
Die Europawahl war mit der Aufstellungsversammlung das beherrschende Thema beim BPT14.1 in Bochum. Die Halle war den meisten Piraten vertraut, fand doch der BPT12.2 schon dort statt – die Flaschenpost berichtete.
Aber die Zeiten ändern sich. Dieses Mal waren gut 700 Piraten akkreditiert, das Presseinteresse war deutlich kleiner als in den Zeiten, in denen wir bei Umfragen im zweistelligen Bereich lagen. Die wenigen anwesenden Journalisten wurden zu allem Unglück gleich am Anfang von einem anwesenden Piraten hart angegangen, während sie die Eröffnungsrede von Thorsten Wirth mitschreiben und fotografieren wollten. Die Reaktion war absehbar: Sie packten ihre Sachen zusammen und verließen mehrheitlich den Parteitag. Die Folge: Die Berichterstattung über den eigentlich erfolgreichen Parteitag fiel sehr dünn aus.

Einen kleinen Aufruhr löste eine Antifa-Fahne aus, die an die Balustrade zwischen Wahlplakate gehängt worden war. Zwar von der Versammlungsleitung genehmigt, entbrannte jedoch recht schnell ein Streit, vornehmlich über Twitter. Während dabei die eine Seite „Antifa“ als Begriff der Bekämpfung von Faschismus betrachtet, befürchtete die andere Seite, in Verbindung mit radikalen Gruppen gebracht zu werden.
Der nächste Parteitag verspricht nun, spannend zu werden – inzwischen wird bereits diskutiert, ob „Wombat“-Plakate uns zu sehr mit Kleintierzüchtervereinen in Verbindung bringen könnten…
Damit die zwei eigentlich getrennten, jedoch praktisch gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen – Aufstellungsversammlung und Parteitag – besser zu unterscheiden waren, gab es Stimmkarten und -blöcke in unterschiedlichen Farben. Damit auch den Versammlungsleitern anzusehen war, bei welchem Tagesordnungs-Punkt wir uns jeweils befinden, trugen sie während der Aufstellungsversammlung Abendkleidung, während des BPT Morgenmantel und Handtuch.
Den meisten Raum nahm die Aufstellungsversammlung ein. Am ersten Tag reichte die Zeit zumindest für die Vorstellung aller Kandidaten, bei maximal 10 Minuten Zeit für jeden Kandidaten. Ob der Kandidat später befragt werden sollte oder nicht, wurde abgestimmt. Wobei das Ergebnis meist recht eindeutig war.
Die Vorstellungen waren teils interessant, teils hatten sie ihre Längen. Zehn Minuten können eben entweder viel zu schnell vorbei sein oder auch endlos erscheinen. Immerhin: Bei einer Kandidatenvorstellung verspürten viele Piraten Lust, sich die Beine zu vertreten und verließen die Halle.
Auch der Pirat, der die Presse vertrieben hatte, trat als Kandidat an. Er nutzte seine 10 Minuten Redezeit hauptsächlich dazu, über die vertriebenen Journalisten zu schimpfen, Zeit für die eigene Vorstellung blieb dabei kaum. Eine weitere Befragung dieses Kandidaten wurde dann allerdings mit 100% der lila Karten beantwortet – also abgelehnt!
Die Kandidatenbefragungen hatten – wie die Vorstellungen selbst – Höhen und Tiefen. Befragt wurden ohnehin nur Kandidaten, denen die Versammlung Chancen zur Wahl einräumte. Bei der Befragung waren es manchmal auch die Fragesteller, die ein peinliches Bild ablieferten. Für spontanes Gelächter sorgten Fragen, die in schlechtem Englisch gestellt wurden, von manchen Kandidaten hingegen in bestem Oxford-Englisch beantwortet wurden. Unterhaltsam war ein kurzer Dialog auf Mandarin – Piraten haben viele Fähigkeiten!
Für Unentschlossene half ein Kandidat-O-Mat bei der Wahl des richtigen Kandidaten. Es gab laut Zugriffsstatistik über 4000 Aufrufe der Entscheidungshilfe – das Interesse schien wohl groß zu sein.
Für die Wahlgänge standen rund 100 Wahlkabinen aus Pappe bereit. Sie wurden von der Stadt Bochum ausgeliehen. In jeder Kabine lag ein Stift, die Wahlurnen waren so positioniert, dass möglichst schnell abgestimmt werden konnte. So schoben sich in Reih‘ und Glied, Schlangen von abstimmenden Piraten in das 1. Obergeschoss hoch, nahmen Platz und machten die Kreuze auf den Wahlzetteln. In dieser Zeit herrschte in der Halle geschäftige Betriebsamkeit.
Das Wahlverfahren versprach Spannung, denn durch den ersten Wahlgang kamen alle Kandidaten, die mehr als 50% der Stimmen auf sich vereinen konnten. Dies sagte aber noch nichts über die Reihenfolge aus, in der die Kandidaten auf dem Wahlzettel stehen werden. Aus Deutschland werden 96 Abgeordnete nach Brüssel und Strassbourg ziehen. Deswegen ist bei der Europawahl für jeden Abgeordneten gut 1% der Wählerstimmen notwendig. Wird also die 3%-Hürde nur knapp übersprungen, stellt die Piratenpartei 3 Abgeordnete. Sollte das Bundesverfassungsgericht die 3%-Hürde für nichtig erklären, würde schon etwas weniger als 1% der Wählerstimmen ausreichen, um die erstplatzierte Julia Reda ins Parlament zu bringen. Jedes weitere Prozent einen weiteren Kandidaten der 12-er Liste:
- Julia Reda
- Fotios Amanatides
- Anke Domscheit-Berg
- Bruno Kramm
- Anne Helm
- Gregory Engels
- Jens Peter Seipenbusch
- Gilles Bordelais
- Martina Pöser
- Patrick Schiffer
- Martin Kliehm
- Stevan Cirkovic
Zusammenfassend gesagt war es ein guter Parteitag. Produktiv und diszipliniert – für piratige Verhältnisse. Eine Partei unterhalb der 5%-Marke lockt keine Karrieristen an. Es kann eine Chance sein, unter der Wahrnehmungsgrenze in den Europawahlkampf zu starten.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.