
StreetDogg (Stefan) lebt in Hamburg und ist dort derzeit für den LV im Wahlkampf unterwegs. 2009 ist er durch das ZensUrsula-Thema zu den Piraten gekommen. Seit 2010 beschäftigt er sich mit LiquidFeedback und hat sich um das System besser zu verstehen ausführlich mit der Datenbank dahinter befasst.
Flaschenpost: Worin siehst Du die Vorteile von Basisdemokratischen Entscheidungen?
StreetDogg: Einer Elitenbildung wird vorgebeugt indem für Vorhaben breit geworben werden muss. Mitgliedern muss klar gemacht werden, warum gerade dieser Antrag gut ist. Sie sind diejenigen, die die Inhalte transportieren müssen, sei es auf Infoständen oder sogar als Abgeordneter. Und die Kenntnis über das Thema erlangen sie durch die so intensiv beworbenen Anträge.
m Vergleich dazu kann es zum Beispiel bei Vorstandsbeschlüssen dazu kommen, dass Mitglieder diese entweder nicht mitbekommen, ganz oder teilweise nicht verstehen oder nicht gut finden.
Flaschenpost: Welche Nachteile hat die SMV?
StreetDogg: Mich hat die Zeit und die Energie, die für die Diskussion SMV – ja oder nein – verbraucht wurde, verärgert. Wir haben auf dem letzten Bundesparteitag einen Tag über dieses Thema diskutiert. Ich hätte diese Debatte lieber bei inhaltlichen Dingen gesehen, nicht bei der SMV. Die Erwartungen an die SMV sind zu hoch. Wenn wir uns nicht mit Inhalten beschäftigen nützt es uns nichts, wenn wir Beschlüsse anders fassen können. Nachteile bei der SMV hängen davon ab für welche Ausgestaltungen man sich entscheidet. Wenn Entscheidungen wegen Delegation über Liquid Democracy durch wenige Leute getroffen werden, haben nur wenige die Anträge gelesen, was dazu führt, dass nur wenige die Anträge wirklich kennen.
Es kann zu Manipulationen kommen, auch die verschiedenen Lösungsansätze eigenen sich meiner Meinung nach nicht. Je nach krimineller Energie sind Manipulationen immer möglich, und bei manipulierten Beschlüssen ist dann das Gejammer groß. Machtkonzentration, Sicherheit und Werthaltigkeit der Beschlüsse, welche dann wie am Fließband beschlossen werden statt, sich damit zu beschäftigen, sind für mich die Gefahren bei der SMV.
Online-Abstimmungen können immer manipuliert werden, bei geheimen Abstimmungen fehlt zudem die Möglichkeit Manipulationen nachweisen zu können. Geheime Abstimmung ist so nicht praktikabel möglich und es gibt keine Lösung, die mein Sicherheitsbedürfnis befriedigt.
On- und Offline-Abstimmung sind strukturell unterschiedlich. Offline wird es schwierig eine größere Menge an Stimmen zu manipulieren, oder mehrere Urnen. Online, sobald Zugriff auf das System besteht, können beliebig viele Stimmen manipuliert werden.
Flaschenpost: Welche Vorstellungen hast du zum Thema Datenschutz, geheime Abstimmung und Tools die für eine werden können? Kann es zu Problemen beim Datenschutz kommen?
StreetDogg: Datenschutz ist nicht nur ein Sicherheitsthema. Geheime Abstimmung ist online nicht sicher möglich, es kann nur offen, also mit Namen, oder pseudonym geschehen. Die meisten Sicherheitskonzepte sehen eine offene Abstimmung vor um Stimmen überprüfen und Manipulationen erkennen zu können. Das ist ein Problem, weil dadurch das Abstimmverhalten beeinflusst wird.
Hitzige Debatten, Polarisation und aufgebaute Fronten führen dazu, dass man sich nicht traut, was dazu zu sagen um den anderen nicht zu verprellen. Auf einem Parteitag kann man in eine andere Ecke gehen, Online-Abstimmungen die protokolliert und veröffentlicht werden führen eher zu einem Verzicht, was für demokratische Entscheidungsfindung ein Problem ist. Verzichtet man auf die offene Abstimmung erschwert das die Sicherheit.
Die Beteiligung ist auch ein Punkt. Auf allen LQFB-Systemen, selbst in Mecklenburg-Vorpommern, wo eine SMV mit bindenden Beschlüssen stattfindet, ist die Beteiligung nicht annähernd so hoch wie auf Parteitagen.
