
Grüne und Piraten sind einander nicht fremd. Wenn man zum Beispiel als Pirat bei Gelegenheit Politik anspricht, dann kommen oft langjährige Grünenwähler nicht mit Ablehnung, sondern mit interessierten Fragen. Denn sie stehen der Piratenpartei selten skeptisch gegenüber, wie vielleicht andere. Sie teilen viele Ansichten mit uns. Doch obwohl sie uns nicht schlecht finden, sind sie ja offensichtlich mit den Grünen zufrieden genug, um sie zu wählen. Warum sollten sie also ihre Wahlgewohnheit ändern und in der nächsten Bundestagswahl ihr Kreuz bei den Piraten machen? Hier der Versuch einer Gegenüberstellung von Piraten und Grünen. Als Werkzeug verwende ich dafür die bundesweiten Partei- und Wahlprogramme, in denen sich die Piraten und die Grünen auf die Fahne schreiben, was sie gerne für ihre Wähler umsetzen wollen.
Hier allerdings schon vorweg die Klarstellung, was dieser Artikel nicht ist. Dieser Artikel ist kein Wahlprüfstein. Es werden nicht einzelne Sätze der föderalen Parteiprogramme gegeneinander aufgewogen. Denn wenn man sich die Programme im Detail anschaut, sind sie natürlich verschieden. Aber wenn man sie sich im Großen und Ganzen ansieht, dann offenbaren sich Elemente, die man schnell zusammenfassen kann.
Dieser Artikel ist hingegen eine starke Vereinfachung, wie man sie auf Stammtischen und an Infoständen braucht. Denn wenn man im Gespräch auf der Straße oder im Biergarten in die Situation gerät, in Parteiprogrammen nachschlagen zu müssen, dann hat man die Grundzusammenhänge offensichtlich noch nicht gut genug erfasst, sondern hängt sich an Details auf. Dieser Artikel stellt zudem die Perspektive des Autors dar und soll zur Diskussion anregen. Korrekturen und Anpassungen nehme ich gerne entgegen. Vielleicht können die Inhalte dieses Artikels als Gesprächsaufhänger dienen. Ich gebe im Artikel der Einfachheit Vorrang über die Detailtiefe.

Die Haupterkenntnisse lassen sich in der angefügten Grafik zusammenfassen. Geht man durch die Programme, dann offenbaren sich viele Gemeinsamkeiten. Sowohl Piraten als auch Grüne verschreiben sich ausdrücklich der Demokratie und sehen in der staatlichen Überwachung eine Bedrohung. Beide Parteien sprechen sich für aktive Bildungspolitik aus, die Verantwortung des Staates ist und gefördert werden muss. Die Ermöglichung sozialer Teilhabe und Bekämpfung von Armut sind beiden Parteien sehr wichtig. Beide sehen Migration und kulturellen Austausch als einen ausdrücklich positiven Effekt und kämpfen gegen Rassismus. Auch ein Europa mit Deutschland ist daher ausdrücklich gewünscht. In der Gesundheitspolitik sehen beide Parteien die Notwendigkeit für die umfassende Versorgung durch den Staat, deren hohe Kosten aus sozialen Gründen getragen werden müssen. Diese vielen Gemeinsamkeiten erklären schnell, warum sich Piraten und Grüne so nahe stehen. Doch wo sind die Unterschiede?
Obwohl sich Piraten und Grüne sicherlich in ihrer Richtung einig sind, so offenbaren die Parteiprogramme in unterschiedlichen Punkten verschiedene Tiefen. Besonders in ihren Kernthemen Datenschutz, Urheberrecht und Transparenz hat die Piratenpartei mehr zu bieten. Es werden mehr Details genannt und konkrete Lösungsvorschläge geboten. Auch der Vorstoß in der Drogenpolitik und die ausdrückliche Wissenschaftsförderung sind bei den Grünen nicht im Programm zu finden, obwohl sie nicht grundsätzlich in eine andere Richtung gehen. Umgekehrt sind die Grünen aber natürlich ihrem Namen treu und haben ein breites, tiefes Umweltprogramm mit dem sich die Piraten (noch?) nicht messen können.
