
Der SPIEGEL berichtet, dass Israels Botschafter vor dem neuen Antisemitismus in Deutschland warnt. Angela Merkel verurteilte den Antisemitismus, der auf den Demonstrationen vor den Augen der Öffentlichkeit propagiert wurde. Der TAGESSPIEGEL meldete, dass Bundespräsident Gauck den Juden in Deutschland Beistand zusicherte. Er forderte die Bürger in einer Ansprache zu mehr Zivilcourage auf.
In der ZEIT schrieb der Antisemitismusforscher Benz, dass sich ein Anstieg des Antisemitismus in der Gesellschaft aus wissenschaftlicher Sicht nicht bestätigen lässt. Auf der anderen Seite lassen sich die in den letzten Wochen auf Synagogen geworfene Molotowcocktails auch mit wissenschaftlichen Methoden nicht weg diskutieren.
Benz weist allerdings darauf hin, dass Kritik an Israel nicht per se Antisemitismus ist. Dies werde aber von den gesellschaftlichen und politischen Eliten in Deutschland, aber auch in Israel so wahrgenommen. Maersheimer und Walt berichteten in ihrem Fachbuch „Die Israel Lobby“ von verschiedenen Gruppen in den USA, welche erheblichen Einfluss auf die US Politik ausüben, damit die USA eine einseitige Rolle auf Seiten Israels im Nahostkonflikt einnehmen. Beide sind Anhänger des außenpolitischen Realismus und kritisierten, dass die USA mit ihrer Versteifung auf Israel ihre eigenen außenpolitischen Interessen im Nahen Osten für die Interessen Israels opfern.
Dies kann man auch auf Deutschland beziehen. Die Merkelsche Doktrin, dass die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson gehört, wird in anderen EU-Mitgliedsländern nicht verstanden, da viele EU Staaten gerne eine differenzierte Politik zu Israel betreiben würden. So hat die EU beschlossen, dass Waren, die aus den Siedlungen in den besetzten Gebieten kommen, besonders gekennzeichnet werden müssen. Dies sorgte für Kritik in Israel. Einige israelische Politiker sahen bereits hier einen steigenden Antisemitismus in der EU und den europäischen Institutionen.
Außenpolitischer Realismus?
Wenn man der Theorie des außenpolitischen Realismus anhängt, kann man nur erstaunt über die deutsche Einstellung zu Israel sein. Gerade jetzt, da die Obama Administration ihr Verhältnis zu Tel Aviv überdenkt und mit dem Iran nun gegen den Willen Israels verhandelt, steht Deutschland zunehmend isoliert da. In der deutschen Öffentlichkeit wirken die Militärschläge Israels gegen die Hamas wie der Kampf zwischen David und Goliath. Der Beschuss einer Schule in Gaza durch israelische Raketen wurde auf einigen der Demonstrationen wegen der vielen Opfer hart kritisiert. Die „offizielle“ Politik weist darauf hin, dass die Hamas ihre Raketenbasen mit Vorliebe in der Nähe von Schulen und Krankenhäusern betreibt, was sie erst zu Zielen israelischer Angriffe macht. So treiben kaltblütige Militärstrategen beider Seiten der Auseinandersetzung im Nahen Osten auch in Deutschland einen Keil zwischen die Bevölkerung in und die Regierung.
Berichte, wonach in Gaza die Bevölkerung wegen des einseitigen Embargos Israels gegen den Gazastreifen darben muss, bedienen das ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl vieler Demonstranten zusätzlich. Das Embargo führt gerade in der jüngeren Generation zu mehr Kritik, wobei diese Kritik auch in Israel bei vielen Bürgern geteilt wird. Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza finden durchaus auch in Israel statt. Das Internet lässt israelische Bürger zusammen mit anderen gegen die Politik ihrer Regierung sich artikulieren und vernetzen. Vor Jahren, als ein Krieg Israels gegen den Iran bevorzustehen schien, haben israelische und iranische Jugendliche im Netz gemeinsame Solidarität geäußert und gegen die Politik ihrer Regierungen protestiert.
