Ein Gastbeitrag von Jügen Stempke.
Die Piraten wollen keine Kernkraftwerke und das aus gutem Grund. Die Piraten fordern, die Energiewende in Bürgerhand schneller voran zu treiben, einen beschleunigten Atomausstieg und ein sicheres Verbringen des Atommülls.
Neue Kernkraftwerke
Manche Leute favorisieren stets den neuesten Schrei, der kerntechnisch irgendwo gerade toll präsentiert wird. Kritische Fragen werden nicht gestellt. Kritisch wird es, werden neue Konzepte nicht als Brainstorming, sondern als Heilsbringer angepriesen werden. Neu sind die “Neuen Konzepte” der letzten Zeit jedoch nicht.
Die Konzepte sind in der Regel so alt wie die Kernindustrie, stammen aus den 50er, 60er Jahren. Nichts neues und nichts, das man in in absehbarer Zeit umsetzen kann, wenn man Sicherheit hoch halten möchte.
Gleichzeitig relativieren diese Leute oftmals. Sie setzen z.B. die Radioaktivität von Kernkraftwerken mit der Radioaktivität von Windkraftanlagen gleich. Dass dies nicht funktioniert muss man sich selbst recherchieren.
Wir haben eine Menge der nach und nach favorisierten und wieder fallen gelassenen AKW-Typen angeschaut. Alle haben erhebliche Risiken oder sind aufgrund von Materialproblemen einfach nicht sicher zu realisieren. Aber kaum hat man eine Kritik ausformuliert, wird nicht darauf eingegangen, es kommt von irgendwo der nächste Wunderreaktor her.
Das haben wir uns angeschaut:
- AP1000 (7 Artikel nur zur Sicherheit, von AKW-Gegnern, bis zur Atomaufsicht).
Noch mehr zu den laufenden Bauprojekten.- Thorium-Flüssigsalz-Reaktoren
- Gerneration IV Reaktoren im Überblick
- Der aktuell neuste Reaktor, der die Bühne betreten hat, ist der Dual Fluid Reaktor
All diese Systeme haben deutliche Sicherheitsmängel und/oder bereiten enorme Herausforderungen an zu verwendendes Material und Prozesse, die bis heute nicht gelöst werden konnten und deren Lösung nicht absehbar ist.
Die Kernenergie begleitet leider eine lange Tradition der Lügen und der Phantasterei, von Beginn an. Atom-Autos und -Flugzeuge, kostenlose oder billige Energie für alle Menschen, Weltfrieden, inhärente Sicherheit und eine sichere Lösung für den Atommüll und natürlich: Keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen. Alles nicht eingetreten und doch werden derartige Versprechen bis heute wieder neu aufgelegt (siehe z.B. diese Werbeanzeige). Das macht es nicht leichter, mit diesem Thema um zu gehen.
Kernkraft-Befürworter sind von der Faszination Kerntechnik überzeugt. Sie brennen für das Thema. Das macht es eben so schwer, sich mit ihnen sachlich auseinander zu setzen. Sie treten überzeugt und überzeugend auf. Den Atommüll los zu werden ist auch bestechend. Dass Atomkraftgegner dagegen oft als “Ökoreligiöse” oder ähnliches dargestellt werden, spricht allerdings nicht für soziale Kompetenz, Aufgeschlossenheit und Respekt. Fronten verhärten.
Wenn man diese Ideen und Konzepte zur Kernenergie kritisiert, dann wird oft schnell das Thema gewechselt, anstatt auf den Kritikpunkt einzugehen. Besonders wenn man es mit Kommunikations-Profis zu tun hat. Es gibt auch Prediger, die können überzeugend darlegen warum die Evolutionstheorie ein Schwindel ist und die Bibel recht hat und warum geringe Dosen an Strahlung heilend wirken und dass Fukushima überhaupt nicht schlimm ist. Umso wichtiger ist es, das erste piratische Prinzip anzuwenden: Denke selbst.
Wir sind ausführlich auf Argumente eingegangen.
