Das Hochwasserhilfenetzwerk, entstand auf Initiative eines Basispiraten. Auf den Seiten des Hochwasserhilfenetzwerk fanden und finden noch immer Hochwassergeschädigte und Helfer zusammen.
3. Juni, Sonntagabend. Die ersten Hochwassermeldungen, welche erahnen lassen, dass dieses Hochwasser richtig schlimm wird, laufen über die klassischen Medien. Ich sitze in München vor dem TV und sehe den Brennpunkt. Zusätzlich öffne ich meinen Nachrichtenkanal im Internet und beginne die Not der Menschen hautnah mitzuerleben. Das ist neu. Das letzte Hochwasser 2002 fand noch nicht im Internet statt. Nun ticken Fotos von vollgelaufenen Kellern, überspülten Straßen und geöffneten Wehren im Sekundentakt über den Bildschirm. Zudem meldet Twitter, dass viele Piraten meiner Timeline schon in den betroffenen Regionen aktiv sind. Der Bezirksvorstand von Oberbayern, Ronald Jungnickel, ist mit dem THW in Rosenheim, der Bezirksvorstand von Niederbayern, Christian Reidel, räumt in Passau die Keller der Nachbarn aus.
Das erste Hochwasser im Internetzeitalter! Welche Möglichkeiten bietet das, hämmert es in meinem Kopf beim Verfolgen meiner Timeline. Ein weiteres Phänomen des Internetzes bringt mich in dieser Frage weiter: Im Netz gibt es keine nationalstaatlichen Grenzen. In den klassischen Medien noch unerwähnt, zeigt sich im Netz schnell, dass das Hochwasser auch unsere Nachbarn in Österreich heftig erwischt hat und zwar früher als uns. In Österreich organisieren sie sich über Facebook.
Der Weg zur Idee: Auf der Seite www.facebook.com/InfoseiteHochwasser2013Osterreich boten schon über 80.000 Menschen ihre Hilfe den Opfern an, sei es nun Schlafplätze oder einfach nur Babynahrung. An oberster Stelle ist ein Beitrag fixiert, der auf ein Portal verweist, wo diese Hilfsangebote nach Regionen geordnet werden. OK, das scheint ein Problem bei Facebook zu sein. Meine Suche in Deutschland ergibt, dass es zwar schon die ersten Facebookseiten z.B. in Passau gibt, ein Portal die Hilfe nach Regionen zu sortieren aber noch nicht vorhanden ist. Eine Rückfrage unter meinen Followern ergab, dass die Programmierung eines eigenen Portals mindestens 72h in Anspruch nehme, also zu spät kommt. Die Lösung dieses Problems findet sich wieder in einem Grundsatz der Piratenpartei: Teilen ist das neue Haben! Wenn die Österreicher schon ein Portal haben, fragen wir sie doch, ob sie das nicht mit uns teilen wollen. Binnen 10 Minuten hatten sie auf Anfrage die Kategorie „Hilfe in Bayern“ auf ihrer Seite hinzugefügt und zugestimmt, diese Seite auch aus Deutschland zu nutzen. Mit dem Hinweis in diversen Foren und bei Facebook auf dieses Portal ging der Sonntag spät in der Nacht zu Ende.
4. Juni, Montagmorgen. Der erste Klick noch vor dem Frühstück ging auf das Portal der Österreicher. Kein Eintrag aus Bayern? Selbstversuch! Servertimeout! Das kann doch nicht sein, der Server ist wohl wegen der vielen Anfragen aus Österreich und Bayern überlastet.
Es hilft nichts. Ich entscheide, dass unsere Netzpartei selber ran muss! Wir haben leistungsfähige Server und das Knowhow in der Partei das umzusetzen. Über Twitter ist schnell Kontakt aufgenommen zum Münchner Spitzenkandidaten für den Bundestag, Alexander Bock, und dem Wahlkampfkoordinator in München, Wolfgang Britzl. Ein kurzes Go von der Politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, Katharina Nocun, und schon sitzt man zusammen im Mumble, quasi der Online-Telefonkonferenz der Piraten. Die Entscheidung fällt um 9:00 Uhr: Wir machen selber so ein Portal! Was benötigen wir dazu?
Erster Schritt bei den Piraten ist immer die Eröffnung eines Piratenpads. Ein solches Pad ermöglicht, dass viele Menschen gemeinsam an einem Text gleichzeitig arbeiten können. Bei der Planung des Portals wurden so Ziele formuliert, Ideen zusammengetragen und die konkrete Umsetzung geplant. So haben z.B. die einen die betroffenen Regionen aufgelistet, während die Programmierern den Code geschrieben haben. Am Ende wurden dann nur noch die Regionen mit Copy und Paste eingefügt. Ein kurzer Hinweis auf die Aktion und das Pad und prompt versammeln sich über ein Dutzend Piraten auf dem Pad und legen mit der Arbeit los. Parallel dazu zapfen die Vernetzer der Partei ihre Kontakte an, um die Spezialisten auf die Aktion aufmerksam zu machen. Allein durch die transparente Kommunikation kommen auch unaufgefordert Angebote im Team an, so hat zum Beispiel der Landesvorstand schon die Nutzung der Bayernhardware zugesichert.
Ich musste erkennen, dass Montagvormittag nicht der optimale Arbeitstermin für ein solches Projekt in der Piratenpartei ist. Die gesamte Partei besteht fast ausschließlich aus Ehrenamtlichen, die noch einen Job zu erledigen haben. In der konkreten Notsituation stellen aber diejenigen, die es können (Selbstständige und Studenten) Arbeiten zurück, und schnell verliert sich das Mumblegespräch in einer Fachsimpelei über Quellcodes, Addons und Datenbanken. Immer mehr Piraten stoßen dazu. Die Bayern IT der Partei richtet im Akkord Zugänge für die Helfer ein. Nach mehreren Serverumzügen, von den privaten Probierservern der Programmierer auf den Bayernserver wird des Ergebnis immer sichtbarer. Als sich die Grafiker auch noch der Oberfläche annehmen steht der Freischaltung nur noch ein kurzes Bugtracking voran. Um erst gar keine Spekulationen um den Selbstzweck der Aktion aufkommen zu lassen, wird schnell noch eine neutrale Domain gebucht: hochwasser2013.de
Um 19 Uhr ist es dann soweit, es fällt der Startschuss. Die Seite geht online. Und über alle Kanäle wird das Portal bekannt gemacht und auf die Möglichkeit des Hilfsangebots hingewiesen. Um 19:05 Uhr ist das erste Angebot online, bis in die Nacht hat die Seite 26.000 Aufrufe und die Hilfsbereitschaft reißt auch am 4. Juni nicht ab (46.000 Aufrufe). Während immer mehr Angebote eingehen, arbeiten die Entwickler nach wie vor an der Verbesserung des Portals und fügen immer weitere Regionen hinzu.
Dienstagabend sitze ich in der Kneipe und werde von einem Nichtpiraten angesprochen, er habe das ganze von Außen verfolgt und sich nicht vorstellen können, dass ein solches Portal in so kurzer Zeit aus dem Boden zu stampfen sei. Auch sei damit widerlegt, dass die Opposition in der Stunde der Hochwasserkatastrophe nur zum Zuschauen verdammt sei, während die Regierung auf Staatskosten mit dem Hubschrauber zu Werbefotos für den Wahlkampf einfliegt. So hieß es wohl bei „Hart aber fair“ am Montag.