Leider sind in der israelischen Regierung Hardliner in der Mehrheit, was auch bedingt durch das israelische Wahlsystem zustande kommt. Netanjahu und seine Regierung sind nicht an Verhandlungen interessiert, sie haben auch kein Interesse daran, die Hamas in Gaza zu stürzen, da es durchaus wahrscheinlich ist, dass nach der Hamas noch radikalere Kräfte ans Werk gehen. Die Hamas wird auf keinen Frieden eingehen, ohne dass Israel Zugeständnisse macht, da dies der Hamas den letzten Rückhalt in der Bevölkerung nehmen und radikalere Kräfte weiter stärken würde. Die Menschen in Gaza und im Süden von Israel sind die Opfer dieser zynischen Politik durch Israel und die Hamas.
Dies muss und darf kritisiert werden. Schnell wird dabei der Vorwurf des Antisemitismus laut. In Deutschland genügt oft schon der Verdacht des Antisemitismus, um das Ansehen und die Karrieren einer Person zu zerstören.
Kritik an Israel ist ein Tabu der deutschen Politik
Dieses Tabu versperrt einen klaren Blick auf den Nahostkonflikt. Diesen Zustand machen sich kleine radikale Parteien zunutze, die die Kritik am Krieg in Gaza aufgreifen und für sich ausnutzen. So schimpft die extreme Linke im Chor mit der extremen Rechten gegen Israel und „das Judentum“ an sich, während die AfD eines ihrer Lieblingsthemen, den angeblich aggressiven Islam, im Wahlkampf in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein weiteres Mal zum Thema macht. Dabei punktet sie bei denen, die ein dumpfes Gefühl des „nicht verstanden werden“ pflegen. Jedes von Frau Merkel weggelächelte Opfer dieses Krieges bestärkt dieses Gefühl jedoch. So wird der fehlende Mut zu ehrlichen Worten unter befreundeten Staaten auch eine Gefahr für unsere Demokratie. Dass Islamophob auftretende Parteien wie die AfD und „Die Freiheit“ dabei kein geschlossenes Weltbild bieten, stört die Masse ihrer Anhänger nicht. Letztlich applaudieren diese Parteien auch nicht wirklich Israel, auch ist die Zustimmung zu Israel nicht als Toleranz für eine Religion zu werten. Es ist vielmehr die Zustimmung zu einem vorgeschobenen Posten des Westens im Nahen Osten, welcher mit allen Mitteln geschützt werden soll. Für diese Strömungen in der deutschen Gesellschaft, welche sich gegen eine „Überfremdung“ und „Islamisierung“ von Deutschland einsetzen, ist die militärische Stärke Israel ein Vorbild. Gerade auch in Bezug darin, wie Israel alles unternimmt und unter Ausschluss der arabischen Bevölkerung im eigenen Land alles daran setzt, seine Identität zu wahren.
Was können wir PIRATEN machen?
Wir müssen auf diese Mechanismen hinweisen. Wir müssen Antisemitismus bekämpfen, wo er real auftritt, und uns mit anderen Gruppen zusammen tun, die gegen Antisemitismus eintreten. Gleichzeitig müssen wir aufklären und hinweisen, dass nicht überall, wo die Medien und politische Interessenvertreter Antisemitismus vermuten, auch wirklich Antisemitismus vorhanden ist – oder, um es mit Theo Sommer von der ZEIT zu sagen: Mitleid ist kein Antisemitismus.
Unsere Generation wünscht sich einen weniger schrillen Politikbetrieb und mehr Konzentration auf Sachthemen. Dabei wünschen wir uns neue politische Rituale, weil wir uns mit den bestehenden nicht identifizieren. Wir PIRATEN müssen aufklären und zeigen, dass es Antisemitismus in dieser Gesellschaft gibt, aber nicht unbedingt dort, wo politische und gesellschaftliche Eliten ihn verorten. Wir müssen darauf hinweisen, wenn gesellschaftliche Interessengruppen Lobbyismus betreiben, um Interessen anderer Staaten, welche selbst im eigenen Land kritisiert werden, in Deutschland vorantreiben. Dabei werden wir mit ziemlicher Sicherheit kritisiert werden, weil wir damit an gesellschaftlichen Tabus rütteln. Doch Tabus sollen auch immer wieder hinterfragt werden. Wir PIRATEN müssen diese Debatte um den Antisemitismus in Deutschland aufgreifen und darauf hinweisen, dass das Tabu der Kritik an Israel gerade einen dumpfen Antisemitismus schürt.
Unter Mitarbeit von Michael Renner.