Atommüll vernichten
Natürlich haben wir ein Problem mit dem Atommüll. Daran wird auch seriös geforscht. Zum Beispiel beim Myrrha-Projekt der EU. Auch Deutschland beteiligt sich an diesem Forschungsreaktor, mit dem untersucht werden soll, ob oder wie Atommüll abgebaut werden kann. Hier hofft man in 30 Jahren weiter zu sein. Bis dahin sollten wir mit der Energiewende fertig sein.
Bei der Transmutation geben manche Berürworter eine Restlagerzeit von 300 Jahren nach Transmutation an. Die Wissenschaftler des Myrrha-Projekts hoffen, dass 1500 Jahre in der Praxis erreicht werden könnten. 500 Jahre werden als theoretisch erreichbarer Wert angegeben. Hier 300 Jahre zu postulieren ist nicht seriös. In 30 Jahren wollen die Myrrha-Wissenschaftler ggf. ein industrielles Konzept vorlegen, wenn alles klappt. Ob es klappt ist noch nicht absehbar. Bis in 30 Jahren müssen wir mit der Energiewende aber schon fertig sein.
Ob diese Ideen, die theoretisch funktionieren könnten, auch praktisch funktionieren können und die Anlagen sicher betrieben werden können, weiß man bis heute nicht. Das Volumen an Atommüll wird beim Einsatz solcher Anlagen jedoch deutlich zunehmen. Das ist sicher und muss ebenfalls mit berücksichtigt werden. Die Anlagen werden auch neuen Atommüll produzieren.
Der Müll rennt uns leider so schnell nicht weg. Die AntiAtomPiraten haben keine Patentlösung dafür. Wir müssen schauen, was die Wissenschaft für Erkenntnisse gewinnt. Müll zu produzieren, während man nicht weiß, wie man damit um geht ist aber auf jeden Fall falsch.
Wir setzen Prioritäten:
- Keinen Müll herstellen
-> 100% Energiewende, schnell umsetzen- Müll der da ist sicher, überwacht und rückholbar lagern
-> Dazu gehört Asse und Morsleben schnellstens zu räumen
-> Auch die derzeitigen Zwischenlager gefallen uns nicht
(Brunsbüttel hat jetzt in erster Instanz die Lizenz verloren, andere sind baugleich)- Vernünftig drüber nachdenken, wie man mit dem Müll am besten um gehen kann
Mit schnellen Reaktoren oder Brutreaktoren beschäftigen sich derzeit China, Russland und Indien aktiv. Dort laufen kleinere Versuchsanlagen, in Russland auch eine Anlage mit 600 MW, eine Anlage mit 800 MW soll 2014 folgen. Alle anderen Länder haben diese Typen aufgegeben, meist nach technischen wie finanziellen Desastern.
In Russland betreibt man natriumgekühlte Anlagen. Die immer wieder auftretenden Natriumbrände konnten bisher wohl immer unter Kontrolle gebracht werden. Das sind nicht gerade Bedingungen, die wir uns für Zentraleuropa wünschen. Für die Befürworter ist das aber gerade der Beweis, dass man sowas sicher im Griff hat. Natrium bildet bei Kontakt mit Wasser / Luftfeuchtigkeit Wasserstoff. Wasserstoff ist hoch entzündlich und hoch explosiv. Die Reaktorgebäude in Fukushima wurden durch solche Explosionen zerstört. Wie die Betreiber mit den Korrosionsproblemen umgehen ist uns unbekannt. Die Sicherheitsansprüche sind definitiv niedrig. Die russischen Reaktoren haben nicht einmal ein Sicherheits-Containment, in Indien wird auf AKW-Gegner auch schon mal scharf geschossen, manchmal endet der Beschuss tödlich. Am meisten vertrauen kann man hier tatsächlich noch China.
Gerade die Atommächte haben massig Plutonium und abgereichertes Uran auf Halde liegen und damit ein besonderes Interesse an Reaktoren, die diese Berge an problematischem Material verarbeiten. Geplant ist das seit Beginn des Atomzeitalters, funktioniert hat das nicht wirklich. Theoretisch könnte dieser Müll den Energiebedarf an Elektrizität für mehrere Generationen decken. Die USA entsorgt ihren Atommüll seit dem Balkan-Krieg unter anderem auch auf den Schlachtfeldern in der Welt, indem ein Teil davon als (selbstentzündendes) Projektil der Munition verwendet wird. Brutreaktoren wurden aufgegeben, man blickt aber nach Indien. Dafür hat man keine Einwände gegen deren Atomwaffen.
