Dies ist ein Gastartikel von Regisseurin Lexi Alexander für die Pirate Times. Das Original findet ihr hier: Teil 1 – Teil 2 .
Ins Deutsche übersetzt von Steve König.
Das ist mein vierter Versuch, auf Anfrage einen Gastbeitrag für die Pirate Times zu verfassen. Eigentlich hatte ich nach dem dritten aufgegeben, aber dann wurde mir klar, dass die Bösen gewinnen werden, wenn wir nicht miteinander reden… und das möchte niemand.
Wenn ich die Innenpolitik von Hollywood – oder generell die Hindernisse, die uns Filmemachern täglich begegnen – erklären möchte, taucht immer ein Problem auf: Es wirkt irgendwie eingebildet und privilegiert. Das liegt allerdings einzig daran, dass bestimmte Schauspieler, Regisseure und Vorfälle als glamourös von Menschen außerhalb Hollywoods angesehen werden, während die Eingeweihten von uns diese schon lang als Bedrohung und Teil der Oligarchie Hollywoods betrachten.
Um es mit einer Film-Referenz auszudrücken: Es fühlt sich an, als wäre man ein M.I.B.-Agent, der sehen kann, dass Vincent D’Onofrios Farmer in Wirklichkeit eine riesige Kakerlake ist – aber außer einem selbst kann das niemand sonst.
Ich könnte den Namen eines berühmten und allgemein beliebten Filmregisseurs nennen, der viele Auszeichnungen für einen Film über Bürgerrechte eingesammelt hat, und du würdest sagen: „Nun, er ist doch sicherlich auf der Seite der Underdogs in Hollywood?“. Aber weil ich bei einem Treffen der Director’s Guild of America (DGA) anwesend war und hörte, wie er aggressiv einen Vorschlag für die Gleichstellung der Geschlechter und mehr Diversität bei den Geschlechterrollen im Filmgeschäft unterdrückte, habe ich nun die Fähigkeit, ihn auch als die große Kakerlake zu sehen, die er ist.
Die Menschen müssen aufhören zu glauben, dass berühmte Autoren oder Regisseure bestimmte Filme produzieren, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Hollywoods Oligarchie ist ein Nest von Narzissten und Egomanen, die ihre Projekte danach auswählen, wie viel Geld sie ihnen einbringen oder wie viele Auszeichnungen sie damit gewinnen können.
Wichtig ist dabei allerdings, dass ich hier über die 1% der Hollywood-Elite rede. Unsere Industrie spiegelt exakt wider, was auch im Rest der Welt vor sich geht. Wir – die 99% der Film-Industrie – bekommen immer weniger Ressourcen und haben wenig bis gar keinen Einfluss. Weiterhin ist es fast unmöglich, als rechtschaffener Mensch in dieser Branche zu funktionieren, wenn man erst einmal einen Blick hinter die Kulissen geworfen hat.
Hollywood ist eine Gewerkschaftsstadt. Nichts geschieht ohne das Einverständnis der Gewerkschaft. Menschen, die in das Filmgeschäft einsteigen wollen, können ihr allerdings nicht einfach beitreten. Man muss bestimmte Stufen bewältigen, um eingeladen zu werden. Diese Stufen sind von Beruf zu Beruf unterschiedlich und so angelegt, dass die Mitglieder dieses Clubs sich auf einem sicheren, unerreichbaren Level befinden und nicht mit den Neuankömmlingen konkurrieren müssen. Regieassistenten beispielsweise (die mit der Regie selbst wenig zu tun haben, sie bewältigen schwere Aufgaben wie das Organisieren von ein paar Durchgedrehten oder das zeitliche Einplanen der Filme) müssen meist „Tage zählen“, um eingeladen zu werden. Das bedeutet, man muss sich an Nicht-Gewerkschafts-Filmen abrackern, bis man 400 Tage Arbeit an einem Filmset nachweisen kann. Aber der Knaller ist, dass man selbst nach dem Gewerkschaftsbeitritt zuerst als „3rd Area QL“ eingestuft wird. Das bedeutet, man ist qualifiziert, um in Gewerkschaftsjobs außerhalb von Süd-Kalifornien und New York zu arbeiten. Grundsätzlich ist man also immer noch von der Arbeit in den zwei großen Städten der Filmproduktion ausgeschlossen.
Als Regisseur muss ich keine Tage zählen, um in die Gewerkschaft zu kommen, aber ich muss einen Job bei einem Partnerunternehmen der GDA annehmen, um mich zu qualifizieren. Anschließend brauche ich noch drei Empfehlungsschreiben von verschiedenen Regisseuren, die bereits Mitglied der GDA sind.
