Wie in jeden Konflikt muss man auch in der Ukraine-Krise Ursachen und Anlass unterscheiden. Es ist kein spontaner Konflikt: Gegensätze zwischen dem Osten und dem Westen der Ukraine bestanden seit dem Ende der UdSSR. Zur Zeit der UdSSR waren diese Gegensätze überdeckt. Zum anderen gibt es zunächst einen Konflikt innerhalb der Ukraine, dann einen um die Ukraine.
Die EU hat mit dem Assoziierungsabkommen und dessen Platzen aus Unwissenheit oder Unfähigkeit ihrer Außenpolitiker den Anlass zum offenen Ausbruch des Konfliktes innerhalb der Ukraine gegeben.
Die West-Ukraine spricht Ukrainisch, die Ost-Ukraine Russisch. Marina Weisband hat in der ZDF-Sendung maybritt illner am 24. April gesagt, für die Ost-Ukrainer sei Russland eine Verlockung, weil es Russland wirtschaftlich besser ginge und z. B. die Pensionssysteme dort besser seien als in der Ukraine und weil man Russland besser verstehe als die EU. Deswegen sei dort bei einem Referendum eine pro-russische Mehrheit denkbar.
Die Proteste auf dem Maidan haben nach dem Ausbruch der Gewalt es Russland möglich gemacht, den Konflikt um die Ukraine zu beginnen, denn die Krim ist für Russland von strategischem Interesse. Das Muster ist nicht neu, wie frühere Konflikte in Abchasien und Südossetien (Georgien) zeigen. Dass heute „ein lupenreines Paulinchen“ mit dem Feuer spielt, könnte aber eine Fehlwahrnehmung sein.
Dieser Konflikt kann nicht gelöst werden, indem NATO/EU/USA und Russland sich gegenseitig zu belehren versuchen. Vermittlung und Schlichtung wäre hier eine Aufgabe – und potentielle Sternstunde – für den Europarat und die OSZE, denn es ist ein klar europäisches Problem. Die UNO kann hier keine Lösung offerieren. Denn bei einer Abstimmung im UN-Sicherheitsrat würden sich die USA und Russland mit Vetos gegenseitig und damit die Handlungsfähigkeit der UNO blockieren. Als alternatives Instrument der Kommunikation gäbe es den NATO-Russland-Rat, den jedoch ebendiese Politiker, die den ganzen Schlamassel ausgelöst haben, und die USA gerade auf Eis gelegt haben.
Sanktionen sind kein Mittel. Dass manche EU-Staaten (z.B. Finnland, die baltischen Staaten, Slowakei, Bulgarien) sich zu fast 100% von russischem Gas abhängig gemacht haben, ist bestenfalls sehr unüberlegt. Und bei jedem Konflikt einfach nach Sanktionen zu rufen, ist auf Dauer keine Politik. Ihre „Wirksamkeit“ hat sich bereits im Syrien-Konflikt hinlänglich bewiesen. In der oben angesprochenen ZDF-Sendung hat ein ehemaliger deutscher NATO-General sinngemäß gesagt, EU und NATO hätten kein Krisenmanagement, sondern was sie vollführten, sei der Bankrott von Politik.
Die Ukraine muss selbst die Lösung finden. Da wäre eine Art Runder Tisch ein Modell, an dem zunächst einmal alle ukrainischen Gruppen sitzen. EU, Russland, USA und OSZE sollten in erster Linie unterstützen und nicht mitentscheiden. Vor allem sollte eine Lösung nicht von außen antizipiert werden. Natürlich gibt es Modelle. Einmal: Die Ukraine bleibt als Ganze erhalten. Oder: Neben einer Aufspaltung der Ukraine in einen westlichen und östlichen Teil – und womöglich eine russische Krim – wäre auch eine Föderation denkbar, möglicherweise nur als Übergangslösung. Die De-facto-Annexion der Krim, auch wenn sie vielleicht den größten Angriff auf das Völkerrecht seit fast 70 Jahren darstellt, ist heute völlig in den Hintergrund getreten. Dass die Trennung eines Landes in zwei Länder friedlich vonstatten gehen kann, hat die Tschechoslowakei bewiesen. Aber es kann nur das geschehen, was die Ukrainer beschließen. Dazu gehört, dass ein Referendum der Bürger in garantierten freien, gleichen und geheimen Wahlen unter Aufsicht internationaler, unabhängiger Beobachter von allen Beteiligten akzeptiert wird.
Zwei Dinge sollte man aber noch bedenken. Kann auch mit massiver Unterstützung z. B. der OSZE in Monatsfrist eine Präsidentenwahl so durchgeführt werden, insbesondere im Osten der Ukraine, dass das Ergebnis dort als legitimiert angesehen wird? Wenn nicht, würde dies die Situation, die ohnehin von Tag zu Tag zu eskalieren scheint, und zwar nicht zuletzt auch aufgrund der Eskalationsrhetorik des Westens, weiter verschärfen.
Es gibt Dinge, die jedenfalls nicht funktionieren. Wenn die Kiewer Regierung heute versucht, die Bewaffneten Besetzer von Regierungsgebäuden in der Ost-Ukraine mit Gewalt zu entwaffnen, dann spielt sie Putin in die Hände, bemerkt Marina Weisband zu Recht. Und was die EU auf der einen Seite und Putins Russland auf der anderen aufführen, wirkt wie das Gezerre von Kindern um ein Spielzeug. Die EU will die West-Ukraine, irgendwann als Mitglied, und Russland die Ost-Ukraine. So etwas geht nicht gut. Worüber man sich mit Russland verständigen muss, ist dass und wie wir gemeinsam dafür sorgen können, dass es nicht zu einem Bürgerkrieg kommt. Und müssen die Ukrainer entscheiden, wie sie weitermachen wollen. Im Augenblick ist die Zukunft der Ukraine höchst ungewiss.