Letztendlich konnte ich nur zwei Themenbereiche identifizieren, in denen für mich wirklich unterschiedliche Aussagen gemacht wurden, die nicht nur in ihrer Tiefe variierten. Da ist zum einen die Geschlechterpolitik, in der die Grünen sich ausdrücklich für die Geschlechterquote aussprechen, um Frauen in der Gesellschaft zu helfen. Die Piraten hingegen sprechen sich gegen diese Quote aus und sehen die Zukunft darin, das Geschlecht nicht mehr zu fixieren und stattdessen quotenfrei den Postgenderismus zu erreichen. Beim Thema Wirtschaft gibt es auch zwei Punkte, bei denen sich nicht klar sagen lässt, ob die beiden Parteien hier einer Meinung wären. Während die Grünen zwar eine Grundsicherung anstreben, so ist diese nach meinem Verständnis nicht bedingungslos, was einen großen Unterschied macht. Die Forderung der Piraten nach dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) geht also über die Forderungen der Grünen hinaus. Ein Punkt, den die Grünen erwähnen, der hingegen bei den Piraten nicht zur Sprache kommt, ist der Schuldenabbau. Während die Grünen sich klar dahinter stellen, wird dieser Punkt bei den Piraten nicht erwähnt. Vielleicht hat er es einfach noch nicht ins Programm geschafft.
Nun also zu den ungeschriebenen Tendenzen. Von innen heraus betrachtet kommt es mir so vor, als ob Piraten und Grüne ähnlich ticken. Sie wollen die gleichen Ziele erreichen. Lediglich priorisieren sie die Ziele unterschiedlich und wählen an manchen Stellen unterschiedliche Werkzeuge, um sie zu erreichen, oder wollen unterschiedlich weit gehen. Die Grünen haben jüngst stark nachgeholt und sich Datenschutz, Urheberrecht und Transparenz ins Programm geschrieben. Ob wirklich etwas dahinter steckt, wird sich noch zeigen müssen. Umgekehrt arbeiten die Piraten stark daran, ihr Umweltprogramm auszubauen. Das bisher dazu ins Programm geschriebene zeigt aber, dass die Piraten dabei mit den Grünen größtenteils einer Meinung sind. Was jedoch nicht im Programm steht, sind die teilweise unterschiedlichen Philosophien der Parteiarbeit. Ob nun basisdemokratische Parteitage gegen die Direktive “von oben” oder die allgemeine IT-Affinität gegen eine gewisse Technologieskepsis, gibt es da so einige. Allerdings halte ich diese Interna für die Wahlentscheidung der Masse nicht für ausschlaggebend.
Warum sollten also Grüne die Piratenpartei wählen? Ich komme zu dem Schluss, dass sich diese Frage entweder an den Kernthemen der Piraten entscheidet oder an Einzelthemen, die einem Individuum sehr am Herzen liegen. Wer sich Sorge um die digitale Zukunft macht, PRISM nicht akzeptieren will und findet, dass für die etablierte Politik das Internet immer noch Neuland ist, für den gibt es in dieser Wahl weiterhin nur die Piraten. Zu den Themen haben die Grünen zwar Position bezogen, aber nichts vorzuzeigen. Ansonsten bieten Piraten an drei Einzelthemen wirkliche Alleinstellungsmerkmale gegenüber den Grünen, nämlich beim BGE, bei der Drogenpolitik und im Bereich Postgenderismus. Wer sich davon angesprochen fühlt, der hat gute Gründe uns zu wählen.
Ein großer Dank gebührt Thomas Ganskow, der bei der Zusammenfassung der Vielzahl von Unterthemen geholfen hat.
Update 15.7.13:
Aufmerksame Leser haben uns darauf hingewiesen, dass das Parteiprogramm der Piratenpartei das Wort „Postgender“ nicht enthält. Die Position der Piratenpartei zur freien Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität bzw. Orientierung lautet wörtlich: „Fremdbestimmte Zuordnungen zu einem Geschlecht oder zu Geschlechterrollen lehnen wir ab.“ Diese Position habe ich unter dem Begriff „Postgender“ zusammengefasst.