikel gekauft, auf die meine Universität keinen Zugriff hatte. Aber normale Unterhaltungsliteratur noch nie.
Flaschenpost: Woher stammen die Bücher auf deinem Kindle und dem SONY-Reader?
Paul: Normalerweise suche ich meine Bücher auf den üblichen Webseiten. Manche auch im Usenet. Früher habe ich auch selber Bücher gescannt, aber dazu finde ich keine Zeit mehr. Auch sind fast alle aktuellen Bestseller inzwischen ohne großen Aufwand online zu finden und daher muss man kaum mehr selber scannen und proofen.
Flaschenpost: Der Verlag, der Handel und der Autor gehen dabei aber leer aus.
Paul: Daher denke ich, dass die Buchindustrie in den nächsten Jahren auch immer mehr Probleme bekommen wird, wenn sie nicht gegensteuert. Heute ist es für jeden, der eine Suchmaschine benutzen kann, möglich, innerhalb weniger Minuten das gewünschte Buch kostenlos zu finden. Aber vor allem der Autor, der Lektor und die anderen Personen, die für die Entstehung eines Buches notwendig sind, müssen irgendwie ein Auskommen haben. Das ist auch den Leuten klar, die Bücher oder andere Medien herunterladen.
Flaschenpost: Du könntest dir den Kauf der E-Books gut leisten. Warum lädst du sie lieber aus den dunklen Ecken des Internets runter?
Paul: Das ist richtig. Selbst bei meinem Buchdurchsatz von 3-5 Werken pro Monat würde mich das nicht vor allzu große Probleme stellen, wobei mir 9 Euro für eine Datei auch sehr viel erscheinen. Bei mir spielen zwei Faktoren eine Rolle: Zum einen bin ich in gewisser Weise so sozialisiert. Ich lade Medien seit über 15 Jahren aus dem Internet, also über die Hälfte meines Lebens und für mich ist es daher einfach „normal“. Wenn ich ein Buch, etwa für mein Studium, brauche, dann schaue ich als allererstes im Internet. Nur wenn ich es nirgendwo finden sollte, dann schaue ich, wo ich es kaufen kann. Und da kommt dann der zweite Faktor ins Spiel:
Der Zugang zu digitalen Medien ist immer noch zu kompliziert, zu eingeschränkt und zu teuer. Ich lese auch gerne Bücher, die nicht auf der Spiegel-Bestseller-Liste zu finden sind, am liebsten auch in Originalsprache. Nun kann ich als Deutscher nicht oder nur mit sehr viel Aufwand über ausländische Portale, wie z.B. amazon.co.uk, digitale Medien erwerben. Diese Beschränkungen ist nichts anderes als „Red Tape“ (Anmerkung der Redaktion: Verwaltungsbürokratie), um die Kunden an die überhöhten Preise in Deutschland zu fesseln. Wenn ich also meinen nächsten „Groschenroman“ auf Englisch suche, sind die „dunklen Ecken“ die deutlich kundenfreundlicheren.
Sollte ich doch eine Datei erwerben, so geht die Gängelung weiter. Ich brauche eine spezielle Software, die mit dem DRM-Schutz umgehen kann. Ähnlich wie schon bei den MP3s vor einigen Jahren ist der ehrliche Kunde der Dumme. Ich verstehe nicht, wieso es der Buchindustrie so schwer fällt, Folgendes zu erkennen: Wer kopieren möchte, der wird das immer können. DRM wird dies nicht verhindern, aber es macht den Käufern das Leben schwer und für mich als Benutzer eines alternativen Betriebssystems ist es natürlich gänzlich unmöglich.
Als letztes sollte man sich auch vor Augen halten, dass man anders als bei einem physikalischen Buch bei einer DRM geschützten Datei nur die Lizenz für das Lesen der Datei kauft. Ich kann das Buch nicht ausleihen, nicht weiterverkaufen und sollte der Herausgeber der Lizenz insolvent gehen ist der Zugriff verloren. Den gleichen Preis für ein eingeschränktes Produkt zu verlangen ist in meinen Augen auch nicht der richtige Weg.
Flaschenpost: Was müsste ein E-Book bieten damit du es kaufen würdest?
