Egal ob Twitter, Mailinglisten, Blogs oder andere Diskussionsplattformen: Wer in den letzten Tagen eines dieser Medien verfolgt hat, konnte dabei zuschauen, wie sich die Piraten selbst demontieren. Es wird geschimpft, beleidigt, wüste Anschuldigungen fliegen durch die Gegend, langjährige Mitglieder treten aus der Partei aus, Teile des Bundesvorstands treten zurück.
Angefangen hat wohl alles mit der Diskussion um die Antifa-Flagge auf dem BPT 14.1 in Bochum. Extremismus war hierbei das Schlagwort. Und sicherlich ist dies auch ein diskussionwürdiges Thema: Wie geht man damit in der Partei um? Was kann man dagegen tun? Wo fängt Extremismus überhaupt an? Doch statt die Diskussion über die Antworten auf solche Fragen in den Vordergrund zu stellen, stach wieder das altbekannte Piratenproblem heraus: viele Meinungen und Standpunkte wurden unbeugsam und lautstark mit einer entsprechenden Portion Provokation zum Besten gegeben. Ein wirkliches Ergebnis gab es dazu nicht; dennoch beruhigte sich der Wirbel um dieses Thema wieder ein wenig. Doch die Glut, die das Feuer wieder entfachte, ließ nicht lange auf sich warten. Die Rede ist von der fragwürdigen Aktion seitens Anne Helm, Europakandidatin der Piratenpartei Deutschland. Dieses #bombergate brachte die Diskussion an die Öffentlichkeit, da es ein gefundenes Fressen für die traditionellen Medien war, wieder einmal zu zeigen, wie innerlich zerrissen die Piraten sind. Leider zu recht. Die Folgen davon sollte allen bekannt sein: #orgastreik und der Austritt vieler, auch langjähriger und bekannter, Piraten, um nur zwei davon zu nennen.
Nun ist es vielleicht an der Zeit, einmal einen Strich unter diese Bilanz zu ziehen und sich zu fragen, was wir damit alle erreicht haben. Ist etwas besser geworden? Wurden die Probleme gelöst? Was haben wir Positives erreicht? Die Antworten darauf sind eigentlich eindeutig: Wieder einmal haben wir uns mehr geschadet, anstatt konstruktiv eine Lösung zu finden. Weder für die anstehenden Wahlkämpfe noch für die Partei selbst ist das Bild der zerstrittenen und sich gegenseitig angreifenden Piraten hilfreich. Dabei geht es noch nicht einmal zwingend darum, ob wir zu dieser oder jener Wahl gewählt werden, denn die berechtigte Frage ist doch: Wie wollen wir Konzepte wie Basisdemokratie, Bürgerbeteiligung und Transparenz vermitteln, wenn wir mit unserem Verhalten zeigen, dass es nicht einmal innerhalb der Piraten richtig funktioniert? Viele Menschen müssen erst noch überzeugt werden, dass diese Ideen umsetzbar sind und ihnen Vorteile bringen. Doch das schaffen wir nicht, indem wir immer wieder durch Aktionen dieser Art unsere Glaubwürdigkeit verspielen.
Diese Kritik soll jedoch nicht nur die „Basispiraten“ auf Twitter, den Mailinglisten und anderen Kommunikationskanälen treffen, sondern auch und insbesondere Piraten, die ein Mandat oder Amt oder ähnliches innehaben. Denn diese Personen haben – ungeachtet dessen, ob der- oder diejenige und andere das möchten oder nicht – eine größere Außen- und Innenwirkung. Sowohl die Medien als auch die Piraten selbst beobachten Worte und Taten einer solchen Person viel genauer. Dementsprechend lösen Aktionen von ihnen auch meistens größere Reaktionen aus. Als aktuelles Beispiel kann man dafür durchaus Anne Helm nehmen und sich fragen: „Müsste sie sich nicht ihrer Wirkung bewusst sein und die eventuellen Folgen absehen können?“ Ob diese Aktion nun verachtens- oder bewundernswert war, soll hier gar nicht zur Debatte stehen. Es ist eher der Gedankengang bzw. die Entscheidung, die dazu führte, die in Frage gestellt werden sollte. Von vornherein muss man sich eigentlich klar machen: Diese Aktion und diese Aussage kann stark provozierend oder beleidigend sein – muss das wirklich sein oder gibt es eine andere Möglichkeit, seine Meinung zu zeigen? Es soll dabei natürlich nicht darum gehen, sich selbst oder anderen den Mund zu verbieten. Oftmals müssen Taten und Worte provozierend oder kontrovers sein, damit sie eine gewisse Aussagekraft erhalten. Wenn man allerdings andere damit vor den Kopf stößt, beleidigt oder kränkt, erreicht man dadurch genau das Gegenteil von dem, was man zu erreichen versuchte: Die Menschen verschließen sich vor der dargestellten Meinung und sehen nur noch den beleidigenden/provozierenden Charakter des Mittels.
Sich der möglichen Auswirkungen bewusst zu sein und sich aktiv gegen etwas zu entscheiden, das negative Folgen haben kann, ist in vielen Fällen nicht einfach. Doch sowohl im Kleinen als auch im Großen sieht man die Auswirkungen sofort. Selbst wenn es nur die 140 Zeichen für einen Tweet sind, die man für eine provozierende Aussage nutzt, reiht man sich schnell in die Reihe der Menschen ein, die genau dasselbe machen. Nach außen hin gibt genau dies das Bild der beleidigenden und pöbelnden Piraten ab, das oftmals – und, wie bereits erwähnt, nicht zu Unrecht – sowohl intern als auch extern verbreitet wird. Ein weiteres, gutes Beispiel dafür ist die Aktion der Verwaltung der Piratenpartei, besser bekannt als #orgastreik. Auch hier soll nicht über deren Richtigkeit diskutiert werden, aber es stellt sich doch wieder dieselbe Frage: Welche Reaktionen werden damit hervorgerufen? Wird damit wirklich ein Zeichen gesetzt und die Piraten zur Besinnung gebracht, oder werden noch heftigere Reaktionen damit provoziert? Schaut man sich die Reaktionen dazu an, wird schnell klar, dass es eher zweites ist. Anschuldigen wie Machtmissbrauch und Rufe nach einer neuen Verwaltung waren und sind als Folge keine Seltenheit.
