Fabio Reinhardt und ich waren für diesen Abend im Mumble verabredet, um über die Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule zu sprechen. Doch zum verabredeten Zeitpunkt klingelte das Telefon: “du, das Mumble muss ausfallen, ich stehe am Fernsehturm. Zusammen mit einer Gruppe von Refugees und einer Hundertschaft der Polizei”. So entstand der folgende Bericht, aus dem Fernsehturm, über das Mobiltelefon in die Redaktion der Flaschenpost übermittelt.
Ich stehe mit meinem Kollegen Hakan Tas, dem flüchtlingspolitischen Sprecher der Linksfraktion, am Fernsehturm. Hier werden gerade die letzten Personalien aufgenommen. Ich wurde heute Nachmittag angerufen, weil hier am Fernsehturm eine Besetzung stattfand. Ich fuhr gleich los und informierte mich vor Ort über Details.
Das Wichtigste: Es handelt sich um eine Gruppe von 37 Refugees. Sie hatten beim Ministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in München wegen ihrer schlechten Unterbringung um ein Gespräch gebeten. Sie leben in lagerähnlichen Unterkünften, tief im Wald und abgeschottet von allem und von allem gibt es zu wenig. Teilweise gibt es statt Verpflegung auch nur Gutscheine. Möglichkeiten zur Fortbildung fehlen dort völlig. Dabei würden gerade Sprachkurse sehr helfen. Mit ihrem Vorstoß in München wollten sie dem täglichen Nichtstun, zu dem sie verurteilt sind, entkommen. Im BAMF erklärte man sich für unzuständig, verwies statt dessen darauf, dass die Zuständigkeit um Gesetze zu ändern bei Berliner Abgeordneten des Deutschen Bundestages läge. Mit denen sollten sie sprechen.
Deswegen kauften sie Tickets um nach Berlin zu fahren. Diese Ticket kosten bereits einen großen Teil ihrer monatlichen Sozialunterstützung nach Asylbewerberleistungsgesetz – das ist weniger als der Hartz IV-Satz. Als Symbol suchten sie sich den Fernsehturm am Alexanderplatz aus, kauften sich regulär Karten, fuhren hoch, setzten sich auf den Boden und sagten, dass sie den Verantwortlichen für Asylgesetze sprechen wollen. Der Betreiber wollte sie weg schicken, holte dann irgendwann die Polizei. Als ich davon erfuhr, machte ich mich auf den Weg zum Fernsehturm. Zu dem Zeitpunkt durfte niemand in den Turm rein, selbst die Presse musste wegen des “laufenden Einsatzes” draussen bleiben. Mir bot das die Gelegenheit, mich bei Journalisten und Unterstützern zu informieren. Inzwischen rollten junge Menschen Plakate aus.
Hakan Tas machte Druck bei der Polizei und konnte erreichen, dass wir gegen 18:30 Uhr auf den Turm durften. Oben saßen manche auf dem Boden, sie mussten die Arme hinter den Kopf halten. Andere standen in einer grossen Gruppe gedrängt an den (abgeschlossenen) Toiletten und wirkten sehr verängstigt. Wir sprachen mit den Refugees und erfuhren woher sie kommen und was sie erreichen wollten. Hakan hatte bereits erfolglos versucht, Aydan Özoğuz, die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, zu erreichen. Wir vermittelten zwischen der Polizei und den Flüchtlingen. Es war uns auch wichtig, den Flüchtlingen klar zu machen, dass wir hinter ihren Forderungen stehen – sie wollen sich frei bewegen dürfen, wollen nicht in Lagern leben und arbeiten dürfen – aber keine Versprechen machen können.
Auf der einen Seite gab es eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch durch die Turmbetreiber, die Polizei sah in einigen Fällen den Tatbestand des Widerstands gegen die Polizei erfüllt.
Wir verhandelten mit dem Pressesprecher des Turms und der Polizei um einen für alle guten Ausgang zu erreichen. Der Pressesprecher sagte zu, dass die Anzeige wegen Hausfriedensbruchs fallen gelassen wird, falls die Flüchtlinge den Turm verlassen. Die Polizei sagte zu, nur die Personalien aufzunehmen und dass die, gegen die nichts vorliegt, gehen können.
Hakan und ich wiederum versprachen, uns für die nächsten Tage um angemessene Unterkunftsplätze zu bemühen. Außerdem werden die Flüchtlinge in den nächsten Tagen versuchen, die verantwortlichen Bundespolitiker zu erreichen. Letztlich führten die Absprachen zu einem friedlichen Ausgang ohne weitere Eskalation.Allerdings war die Kommunikation an sich schwierig, da die Flüchtlinge der Polizei sehr misstrauten.
Wir waren 4 Stunden oben am Fernsehturm. Unten organisierten derzeit Nazis eine Demo. Als wir dann runter kamen, sahen wir auf der einen Seite die Nazis, auf der anderen Seite die Unterstützerdemonstranten. Jetzt geht es zum Abgeordnetenbüro von Oliver Höfinghiff und mir um dort mit der Gruppe zu besprechen, wie es für sie weiter geht und um Unterkunftsplätze zu organisieren (was letztlich auch geklappt hat).
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.