Ein Kommentar vom Sperling
Ich bin lange in mich gegangen und hab mir gut überlegt, ob ich zum Inhalt von Sascha Lobo’s Rede auf der re:publika schreiben soll. Denn ich bin als Pirat nicht neutral. Letztendlich schreibe ich doch, aus meiner Piratensicht, denn in mir staut sich immer mehr eine Wut auf, die auf so weit als möglich gemäßigte Art ‚raus muss.
Lobo’s Klage
Er beklagt die Bekassine sei den Leuten mehr wert als das Internet. Es gäbe wesentlich mehr Spenden für deren Erhalt als für Organisationen, die sich für die Freiheit des Internet betätigen wie z.B. Netzpolitik e.V. und die „digitale Gesellschaft“. Die Bekassine hatte 120 Mitarbeiter, die Netzneutralität nur zwei. Er beschimpft die anwesende Community, sie würden nichts bezahlen – aber Geld wäre so wichtig, da ohne Geld nichts ginge, es gäbe ohne Geld keine Konstanz. Und so weiter und so fort … mimimi …
Was er wie so viele, die ihm zustimmen, vergessen hat: Es gab eine Zeit, als es möglich war, dass sich viel viel mehr tut, als sich tat. Das war die Zeit, als die PIRATEN ihren Höhenflug begannen, Herbst 2011 bis Frühjahr 2012. Und dass die PIRATEN zwar nicht gerade im Geld schwimmen, aber – als einzige – weltweit aktiv sind mit diversen Festangestellten oder „bezahlten Kräften“ (man nennt sie allgemein Abgeordnete, Parlamentarier, Räte o.ä.). Und so weiter und so fort …
Was wirklich war
Aber viele derjenigen, die sich hätten einbringen können, deren Fachwissen, mediale Präsenz und Charisma für das gemeinsame Anliegen hätte sinnvoll genutzt werden können, haben es nicht getan. Zum einen aus politischen Gründen – sie waren oder sind selbst politisch aktiv, vor allem in der SPD und bei den Grünen. Da ging es gar nicht, den Parteien, bei denen sie immer belächelt oder ignoriert wurden, den Rücken zu kehren und etwas neues zu tun – es waren Pfründe zu verlieren, oder Freunde, oder beides. Andere kamen nicht, weil sie Politik als etwas schmutziges betrachteten und als etwas, das Kunden oder Arbeitsplätze kosten könnte. Und – ganz wichtig – manche/r auch aus Feigheit und Bequemlichkeit. Denn wer Farbe bekennt, macht sich angreifbar und muss „machen“ und nicht nur reden.
Bis auf einige wie Anke und Daniel Domscheidt-Berg oder @kattascha (um nur drei Beispiele zu nennen) haben viele stattdessen nichts getan oder die Gunst der Stunde genutzt, um ihre eigene Ziele voranzubringen/eigene Vereine zu gründen oder präsenter zu machen und z.B.mit Beratungen und Referaten bei etablierten Parteien/Industrie/Think Tanks Einfluss zu erhalten oder simpel Geld zu verdienen. Auf einmal waren sie gefragt und sie redeten sich ein, jetzt würden sie endlich ernsthaft wahrgenommen – als wäre es Ihr Verdienst, und nicht das der PIRATEN. Sie haben sich selbst belogen, mittlerweile werden sie (wenn überhaupt) wieder wie früher behandelt. Sie haben, nun neu, von den Eliten den Status „Piratenwählerfänger“ bekommen, dafür sind sie Ihnen gut genug, aber auf sie gehört wird nicht. Wie früher.
Selbst schuld!
Wenn Ihr jetzt kollektiv Sascha zustimmt oder selbst jammert, macht Ihr es euch zu einfach. Ihr habt es selbst versaut, ihr hättet was tun können, ihr hättet dort, wo man einzig und allein etwas bewegen kann, nämlich in den Parlamenten, aktiv sein können und damit den Etablierten dauerhaft Angst einjagen können – denn die hatten eine Scheissangst und haben sich deswegen bewegt. Damals.
Stattdessen habt ihr an euch gedacht und auch, dass man sich in der Politik (also auch bei den PIRATEN) mit Trollen, Querulanten, Traumtänzern und anderen Spinnern herumschlagen muss – das war zu aufwendig. Nicht mal zum Spenden wart ihr bereit, so gut wie nichts ist gekommen. Ok, viel Anerkennung kam, aber die kostet ja auch nichts und hilft genau NULL.
Fazit
Ich habe kein Mitleid mit euch, denn ich mache Politik – eben weil ich etwas bewegen will. Lobbyarbeit ist wichtig und gut, aber wenn sie kein Gehör findet, muss man eben die Hände in den Dreck tauchen (und damit wirksam Politik machen) und selbst etwas tun. Das haben die Sozialisten und die liberalen Bürgerrechtler im 19. Jahrhundert getan, das haben die Grünen im 20. Jahrhundert getan, das tun die Piraten im 21. Jahrhundert.
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