Was die Piraten vor allem anderen auszeichnet sind nicht ihre politische Positionen, sondern die Art und Weise wie sie Politik machen möchten. Basisdemokratie ist dabei ein Thema, das sie wie ein Banner vor sich her tragen – und das obwohl sie bis heute nirgendwo definiert haben, was Basisdemokratie für sie eigentlich bedeutet. Basisdemokratie ist so etwas wie das Lebensgefühl der Piratenpartei. Jeder Pirat hat seine eigene Vorstellung davon, was sie ist, und obwohl alle diese Vorstellungen nicht deckungsgleich sind, kann man sich doch über eine Kernbedeutung verständigen.
Basisdemokratie bedeutet für Piraten, dass jeder einzelne an Entscheidungen teilhaben kann, die ihn betreffen. Dazu gehört das Recht jedes Piraten, Anträge zu stellen, sowie die Ablehnung von Delegierten auf Parteitagen. Von der Versammlung des Kreisverbandes, über den Landes- bis hin zum Bundesparteitag kann jeder Pirat auf Veranstaltungen seiner Gliederung Anträge zur Abstimmung einreichen und hat bei allen Abstimmungen Stimmrecht.
Aber warum ist den Piraten die Basisdemokratie eigentlich so wichtig? Durch die Beteiligung jedes einzelnen erhoffen sich die Piraten, das Verkrusten bzw. den Missbrauch von Strukturen verhinden zu können. Wenn beispielsweise alle Stimmberechtigten einen neuen Vorstand wählen, müssen jeweils 50% der Mitglieder von dessen Qualifikation überzeugt sein. Eine Wahl “weil der das schon immer gemacht hat” oder “weil das beim Treffen mit dem Aufsichtsrat von XY gefordert wurde” kommt dabei nicht in Frage. Auch kann eine Abstimmung in der Partei nicht “gekauft” werden: Wer wollte könnte vielleicht ein paar (hundert) Delegierte bestechen – aber nicht 30.000 potentielle Teilnehmer eines Parteitages.
Die oft kritisierte Kehrseite dieser Medaille ist, dass Piraten als autoritätsskeptisch, wenn nicht gar -feindlich erscheinen (was sie – zugegeben – bisweilen auch sind). Außerdem können Piraten, die sich die Anreise zu all diesen Veranstaltungen zeitlich oder finanziell nicht leisten können, ihr Stimmrecht nicht wahrnehmen. Die Möglichkeit, dieses selbst auszuüben, wird aber nach wie vor als besser angesehen als die Einschränkung des Stimmrechts aller durch die Einführung von Delegiertenversammlungen. Als eine mögliche Lösung wird die Einführung von Onlineabstimmungen diskutiert, für die allerdings noch keine implementierbare Lösung zur Verfügung steht.
Auch das Mitmachprinzip der Piratenpartei geht auf diese Weltsicht zurück: Jeder Pirat kann jederzeit auf jeder Ebene das Parteigeschehen gestalten. Sei das in Arbeitsgruppen, die für alle (sogar für Nicht-Mitglieder!) offen stehen; in den Servicegruppen, die organisatorische Belange der Partei, wie zum Beispiel die Webseite oder Pressearbeit betreuen; als Unterstützer für den Vorstand; oder einfach gleich ein neues Projekt auf eine eigene Idee bauen und ein eigenes Thema in die Diskussion einbringen.
Woher kommt dieses Verlangen nach Offenheit und Beteiligung? Eine kürzlich veröffentlichte Studie* kann darauf eine Antwort geben: 63 Prozent der teilnehmenden Mitglieder gaben an, mit der Art und Weise wie Demokratie in Deutschland funktioniert unzufrieden zu sein. Noch deutlicher ist die Anzahl der zufriedenen Piraten: 13 Prozent, im Gegensatz zu 51 Prozent der Bevölkerung Deutschlands (Kamm et al., 2013). Ein Großteil der Piraten ist darum Mitglied der Piratenpartei geworden, weil sie glauben, dass die Demokratie in Deutschland verbessert werden muss – und kann.
Die Basisdemokratie innerhalb der Piratenpartei spiegelt wieder, was die Piraten für das politische System insgesamt wünschen: Bürger sollen enger in politische Prozesse eingebunden werden, sich einbringen können wo sie es für wichtig erachten, und nicht nur alle vier Jahre ein Kreuz machen und sich ansonsten aus dem politischen Prozess heraushalten. Das ist der Grund, aus dem sich Piraten in ihrem Programm, aber auch mit ihrem Politikstil für mehr Bürgerbeteiligung, Bildung und Transparenz des Staates einsetzen. Denn nur wer weiß und versteht, was um ihn herum sowohl in der Welt als auch in der Politik geschieht, kann sich einbringen und diese Welt positiv in seinem Sinne beeinflussen.
* Kamm, Jana; Kliewe, Falko; Schmidt, Dajana; Schott, Claudia: Das Phänomen der Piratenpartei – Eine Befragung der Parteimitglieder, Seminar für Analyse politischer Kommunikation und Öffentlichkeit ÖK-A3, Friedrich-Schiller-Universität Jena, März 2013