In Deutschland gingen die Erfahrungen mit Brutreaktoren deutlich schief. Wir zahlen dafür heute noch, z.B. 6 Millionen Euro pro Jahr für den sicheren Einschluss des THTR-300. Der Betreiber, eine Tochter von RWE, ging pleite, RWE steht nicht ein. Der Steuerzahler zahlts. Die Strahlung ist so stark, dass man hofft ab 2027 oder 2030 mit dem Rückbau zu beginnen. Man hat noch für 2 Jahre Brennstoff für den Reaktor. Der lagert im Forschungszentrum Jülich, inzwischen ohne Genehmigung des Bundesamtes für Strahlenschutz. Weiterer Atommüll des THTR lagert in Ahaus, dieser ist zu einem erheblichen Teil Atomwaffenfähig. Der schnelle Brüter in Kalkar ging nie in Betrieb und ist Deutschlands teuerste Investitionsruine.
Lesenswert: Bau und Stilllegung von schnellen Reaktoren in Deutschland.
Ähnlich erging es Japan (z.B. Monju) und auch Frankreich (z.B Phénix, Superphénix), die Anlage in Creys-Malville war 12 Jahre in Betrieb, hat effektiv ca. 2,7 Jahre Strom produziert. 1997 wurde allgemein faktisch das Ende von Brutreaktoren erklärt. In Japan wollte man den seit 1995 nach einem schweren Störfall still stehenden Monju-Reaktor im Frühjahr 2013 wieder in Betrieb nehmen. Er hat bisher etwa 8 Mrd Euro verschlungen. Auf dem dreijährigen Weg zur Wiederinbetriebnahme gab es mehrere Störfälle und jede Sicherheitsüberprüfung endete mit katastrophalen Ergebnissen. Das Ding steht still. In den 30 Jahren, seit das Projekt läuft, hat der Reaktor 3 Monate lang Strom ins Netz eingespeist.
Zu den Sicherheits-Problem gesellen sich weitere Phänomene, der Kerntechnik, die man bis heute nicht verstanden hat. zum Beispiel fehlende Geburten um kerntechnische Anlagen und Häufungen von Leukämie und andere biologischen Aspekte. Diese sollten wir verstehen, bevor wir Menschen gefährden oder töten. Nachweis und Behandlung gerade dieser Themen sind sehr schwierig und nur auf epidemiologische Weise möglich. Es ist wie beim Tabakkonsum. Man stirbt nicht sofort und auch nicht jeder – wobei man auch beim (Passiv-) Rauchen oft an den Folgen der Radioaktivität stirbt.
Positionen der Piraten
Auch bei den Piraten gibt es Mitglieder, die sich für einen massiven Einstieg in die Kernenergie aussprechen und sich auch der oben genannten Kommunikationsstrategien bedienen.
Auch Anträge werden dazu eingebracht. Sie scheitern regelmäßig.
Im Liquidfeedback zum Beispiel schon am Quorum (2% erreicht). Im Vergleich der entsprechende Antrag der AntiAtomPiraten (90% Zustimmung). Dieser Antrag ist in etwas gekürzter Version in das Wahlprogramm der Piraten aufgenommen worden.
Auch wenn man Liquidfeedback kritisch sieht, so ist ein Verhältnis von 2% Zustimmung zu 90% Zustimmung ein signifikantes Ergebnis, das nicht von der Hand zu weisen ist. Die Position der Piraten zur Atompolitik ist eindeutig:
Atomausstieg
Die Piratenpartei Deutschland setzt sich dafür ein, die Energiegewinnung durch Kernspaltung zu beenden. Dies ist in drei Jahren möglich. Wir wollen die bestehenden Kernkraftwerke Hand in Hand mit dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen abschalten. Verfahren und Anwendungen, die weiteren Atommüll produzieren, sollen möglichst vermieden werden solange es keine nachhaltige Lösung zum Umgang mit radioaktiven Abfällen gibt.
