Was geschieht, wenn die Piraten bei der Bundestagswahl keinen Erfolg haben? Wie sähe die Politik in Deutschland ohne uns aus? Wir haben einen Gastautoren aus der Zukunft befragt …
«Ich blicke gerade die letzten 4 Jahre zurück und im Nachhinein kommt es mir wie ein Alptraum vor, wie sich unsere Gesellschaft gewandelt hat. Dabei sah es einmal so gut aus. Ihr könnt es euch vielleicht nicht vorstellen, aber mittlerweile ist die Kommunikation im Internet nicht mehr frei, die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich wird immer größer, die faktische Abschaffung des Demonstrationsrechtes sorgt dafür, daß Proteste auf der Straße kaum noch stattfinden und der Zustand der ehemals freien Presse führt dazu, daß darüber auch kaum bzw. nur negativ berichtet wird.
Ich will versuchen euch zu erklären, wie es dazu kam: Im September 2013 gewannen die CDU und die SPD, massiv gestützt durch Meinungsumfragen, die Bundestagswahl und bildeten eine große Koalition. Nach vielen Worthülsen rund um die Enthüllungen von Edward Snowden wurde nichts getan, um die Grundrechte der Bürger zu schützen – im Gegenteil: Durch bilaterale Verträge, die als „Wir sichern euch ab“ verkauft wurden, erhielten deutsche Nachrichtendienste sowie Polizeibehörden Zugriff auf alle abgehörten Informationen der NSA und des GCHQ. Die Opposition konnte nichts tun: Die kritischen Lippenbekenntnisse der FDP wurde belächelt, die Grünen wie immer ignoriert, die Linke nahm bisher noch keine Regierung ernst und die Piraten scheiterten an der 5%-Hürde. Kleine und große Anfragen an Behörden wurden zufälligerweise genau dort ungenügend beantwortet wo es darauf ankam – so wurden die Kontrollbefugnisse der Opposition ad absurdum geführt.
Mit dem Vorwand, man müsse Beleidigungen oder Drohungen durch anonyme oder pseudonyme Nutzer im Internet verfolgen, begann 2014 eine beispiellose Jagd nach anonymen Nutzern durch Polizei, spezielle Bundesbehörden und Service-Provider. Die Nutzung des Internets wurde dadurch stark reglementiert und das Wissen darüber, daß der Staat alles sieht, führte dazu daß sich die Kommunikation im Netz veränderte. Nicht jeder hatte den Mut seine Meinung offen kundzutun, wenn der Chef alles sehen kann oder die Freunde anderer Meinung sind – die Zensur im Kopf wurde zum ständigen Bestandteil der Netzkommunikation, und ob das je wieder anders wird weiß niemand.
Im Zuge der „Reform“ des Medienrechtes im Jahr 2015 wurde das Recht auf Gegendarstellung so stark erweitert, das es den von Oskar Lafontaine im Saarland eingeführten Verhältnissen glich – das machte die kritische Berichterstattung zu einem gefährlichen Balanceakt. Die Konzentration der Medien auf einige wenige große Konzerne – deren Eigentümer selbst politische Ziele verfolgen – führte zu einer weiteren Ausdünnung kritischer Stimmen. Dies sorgte auch für den endgültigen Tod des investigativen Journalismus und die Presselandschaft glich sich immer mehr der der USA an. Die veröffentliche Meinung spiegelte oft nur noch die Meinung der Eigentümer wieder und da weiterhin aus Zeitdruck „ein Esel vom anderen abschrieb“ kamen andere Standpunkte kaum noch vor. Statt dessen wurden die Blätter immer mehr mit Nichtigkeiten und Scheinskandalen gefüllt über die sich die Medien und Bürger dann künstlich aufregten. Brot und Spiele waren gestern, künstliche Empörungen und Scheinaktionen zur Besänftigung der Massen sind heute das Maß aller Dinge.
Nach den sogenannten „Unruhen“ 2016 drehten die Sicherheitsbehörden erst richtig auf: Analog zum bayrischen Gesetz wurden in den meisten anderen Bundesländern Menschenansammlungen von mehr als drei Personen zu einer anmeldepflichtigen Versammlung erklärt, und alle Versammlungen von denen eine „Gefahr für die Sicherheit ausgehen könnte“ erhielten ab dann keine Genehmigung mehr. Der Gang durch die Gerichte führte zu einigen kleineren Anpassungen, aber auch das Bundesverfassungsgericht konnte nicht verhindern, daß die Gesetze einfach leicht überarbeitet erneut beschlossen wurden – das bereits bekannte Katz- und Mausspiel begann. Da aber die Mäuse bekanntlich über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes bestimmten, gab selbst dieses irgendwann klein bei und erlaubte weitreichende Einschränkungen.
In der Arbeitsmarktpolitik kam der Wechsel im Jahr 2017: Durch den sich demografisch abzeichnenden Mangel an Arbeitskräften beschloss der Bundestag, daß in Zukunft jeder Empfänger von Sozialleistungen jede, auch noch so schlecht bezahlte Arbeit, annehmen muss sofern er nicht krank ist. Arbeitswege bis zu vier Stunden täglich gelten seitdem – auch für Teilzeitstellen – als zumutbar und wer sich weigert, dem wird die Leistung komplett gestrichen. Auch wenn diese Regelung eher selten eingesetzt wird trifft es auffällig oft Leistungsempfänger, die sich politisch oder gesellschaftlich gegen die Zustände engagieren oder den staatlichen Stellen unbequem sind.
Jetzt, 2018, ist Wahlkampf – deshalb gibt es noch keine Einschnitte in Bürgerrechte und Freiheit, diese sind erst nach der Wahl zu befürchten. Wir sind noch immer eine Demokratie, es kann noch immer gewählt werden – die Unterschiede zwischen den Parteien verschwimmen aber immer mehr. Wahl kommt von Auswahl, aber so lange es denjenigen, die noch wählen gehen, besser geht als dem Rest Europas bzw. der Welt wird sich nichts ändern. Für eine gute Regierung bedarf es Transparenz und einer starken Opposition, und die gibt es im Bundestag nicht.
Im September ist wieder Bundestagswahl und ich werde meine Kreuz dort machen, wo ich es schon 2013 hätte machen sollen. Bei der Partei, die heute als einzige ehrlich für die Wiederherstellung der individuellen Freiheit und aller Bürgerrechte steht – bei den PIRATEN.»
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