Die Würfel sind gefallen, die Wahl wurde ausgezählt. Julia Reda wird für uns im Europaparlament sitzen und für fünf Jahre das Gesicht der Piratenpartei in Europa sein. Gleich nach Veröffentlichung des Ergebnisses began die Schlacht um die Deutungshoheit unseres schlechten Ergebnisses. Sind wir etwa nicht links genug, denn die Linke holte schliesslich 7 Sitze? Oder sollten wir den Versuch aufgeben die Linke zu kopieren, denn sie hat bereits ihre Wählerschaft? Sollten wir uns vielleicht mehr auf brach liegende Gebiet der Bürgerrechts- und Netzwerkfragen konzentrieren?
Wie nach jeder Wahl und jedem Parteitag sind wir wieder bei der Frage nach der Ausrichtung. Dieses Mal wird die Diskussion jedoch aus einer sehr komfortabelen Position heraus geführt. Denn links von unserem linken Rand stehen nicht gleich Kommunisten, auf der anderen Seite kommen dort, wo die piratige Verortung endet, nicht gleich Rassisten. Das ist ein Gewinn für eine Partei, die sich von Anfang an als weder links noch rechts bezeichnet hat – und sich darin im großen und ganzen treu blieb. Die Annäherung der Ränder verlief nicht ohne Mühen. Jeder musste ein bisschen hergeben, denn es gibt keine natürlichen Freunde. Nicht unter Frauen, nicht unter Bayern, nicht unter Piraten. Politische Überzeugungen werden eben nicht durch das Geschlecht, den Wohnort oder die Parteizugehörigkeit geprägt, sondern von eigenen Erlebnissen und der ganz persönlichen Lebenswirklichkeit.
Doch leider scheinen die Unterschiede innerhalb der Piratenpartei deutlicher zu Tage zu treten als die Unterschiede zu anderen Parteien. Nach der vergeigten Bundestagswahl, die so sehr als Trendwende herbeigesehnt wurde, brach offener Streit aus. Kein Streit zwischen links- und sozialliberalen Piraten, sondern der Streit zwischen wenigen aber sehr lauten Tunichtgute und denen, die bisher viel Arbeit stemmten. Das Resultat kennen wir: Viele Piraten zogen sich zurück, andere gingen ganz von Bord. Es waren ausgerechnet die, die in der Vergangenheit die Partei aufbauten und ihr eine Richtung gaben. Ihnen wurden die täglichen Beschimpfungen dieser ewig Gleichen eines Tages zu viel; von niemandem kann verlangt werden, sich für gute Arbeit auch noch beschimpfen zu lassen.
Klar ist: Wo immer Menschen sich begegnen wird es Enttäuschungen geben und in jeder Partei gibt es, so drückte es Gregor Gysi aus, 10% Idioten. Doch so lang diese 10%, diese laute Minderheit, nicht die Deutungshohheit erlangt ist das nicht schlimm. Wir sind organisatorisch gut aufgestellt. Wir haben ein Programm, unsere Technik funktioniert, routiniert werden Infostände aufgebaut und Plakatwände gekleistert.
Offensichtlich können wir Piraten auch streiten, wenn der Bundesverstand keine Vorlagen liefert. Derweil verpassen wir die Steilvorlagen der Regierung und beschäftigen uns ausschließlich mit uns selbst. Um zwei Beispiele zu nennen: die Gründung des Frankfurter Kollegiums und der damit verbundenen Umstände hat einigen Protest von „links“ verursacht. Bei der PiratinnenKon lief das selbe Muster ab, nur aus der politisch anderen Richtung. Während der Shitstorm im Internet tobte, verabschiedete der Bundestag eine Reform des Meldewesen, verankerte das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, verschärfte die „Mitwirkungspflichten“ für Harz IV-Empfänger, beschloss die Bestandsdatenauskunft, gegen die wir erst hinterher auf die Straße gehen konnten, da wir mit uns selbst beschäftigt waren.
Wir sollten öfter „ist halt so“ denken, statt einen Shitstorm zu starten. Unsere Ziele, unser aller Ziele, sind zu wichtig, als dass wir uns nur um uns selbst drehen können. Wir müssen mehr Konsens wagen, mehr Gelassenheit wagen, „die anderen“ sind eben so.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.