Ein Gastartikel von Fabio Reinhardt.
Bevor ich zu den Piraten kam, war ich vor allen Dingen in der Hochschulpolitik aktiv. 2005 wurden in Niedersachsen die allgemeinen Hochschulgebühren eingeführt. Das politisierte viele an der Uni. (Kleine Randnotiz: Nach langem Kampf und einem Paradigmenwechsel wurden die Studiengebühren Ende 2013 auch in Niedersachsen als letztem Bundesland wieder abgeschafft.) Der Widerstand gegen Studiengebühren und anderen Bildungshürden ist für mich ein Kampf für gesellschaftlichen Zugang und Teilhabe.
2007 begann ich dann, mich stärker im Bereich Datenschutz zu engagieren. Das Thema erschien mir wichtig, öffentlich unterrepräsentiert und verständlich genug, um darüber Menschen zu politisieren. Ich gründete mit Jens Schicke und Björn Willenberg einen Datenschutz-Stammtisch in Braunschweig, wurde Piraten-Mitglied und 2008 Datenschutz-Referent an der Uni, organisierte mehrere Demos und eine Veranstaltungsreihe zu Bürgerrechten unter anderem mit Rolf Gössner und Jan Albrecht.
Meine Hauptmotivation beim Datenschutz ist die Frage: Wer kontrolliert welche Information? Einerseits werden von staatlicher Seite und auch von Unternehmen massenhaft Informationen über die Bevölkerung und ihr Verhalten gesammelt. Andererseits werden deren berechtige Informationsansprüche ignoriert oder marginalisiert. Das Informationsfreiheitsgesetz wird nur schleppend angewandt, Bundestagsausschüsse sind nicht-öffentlich, Abgeordnete klagen gegen die Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte und große Unternehmen geben nur das nötigste über sich Preis. So wird Macht verschleiert und auch die Frage, wer eigentlich die Zugänge zu Ressourcen und Informationen im Detail kontrolliert oder auch versperrt. Es existiert ein Informationsungleichgewicht, das es von beiden Seiten aus aufzulösen gilt.
Im Bereich Immaterialgüter ist es ähnlich: Informationen, Kultur- und Allgemeingüter werden der öffentlichen Nutzung entzogen, ihre Anwendung und Nutzung unter Strafe gestellt. Dabei werden in einigen Fällen wirtschaftliche Interessen, in anderen Schutzbedürfnisse vorgeschoben oder gleich legalistisch oder gar nicht argumentiert. De facto herrscht auch hier ein Informations- und damit Machtungleichgewicht, dem man nur teilweise durch den Besitz von ausreichend Geld entkommen kann.
Letztendlich geht es also in beiden Bereichen – Bildung und Informationspolitik – um Macht und den Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen. Wer besitzt sie? Wer darf sie wem verwehren oder zusprechen? Wenn man diese Perspektive einmal gewählt hat, kann man sie benutzen, um weitere Politikfelder zu beschreiben. So wie es durch breitere Bürgerbeteiligung um die Demokratisierung existierender Machtstrukturen geht, geht es auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik um die Frage, wer die Kontrolle über die Produktionsmittel und deren Output hat, wer durch Geldmittel über wie viel Macht verfügt. Auch hier geht es letztlich um die Machtfrage, also die Frage, wer in unserer demokratischen Gesellschaft wie viel Einfluss ausübt.
Bei der Frage nach Beteiligung an politischen Prozessen stellt sich automatisch auch die Frage, wer daran teilnehmen darf. Der Ausschluss von Beteiligung aufgrund des Alters ist bereits umstritten, aber in Teilen noch nachvollziehbar. Ausschluss aufgrund von Staatsbürgerschaft hingegen lehnen wir klar ab. Das Wahlrecht ist unteilbar und sollte von allen Menschen wahrgenommen werden dürfen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind.
Die Piraten haben bisher in allen politischen Feldern, mit denen sie sich befasst haben, die Machtfrage gestellt. Mal bewusster, mal unbewusster. Es ging immer um die Fragestellung – wer darf an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen, sei es im kulturellen Bereich oder in politischen Prozessen. Bei der Machtfrage zur Urheberrechtsreform taten wir uns leichter, weil dort von Anfang an viel Expertise vorhanden war.
Bei der Frage nach der Sozialpolitik musste die Expertise erst aufgebaut werden. Im Laufe dieses Prozesses ging es nicht mehr nur darum, wer teilnehmen darf, sondern verstärkt auch um die Frage, was passieren muss, damit auch alle teilnehmen können. Auch hier war klar, dass wir die gesellschaftlichen Einschränkungen durch soziale und finanzielle Exklusion nicht hinnehmen wollen. Mit den Entwürfen für ein Bedingungsloses Grundeinkommen wurde eine Möglichkeit gesehen, sowohl den Teilhabeausschluss durch finanzielle Hürden, als auch die Freiheitseinschränkungen durch soziale Kontrolle und Gängelung zu überwinden. Letztlich also eine inhaltliche Entwicklung, die sich mit “nicht nur Chancen, sondern Möglichkeiten schaffen” zusammenfassen lässt.
Vor diesem Hintergrund sind auch Migrationsbeschränkungen kritisch zu hinterfragen, da hier letztlich allein aufgrund willkürlicher Kriterien wie Staatsbürgerschaft die Möglichkeiten selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe genommen werden.
Wie können wir Machtkonzentrationen beschränken, Ressourcen gerecht verteilen und möglichst vielen Menschen die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Das genau sind die Fragen, die seit dem 19. Jahrhundert klassischerweise von den Linken gestellt wird. Linke Bewegungen haben den besseren gesellschaftlichen Zugang für prekäre Schichten wie Fabrikarbeiter erkämpft und sich für faire Arbeits-, Lebens- und Gesundheitsbedingungen eingesetzt. Sie haben die Einführung der Demokratie und das Wahlrecht für
Frauen erstritten. In dieser Tradition, also einer autoritäts- und machtkritischen Perspektive, stehen auch die Piraten. Vom Bildungszugang und Informationsfreiheit über Netzneutralität, Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem. In klassischen Bereichen und eher neuen. Egal wie rasant sich die Technik weiterentwickelt, in wie vielen Jahren sich die Rechnerleistung gerade verdoppelt – das Grundprinzip ändert sich nicht.
Es geht um den gerechten Zugang zu Wissen, Bildung und Demokratie unabhängig der Staatsangehörigkeit, des Standes, der Herkunft, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, oder der sexuellen Orientierung. Vor diesem Hintergrund sehe ich die Piratenpartei als klare Weiterführung linker und sicherlich auch liberaler Werte.