Ein Gastartikel von Thomas Köhler
Das Meckern nach der Wahl ist eine der üblichen Reaktionen auf ein unerwünschtes Ergebnis. Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen, ist zwar effektiver, aber auch schwerer. Soweit der Einstieg zu den Reflexionen über die Stadtratswahl in Leipzig und die Europawahl.
Als Erstes Glückwunsch stellvertretend für alle neu gewählten Piraten an Julia Reda (@senficon), unserer Europaabgeordneten, und an Ute Elisabeth Gabelmann (@Piratenlily), unsere Leipziger Stadträtin, zum Wahlerfolg.

Ja, es ist als Erfolg zu werten, dass es uns trotz aller eigenen und fremden Anstrengungen gelungen ist, Wählerstimmen zu bekommen. Auf die eigenen Anstrengungen, dies zu verhindern, muss hier nicht weiter eingegangen werden – Insider wissen Bescheid, für die Nichtwissenden soll es nicht aufgewärmt werden. Die fremden Anstrengungen bestanden zumeist im Ignorieren der Piraten, welches sogar nach der Stimmauszählung fortgesetzt wurde. Aber das ist jetzt schon Geschichte. Viel wichtiger ist es, weiter und in Zukunft einiges besser zu machen. Hier steht natürlich die Frage nach dem Wie. Allgemein besteht wohl die Erkenntnis, dass wir hauptsächlich ein Kommunikationsproblem haben. Wir können unsere Themen oft nicht verständlich genug machen. Das hat mehrere Gründe, bei den verschiedenen Themen.
Ausländer, Migranten, Refugees oder wie immer wir die Menschen nennen, über die wir reden.
Über eines müssen wir uns klar werden: Es reicht nicht, gegen Einschränkungen, Repressionen und ähnliches zu sein. Wir müssen argumentieren, warum wir dafür sind, Flüchtlinge aufzunehmen und unsere Gesellschaft zu öffnen. Da gibt es ein Problem, oder genauer: eine Herausforderung: Wir kämpfen gegen Angst an. Natürlich ist es eine Angst, die andere geschürt haben. Diese Erkenntnis allein hilft uns aber nicht weiter. Ohne nun die WählerInnen als infantil bezeichnen zu wollen, ein Vergleich aus dem Kleinkindalter erscheint angebracht.
Es ist einfach, einem Kleinkind zu erklären, dass sich Monster unter seinem Bett verstecken, die nachts herauskommen. Hat man dies getan, dann reicht es nicht, später zu sagen: „Es gibt keine Monster!“. Nein, man muss vielleicht jahrelang jeden Abend unter das Bett schauen und bestätigen, dass da heute kein Monster ist. Wenn man Glück hat, dann schaut das Kind eines Tages selbst nach und überzeugt sich: „Es sind keine Monster da!“. Diese Angst vor Überfremdung oder Angst vor Verdrängung ist keine Erfindung der Neuzeit. Sie ist wahrscheinlich historisch entstanden und gewachsen. Da haben wir zu tun. Für unsere politischen Gegner kommt es nur darauf an, diese Angst zu erhalten – wir müssen sie bekämpfen. Dafür brauchen wir Strategien, keine plakativen Äußerungen. Erwartet aber keine Anleitungen an dieser Stelle, eure Ideen sind gefragt.
Bedingungsloses Grundeinkommen und „UmFAIRteilung“
Eigentlich sollte die Idee ein Selbstläufer sein, aber denkste – ist sie nicht. Diese Idee immer wieder in Diskussionen mit vollbeschäftigten Arbeitern und Angestellten einzubringen ist abenteuerlich. Hohn und Spott oder falsche Reaktionen, etwa „Dann muss ich endlich nicht mehr arbeiten!“ sind Reaktionen mit denen man rechnen muss. Besonders von Kollegen der Altersklasse 50+ und Herkunft aus der Ex-DDR wird man hören „Jeder nach seinen Fähigkeiten – Jedem nach seinen Bedürfnissen? Das hat schon mal nicht geklappt. Der Kommunismus ist nicht gekommen, weil der Mensch faul ist.“
Die plakative Forderung nach einem BGE bringt für diese Menschen nur eine Erkenntnis: „Die wollen, dass wir die Faulen durchfüttern!“ Das ist genau die Argumentation unserer politischen Gegner. Auch hier ist eine neue Kommunikationsstrategie gefragt. Vor allem muss jede und jeder wissen, warum das eben nicht so ist, sonst können wir das Thema vergessen. Mit der Verteilung von oben nach unten ist es ähnlich. Wenn obere Einkommen und Gewinne durch faire Löhne und Preise beschnitten werden, dann ist perspektivisch nichts mehr zu Umverteilen da. Die Umverteilung, die erforderlich, richtig und wichtig für faire Löhne und Preise ist, läuft mit ihrer Durchsetzung aus. Wie bringen wir das also an die WählerInnen? Also her mit den Vorschlägen für Infokampagnen.
Überwachung und Privatsphäre
„Wer wird schon gern überwacht?“ – das war die Meinung vieler, als wir anfingen, die Überwachung als zentrales Thema zu betrachten. Die Frage war aber falsch formuliert, anders kann man das heute nicht sehen. Vielleicht hat einigen von uns die DDR-Herkunft und anderen eigene Erlebnisse oder Empfindungen da ein Bein gestellt. Die heutige Überwachung ist eben nicht so spürbar wie die Stasi-Überwachung. Sie hat für die meisten keinerlei Konsequenzen – noch nicht.
Unsere politischen Gegner haben es da einfacher. Überwachung als Instrument der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung ist doch einleuchtend. Da geht es wieder um Angst – wir kennen das. Hinzu kommt die Verklärung der Überwacher in den Medien, man sehe sich nur US-Serien*, wie NCIS oder Numbers, an. An uns ist es nun die, wenn auch im Moment theoretischen, Konsequenzen einer solchen Totalüberwachung aufzuzeigen und gleichzeitig gegen die Angst zu kämpfen. Das ist schwer, aber nicht unmöglich. Auch hier sind Ideen gefragt.
Diese Punkte sind nur einige wenige Beispiele, es gibt unzählige andere. Deren Betrachtung führt aber zum selben Ergebnis: Als Fazit gilt, dass es am wichtigsten ist, aus der „Filterbubble“ herauszukommen und mehr mit richtigen Menschen, die uns teilweise heute noch nicht kennen oder ablehnen, zu reden.
Wir werden nicht alle überzeugen können, aber mit jeder Diskussion werden wir für die nächste besser gerüstet dastehen. Auch wenn die nächsten Wahlen zum Bundestag, zum Europaparlament und zu vielen Stadt- und Gemeinderäten erst in einigen Jahren sind, die Zeit ist schnell vorbei. Führen wir aber diese Diskussionen auch in der analogen Welt, dann kennen uns die WählerInnen und die Medien werden auch nicht mehr nur über unsere Streitigkeiten berichten.