Ein Gastartikel von Gilles Bordelais
Trockener Textstrich voraus.
“Der Bundesvorstand der Piratenpartei Deutschlands hat am 8. Oktober 2013 im Namen der Partei vor dem Verfassungsgericht Organklage gegen den Bundestag eingereicht, um gerichtlich feststellen zu lassen, dass die 3%-Sperrklausel bei der Wahl zum Europäischen Parlament, auch 3%-Hürde genannt, verfassungswidrig ist.”
Geht das auch in weniger trocken?
Ja, es geht.
Was ist passiert?
Am 8. Oktober hat der Bundespräsident Joachim Gauck das Gesetz zur Einführung einer 3%-Hürde unterschrieben. Die Piratenpartei hat am selben Tag Klage beim Verfassungsgericht eingereicht. Eine “Organklage” ist dafür da, feststellen zu lassen, dass ein Teil des Staates (“Organ”, wie beim Körper) aus der Sicht eines anderen Organs, und dazu gehören freudlicherweise in diesem Fall auch Parteien, Mist baut. So weit, so klar. Aber: Hatten wir das nicht schon mal? Doch, hatten wir. Lasst uns mal die Uhr zurückdrehen.
Was ist vorher passiert?
Im November 2011 hatte das Verfassungsgericht die bis dahin geltende Hürde für die Europawahl in Höhe von 5% abgeschafft. Begründung:
Der mit der Fünf-Prozent-Sperrklausel in § 2 Abs. 7 EuWG verbundene schwerwiegende Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien ist unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen nicht zu rechtfertigen.
Union & SPD 2012 so: “Komm, wir lassen uns so’n Wisch vom EP schreiben, da hätte sich was geändert. Wär doch gelacht, wenn das nicht ginge. Zusammen haben wir da mit unseren beiden Fraktionen die absolute Mehrheit.”
Union, SPD, Grüne und FDP 2013: “Das EP hat letztes Jahr gesagt, es hätt’ sich was geändert! Wir brauchen auf den letzten Drücker noch schnell ‘ne 3%-Hürde!”
Merkt Ihr selbst, ne?
Übersetzt: Die Hürde benachteiligt ungerechtfertigterweise kleine Parteien. Weg damit.
Damit wollte sich die Mehrheit der etablierten Parteien aber nicht zufrieden geben. Da das Verfassungsgericht aber klar gemacht hatte, dass ohne Änderung der Verhältnisse im Europäischen Parlament am Urteil nicht zu rütteln sei, haben deutsche Konservative und Sozialdemokraten zuerst einen Beschluss (“Entschließung”) des Europäischen Parlaments für ihre Zwecke verändern lassen. In der am 9. November 2012 abgestimmten Fassung fordert das Parlament die Mitgliedsstaaten dazu auf, “geeignete und angemessene Mindestschwellen […] festzulegen”. Und dann hat sich der Bundestag auf diesen Beschluss berufen und am 13. Juni 2013, nebenbei gemerkt in der letzten Sitzung vor der Pause, mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und FDP die neue Hürde in Höhe von 3% zum Gesetz gemacht.
Aber für die Bundestagswahl haben wir doch eine 5%-Hürde!
Stimmt, aber da wird argumentiert, dass die Hürde wichtig für die Stabilität der Republik sei. Wenn lauter kleine Parteien im Bundestag säßen, so die Argumentation, sei kein stabiles Regieren möglich. Da im Europäischen Parlament so oder so Dutzende von national gewählten Parteien zusammentreffen, verpufft dieses Argument. Ob Deutschland ins Parlament vier oder sechs Parteien entsendet, wovon manche nur zwei Abgeordnete stellen, ist irrelevant. Wichtig sind die Fraktionen, in denen diese sich zusammenfinden. Sie heißen im Europäischen Parlament gerne einfach “Gruppen”, da dieses Wort im Englischen und Französischen verwendet wird.
Und jetzt?
Jetzt schauen wir alle gespannt nach Karlsruhe. Wenn sich das Verfassungsgericht nicht eine ganz neue Argumentationskette zulegt, ist eine Niederlage schwer vorstellbar. Allerdings ist unklar, wie schnell sich die hohen Richter mit dem Fall befassen. Möglich ist also auch eine Entscheidung, die zwar in unserem Sinne ausfällt, aber zu spät kommt. Denn wenn das Bundesverfassungsgericht erst nach der Wahl zu einem Urteil kommt, ist es gut möglich, dass es das Wahlrecht zwar für verfassungswidrig erklärt, dies aber nicht rückwirkend für die Europawahl 2014 geltend macht, da das gewählte Parlament dann “Bestandsschutz” hat. À suivre…