Laufzeitverlängerungen und Neubauten von Kernkraftwerken werden ausgeschlossen. Die Förderung von AKW-Projekten im Ausland – auch durch staatliche Bürgschaften – lehnen wir ab. Alle kerntechnischen Anlagen sollen mit einer vollumfänglichen Haftpflichtversicherung versehen werden. Die Entsorgung der Anlagen und der produzierten Abfälle ist durch Rücklagen auf Treuhandkonten sicher zu stellen. Die Höhe dieser Rücklagen sind durch unabhängige Experten zu bestimmen.
Atommüll
Die Piratenpartei Deutschland setzt sich für eine verantwortliche Lösung zum Umgang mit Atommüll ein. Wir lehnen eine weitere Erkundung des Salzstockes in Gorleben ab und setzen uns für eine bundesweite Suche nach tatsächlich geeigneten Lagerstätten ein. Die Piratenpartei Deutschland will, dass nuklearer Müll grundsätzlich nur so gelagert wird, dass bei Bedarf eine Rückholung erfolgen kann. Dies betrifft auch leicht- und mittelradioaktiven Müll. Die Lagerung muss stets überwacht werden.
Die Kosten zur Entsorgung der anfallenden Abfälle haben die Verursacher zu tragen. Wer radioaktive Produkte herstellt oder in den Verkehr bringt, muss einen Entsorgungsnachweis führen und die Kosten dafür übernehmen.
Dennoch, wer sich über die Position der Piraten zum Thema Kernenergie informieren möchte, wird zwangsweise durch die Präsenz der Pro-Atom-Gruppe irritiert, wenn man nicht gründlich recherchiert im Zweifel sogar getäuscht. Leider publizieren die Pro-Atom-Piraten sehr offensiv auch gegen das Programm der Partei.
Dennoch, die Basis der Partei hat beschlossen was die Piraten auf Bundesebene vertreten wollen, und das sind die Positionen der AntiAtomPiraten.
Fazit
Für uns ist die Diskussion zunächst abgeschlossen. Wir müssen uns zuerst um die brennenden Probleme kümmern, auf eine Weise, wie diese in reeller Zeit umgesetzt werden können. Das bedeutet:
- Keinen weiteren Atommüll produzieren
- Vorhandenen Atommüll sicher unterbringen, unsichere Lager schnellstmöglich räumen, insbesondere Asse und Morsleben.
- Die Energiewende beschleunigen und in Bürgerhand umsetzen, so dass alle Bürger von günstiger Energie profitieren.
Dann ist genug Zeit um zu sehen was die Forschung ergeben hat und ergibt und wie man mit dem Atommüll weiter umgehen kann.
Damit die Energiewende bezahlbar bleibt, wollen wir die Subvention der Industrie durch die Energiewende beenden. Das spart bis zu 9 Mrd. Euro pro Jahr. Das sind über 100 Euro, die pro Person in einem Haushalt im Jahr weniger für Strom ausgeben werden müssen.
Trivia
Ich habe mir am Wochenende eine kleine Solaranlage zur autarken Selbstversorgung dimensioniert und die Kosten abgeschätzt, die auch Tage ohne Sonne überbrücken soll. Ich komme auf Kosten von ca. 23 ct/kWh, Investitionskosten nicht berücksichtigt. Das ist ungefähr der aktuelle Strompreis, nur dass dieser jedes Jahr um ca. 5,5% steigt. Der Preis für den eigenen Solarstrom ist ein Festpreis auf 20 Jahre. Die Solarzellen und Akkus kommen aus der Großserienfertigung. Wenn ich bestelle, kann ich die Anlage am folgenden Wochenende errichten. Die Energiewende in der eignen Hand ist heute selbst beim teuren Solarstrom bereits wettbewerbsfähig.
Die Energiewende in Bürgerhand ist das Konzept der Piraten. Das funktioniert, ist bezahlbar und jeder Bürger soll davon profitieren, nicht nur multinationale Konzerne und Energie-Oligopole. Mitmachen lohnt sich.
Links
- AP1000 (7 Artikel nur zur Sicherheit, von AKW-Gegnern, bis zur Atomaufsicht).
Noch mehr zu den Laufenden Bauprojekten. - Thorium-Flüssigsalz-Reaktoren
- Gerneration IV Reaktoren im Überblick
- Dual Fluid Reaktor
- Transmutation