Flaschenpost: Welche Möglichkeiten siehst du zur Verbesserung?
StreetDogg: Das Problem liegt nicht im Beschluss, vielmehr in der Vorbereitung. Wir müssten Bundesparteitage vorfiltern, was auch gut online geschehen könnte. Wir brauchen höhere Hürden für Anträge, damit wir die Rosinen aus den Anträgen picken. Auch die Sicherheit ist bei einer Vorfilterung nicht so kritisch. Wenn ein Antrag durch Manipulation auf einen Parteitag kommt, kann dieser dann immer noch abgelehnt werden. Durch stärkere Werbung werden die Anträge bekannter, wir hätten dünnere Antragsbücher und bekämen unsere Parteitage besser hin. Im Moment sind es die 6 Monate vor den Parteitagen, die wir nicht hinbekommen, nicht die Parteitage selbst.
Wenn man dringende Dinge hat, sehe ich Urnenabstimmung als eine ordentliche Lösung. Hier sollte die Infrastruktur erst im Landesverband aufgebaut werden, dann im Bund. Die Hauptpriorität sollte aber auf der Vorbereitung liegen. Antragshürden kann man basisdemokratisch gestalten. Leute, die nicht so bekannt sind können ihre Anträge früh einreichen und durch Multiplikatoren bekannter machen. Man trennt also Abstimmung auf und eine Art Vorabstimmung vor dem Parteitag, was mit weniger Beteiligung und weniger Aufwand möglich ist.
Flaschenpost: Kannst du dir eine Kombination aus beidem vorstellen?
StreetDogg: Ich bin aus dem Sicherheitsargument kein Freund von Online-Abstimmungen. Online geht es, einen Antrag vorzubereiten, die Abstimmung selbst möchte ich ungern online haben. Im BEO hat man auch online-Abstimmungen, auf die hätte man verzichten können. Zwischen den Parteitagen, egal ob ständig oder in Etappen abgestimmt wird, sehe ich Urnenabstimmung als den Königsweg. Online-Abstimmungen werden wir mit BEO jetzt sehen, wie es läuft. Ständige Abstimmungen fände ich da nicht so prall, da diese ständige Aufmerksamkeit erfordern.
n der Variante, wie wir BEO jetzt beschlossen haben, sehe ich die Sicherheit der Online-Abstimmung noch kritisch. BEO stellt eigentlich eine Urabstimmung dar, macht also einen großen Bogen um alles, was einen Parteitagsvorbehalt hat. Keine Vorstandswahlen, Satzungs- oder Programmänderungen. Ob Positionspapiere Bestand haben wird sich zeigen. Juristisch bewegt man sich mit der SMV auf dünnem Eis. Ob das so machbar ist werden sicherlich Gerichte klären.
Flaschenpost: Warum sind andere basisdemokratische Entscheidungsformen der richtige Weg?
StreetDogg: Ich bin der Meinung, wir müssen es in dieser Partei schaffen, uns mehr auf die großen politischen Richtungsentscheidungen zu konzentrieren. Wir müssen dahin kommen, dass jeder Pirat die grobe Richtung der Partei verinnerlicht hat und auf Anträge vorbereitet ist. Er soll Bescheid wissen, dass jetzt Richtungsentscheidungen getroffen werden. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit Anträgen muss verbessert werden, und nicht die Frage wie wir sie beschließen können.
Meiner Meinung nach ist das falsche Prioritätensetzung und deshalb bin ich dafür, dass wir uns auf das eigentliche Problem konzentrieren und weniger Energie auf Prozesse und Metaebenen verschwenden.
Ich bin der Meinung, dass es keine Lösung ist einfach irgendwie irgendwas zu beschließen, Hauptsache es ist beschlossen. Danach sehen die Online-Beschlussfassungen für mich aus. Es ist für mich auch keine Lösung, dass man, wenn man keine Zeit oder keine Ahnung hat, dass man delegiert. Es ist aus meiner Sicht eine Art Aufgeben. Man beschäftigt sich nicht damit und redet sich ein, dass man es auch nicht braucht, weil man ja delegiert.
Es erzeugt für mich eher die Illusion von Mitbestimmung und Basisdemokratie als dass es echte Mitbestimmung wäre. Deshalb kann ich nur davon abraten. Wir sollten uns mit politischen Inhalten beschäftigen.
Flaschenpost: Vielen Dank für den Einblick in die Problematik.