Paul: Wenn ich ein E-Book für einen angemessenen Preis und ohne Einschränkungen kaufen könnte, so würde ich das tun. Also als erstes muss der DRM Schutz der bei fast allen E-Books verwendet werden wegfallen. Insgesamt ist es nötig, dass die „legalen“ Anbieter den gleichen Service liefern wie „illegale“. Dann müsste sich auch etwas an den Preisen tun. Auch wenn ich wie vorher schon angesprochen mir genug Bücher leisten könnte, finde ich einen Preis der der gebotenen Leistung angemessen ist wichtig. Gerade ältere Bücher die vielleicht in Papierform nicht mehr erhältlich sind, werden zu weltfremden Preisen angeboten. Die Werke liegen bereits in digitaler Form vor, Lektorat und ähnliche Arbeitskosten sind ebenfalls schon erledigt. Wieso sollte ich dann noch fast zehn Euro zahlen? Meine persönliche Grenze währen drei bis fünf Euro für ältere Bücher und sieben Euro für aktuelle Werke, aber das muss jeder selber für sich entscheiden.
Flaschenpost: Würden dich härtere Strafen abschrecken?
Paul: Ich denke nicht das noch härtere Strafen irgendeinen Effekt haben. Das einzige was in den letzten Jahren durch die Abmahnungen erreicht wurde ist eine Professionalisierung der Downloader. Während man früher alles über unsichere P2P Netze getauscht hatte, so kommen heute kostenpflichtige VPN Zugänge, One-Click Hoster oder das Usenet zum Zug. Das ist zwar billiger als kaufen, aber der Autor geht weiter leer aus. Dies zeigt aber, dass der Kunde prinzipiell bereit ist zu zahlen, nur das Angebot passt noch nicht.
Flaschenpost: Hast du Mitleid mit den Autoren und Verlagen, die gänzlich leer ausgehen?
Paul: Früher konnte man sich als Autor zurückziehen und das fertige Manuskript an den Lektor beziehungsweise den Verlag geben und die haben sich um den Rest gekümmert. Ich denke heute ist das nicht mehr so möglich. Als Autor muss man sich als Einpersonenunternehmen sehen. Das fängt beim Marketing an, Fanseiten einbinden oder erst einmal aufbauen. Frühzeitig die Leserschaft in den Schaffensprozess einbinden und so eine Zusammengehörigkeit erschaffen, die zu einer treuen und zahlenden Leserschaft führt. Bei der Finanzierung kann man auf alternative Modelle umsteigen. Ich denke, dass sich gerade Kickstarter für kreative Produkte anbietet. Auch Events wie Lesungen und Buchvorstellungen werden immer wichtiger. Das Autorenleben wird sicherlich schwieriger und anstrengender, aber anders sehe ich nicht wie Autoren weiterhin von ihrer Arbeit leben sollen. Für die Verlage heißt es aber auch Kosten sparen. Das ist zwar sicherlich nicht einfach, aber auch hier muss man sich der veränderten Medienlandschaft anpassen.
Mitleid habe ich nur begrenzt. Das sich Arbeitsbedingungen verändern betrifft ja alle Lebensbereich, nicht nur die Buchindustrie. Diese Veränderung bevorzugen vor allem kleine und freie Autoren, die nicht von ihren Werken leben müssen und das ist nun mal die Mehrheit der Autoren. Ich denke, dass die Vorteile die die neue Technologie mit sich bringen, wie der kostengünstige Zugriff auf Medien und das kostengünstige Veröffentlichen von Werken, die Nachteile aufwiegen.
Flaschenpost: Welches Buch wirst du als nächstes lesen?
Paul: Als nächstes werde ich „1812 – Napoleons Feldzug in Russland“ von Adam Zamoyski lesen. Im Original würde es 25 Euro kosten und ist natürlich DRM geschützt. In UK wäre das gleiche Buch in Englisch für etwa 8 Euro zu haben. Aber auch dort nur mit DRM. Im Internet gibt es das Buch natürlich ohne DRM und in beiden Sprachen.
Flaschenpost: Vielen Dank für das Gespräch.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.