Katrin Hilger ist Listenkandidatin der hessischen Piraten für die Bundestagswahl 2013. In ihrem Blogpost 250 Gramm Nutella für Deutschland schimpfte Katrin über die heile „Rama-Familienwerbung“, die jetzt auch den Wahlkampf bestimmt. Wir fragten nach.
Flaschenpost: Früher bestand der Wahlkampf aus Slogans, später waren prominente Wahlkämpfer auf den Plakaten zu sehen. 2013, wo nur der Aufschwung eine Rolle spielt, sind es herzige Kinder in niedlichen Kleidern, die um eine strahlende Mutter und den stolzen Vater herum tollen. Ist das nicht konsequent?
Katrin Hilger: Es ist einfach lächerlich. Es ist ja nicht so, dass es keine brennenden Themen gäbe, die im Wahlkampf angesprochen gehören: Die Eurokrise ist noch lange nicht beendet – das ist dem Schäuble versehentlich rausgerutscht; in Marzahn-Hellersdorf schwenken die Nazis wieder ihre braune Fahnen vor Asylantenheimen und verbreiten Progromstimmung. Heile Welt seh ich da nicht. Klar, es geht vielen sehr gut, aber die Angst vor dem Abstieg treibt doch alle um. Diese Stimmung macht sich die CDU zunutze und verspricht: Mit uns bleibt es supi.
Flaschenpost: Du meinst die wichtigen Themen werden ausgeblendet? Ein aus der Werbung bekanntes Zerrbild soll von den tatsächlichen Themenfeldern ablenken?
Katrin Hilger: Genau das meine ich. Die CDU kleistert alles mit „es geht mir gut“-Bildchen voll. Ein Disney-Deutschland, das so nicht existiert. Bei Universitäten in Hessen postiert Volker Bouffier mit Jugendlichen am Billiardtisch, belästigt eine alte Dame im Zug oder schleimt sich mit Spielzeugtigern bei Schulkindern ein. Unauthentisch! Ich hoffe, die Wähler sehen das. Die Wähler haben Sorgen: Fracking, die Lautstärke des Frankfurter Flughafens, die prekären Arbeitsverhältnisse bei Amazon in Bad Hersfeld. Die werden nirgends angesprochen. Nur von den Piraten – teilweise.
Flaschenpost: Die CDU zeigt die heile Werbewelt, die SPD wirbt, als stehen ihre Wahlkplakate in einer Soap, die FDP zeigt ihre Führungsriege und die Grünen haben sich von IKEA-Katalogen inspirieren lassen.
Katrin Hilger: Die Bilder der SPD sind deutlich realistischer. Nicht die Werbefamilie, sondern erkennbare Kleinbürger. Ob das gut ankommt? Der Bürger will selten einen Spiegel vorgehalten bekommen. In Modekatalogen für Übergrössen müssen auch schlankere posieren, sonst kaufen die Leute das nicht. Die Unionsparteien dagegen kommen mir da vor wie Kinder im Wald, die sich die Augen zuhalten und hoffen, dass man sie so nicht sieht. Aber die fiese Realität wird sie und ihre Wähler nach der Wahl wieder einholen. Vor allem die Wähler. Denn die wählen den Wohlfühlkuschelstaat, den werden sie nicht kriegen. Aber ich fürchte, der Hochglanzwahlkampf wird gut angenommen. Er kommt dem unpolitischen Empfinden der meisten entgegen.
Flaschenpost: Wie wünschst Du Dir die Plakate der Piraten? Wäre Kartoffeldruck tatsächlich besser?
Katrin Hilger: Nee, so steht das auch nicht im Blog. Ich wollte nur drauf raus, dass der Werbezauber viel Geld kostet. So viel Geld, um genau Null auszusagen. Respekt. Ich erkläre den Leuten am Stand immer: Wir schreiben unsere Flyer allein, machen das Design allein, Drucken selber. Jetzt wäre es schön, wenn wir sie nicht auch noch allein lesen müssten.“ Die Leute wundern sich dann, weil sie meinen, alle Parteien wären reich.
Flaschenpost: Warum sind unsere Plakate anders?
Auf unseren Plakaten geht es um Inhalte: Um Teilhabe, Transparenz in der Politik, für ein besseres Asylrecht, und vor allem wollen wir unsere Daten besser geschützt wissen. Das steht klar auf den Plakaten. Die Leute sind weder geschönte Models noch ausschliesslich prominente Kandidaten. Es sind alles Piraten, alles ganz normale Leute.
Flaschenpost: Können wir im Wahlkampf trotzdem punkten?
Katrin Hilger: Wieso trotzdem? Die Piraten richten sich an mündige schlaue Bürger, die den Hochglanz durchschauen. Wir zeigen, was uns umtreibt, welche Themen uns wichtig sind.
Flaschenpost: Vielen Dank für Deine Analyse der bunten Wahlwerbewelt. Die ganze Redaktion wünscht Dir und den anderen Kandidaten viel Erfolg!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.