Das schadet uns, wie bereits erwähnt, nicht nur in der Außenwirkung. Innerhalb sehen wir vor allem in letzter Zeit vermehrt Austritte – aber auch das ist nur der letzte, für alle sichtbare Schritt. Es gibt viele Piraten, die sich vorwiegend kommunal oder anderweitig in verschiedenen Projekten engagieren. Sie wollen die Welt im Kleinen verbessern und schaffen dies meist nur in kleinen Schritten und mit sehr viel Zeitaufwand. Da ist Frustration durchaus nachvollziehbar, wenn man am nächsten Tag die Zeitung oder den Blog öffnet und lesen muss, wie der eigene Fortschritt durch solche Dinge wieder behindert oder gar nichtig gemacht wird. Die unmittelbare Auswirkung: Demotivation. Und das ist, besonders in unseren Reihen, oftmals das Todesurteil für jedes Engagement. Insbesondere im kommunalen Rahmen arbeiten die Piraten nicht an Problemen, weil sie dafür gut bezahlt werden oder Anerkennung einheimsen, sondern weil sie den Menschen in ihrer Umgebung ein besseres Leben und mehr Beteiligung an der Politik, die sie betrifft, ermöglichen wollen. Wenn einem bei dieser Arbeit allerdings immer wieder Steine aus den eigenen Reihen in den Weg geworfen werden, hinterfragt man natürlich schnell den Sinn des Ganzen.
Doch genug der Kritik, es wird Zeit für Lösungvorschläge. Leider ist das einfacher gesagt als getan, denn Probleme solchen Ausmaßes, mit der Beteiligung von so vielen Personen, können natürlich nicht von heute auf morgen gelöst werden. Generell sollte natürlich jeder – egal ob Basispirat, Mandats- oder Amtsinhaber – sich seiner Außenwirkung bewusst sein. Das Internet eröffnet einem die Möglichkeit, in kurzer Zeit einen Gedanken zu veröffentlichen, der von vielen Menschen gelesen wird. Gerade deswegen sollte jeder sich bewusst sein, welche Folgen dieser Gedanke haben kann, wenn ich damit verletzen oder beleidigen könnte, wenn ich damit provoziere und, vor allem, ob er wirklich notwendig ist – oder, ob ich ihn nicht zumindest so zum Ausdruck bringen kann, ohne gleich einer Vielzahl von Leuten vor den Kopf zu stoßen.
Das ist normalerweise eine der Grundsäulen für eine gesunde Diskussionskultur, wird aber immer wieder missachtet. Und das wird sich ohne Weiteres nicht ändern. Doch bindende Regeln dafür durchzusetzen ist beinahe unmöglich. Sicherlich kann man diese – beispielsweise in Form eines Kodex – aufschreiben, und jedes Mitglied kann verpflichtet werden, sich daran zu halten. Doch wer setzt dies um? Wer entscheidet im Zweifelsfall? Wer kann schon alle Medien kontrollieren, die die Piraten als Plattform nutzen? Ein erster Schritt wäre es aber zumindest, eine Art Verhaltenskodex für alle Mandats- und Amtsträger verpflichtend einzuführen, zusammen mit einem Gremium (in der Art des Schiedsgerichts), dass im Zweifelsfall auf einzelne Meldungen eingeht und auch entsprechende Maßnahmen einleiten kann, sollte es notwendig sein. Auch das ist natürlich keine Aufgabe, die man von heute auf morgen schnell umsetzen kann. Besonders um die Grundsätze der Piraten zu wahren, müsste hier viel beachtet werden, wie beispielsweise Transparenz im Rahmen des Datenschutzes. Auch Maßnahmen gegen Missbrauch müssten natürlich geschaffen werden, so zum Beispiel, dass das Gremium nur aktiv werden muss, wenn genügend Piraten eine entsprechende Meldung unterstützen.
Es ist wirklich traurig und sehr schade um die viele gute Arbeit, die so viele Piraten leisten. Wenn wir nicht bald etwas dagegen unternehmen, drehen wir uns immer tiefer in diese Teufelsspirale. Gerade zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Kommentars hat ein Teil des Bundesvorstands seinen Rücktritt bekanntgegeben. Liest man die Begründung dafür, erkennt man, dass auch das eine Folge der genannten Probleme ist. Und, auch wieder ungeachtet dessen, ob man diesen Rücktritt für richtig hält oder nicht, zeigt er uns allen doch zumindest eines: Wir sind kurz davor, uns von Innen heraus selbst zu zerstören und müssen diesen Verfall dringend aufhalten. Dazu müssen wir es schaffen, uns wieder auf unsere Gemeinsamkeiten anstatt auf unsere Unterschiede zu konzentrieren. Bürgerbeteiligung, Basisdemokratie, Digitale Rechte, Transparenz – das alles können wir nur schaffen und umsetzen, wenn wir aufhören, uns ständig untereinander anzugreifen und stattdessen an unseren gemeinsamen Zielen arbeiten.