Ich lasse euch eure eigenen Schlussfolgerungen daraus ziehen.
Unglücklicherweise, da alle Netzwerke und Studios Partner der Gewerkschaft sind, kann man nichts im Alleingang machen, da man nicht in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denjenigen unter euch, die versucht sind zu glauben, dass dies ein amerikanisches Problem ist, würde ich vorschlagen, einen Blick in die Filmindustrie eures Landes zu werfen und sich anzuschauen, wie einfach es für ein Kind aus der Arbeiterklasse ist, dort einen Platz zu finden. Es gibt einen Grund, warum so viele Europäer hierherkommen und versuchen, in der Filmindustrie Fuß zu fassen, bevor sie es in ihrem Heimatland überhaupt probiert haben.
Es ist wirklich eine Schande, dass nur Privilegierte Geschichten erzählen dürfen. Wie können wir dabei überrascht sein, dass die Welt die „Reichen werden reicher“-Erzählweise reflektiert?
Denjenigen von euch, die der Piratenbewegung beigetreten sind, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, würde ich raten, nicht nur die Mediengiganten zu bekämpfen, sondern auch mehr Freiheiten für Künstler und Kunst allgemein zu schaffen.
Bei meinen Nachforschungen zur Reformierung des Urheberrechts ist mir oft aufgefallen, dass eure Partei und andere Organisationen Geringschätzung über meinen Beruf äußern, als ob die Filmproduktion keine ernstzunehmende Tätigkeit wäre. Oder ich lese verwunderte Aussagen, wie überhaupt ein Mensch mit einem Gewissen ein Teil von Hollywood sein kann.
Ben Okri sagte einst:
„Die Menschen sind so gesund und zuversichtlich, wie die Geschichten, die sie erzählen. Kranke Geschichtenerzähler können Nationen krank machen. Ohne Geschichten würden wir verrückt werden.“
Wenn ihr annehmen könnt, dass diese Aussage zumindest teilweise wahr ist, solltet ihr mich und viele meiner Kollegen in den 99% von Hollywood dabei unterstützen, nicht aufzugeben. Und ja, viele von uns sind schuldig, Filme produziert zu haben, die nicht zur Gesundung der Welt beigetragen haben. Aber das liegt daran, dass 1% die Kontrolle darüber hat, welche Filme erscheinen dürfen und welche nicht und wir auch ab und zu einen Gehaltscheck brauchen. Ich kann euch aber versichern, dass es genug positive und inspirierende Drehbücher gibt, die in den Schubladen von Studiodirektoren verrotten.
Ich habe gesehen, wie einige Piraten, die ich bereits kennenlernen durfte, einen konsequenten Standpunkt während der Ferguson-Tragödie und den daraus resultierenden Protesten eingenommen haben. Natürlich ist das Demonstrieren für Bürgerrechte immer eine gute Sache und ich bin ehrlich beeindruckt von jedem, der an solchen Demonstrationen teilnimmt. Aber ich sehe ein Muster bei diesen mutigen Menschen: Es wird gegen das Feuer protestiert, wenn das Haus bereits abgebrannt ist.
Ich verstehe es schon: Es ist eine Krise, die ihren emotionalen Höhepunkt erreicht hat, sie ist überall in den Nachrichten, sie ist authentisch.
Aber sollte man nicht versuchen, das Feuer zu verhindern, bevor es ausbricht?
Wenn ihr für einen Moment das Bild des klischeehaften Hollywoods des Roten Teppichs aus euren Gedanken bannen könnt und über das Produkt, das wir machen, nachdenkt, dann lasst uns den Film betrachten, der euch einen Einblick in die Vorgehensweise dieser Stadt gibt:
Boyhood. Aufgenommen über zwölf Jahre folgt Boyhood einem weißen Jungen auf seinem Weg in das Erwachsenenalter.
Und anscheinend ist der Film fantastisch. Das bezweifle ich auch gar nicht. Aber wisst ihr, was wir hier in Amerika wirklich gebrauchen könnten? Denselben Film über einen schwarzen Jungen. Denn ihr müsst verstehen, dass man nur jemanden kaltblütig erschießen kann, der vorher enthumanisiert wurde. Nur dann kann man sich auf emotionaler Ebene nicht mehr mit der Person identifizieren. Sie ist einem fremd.
Also ja, ein Dreh über zwölf Jahre für einen Film über einen schwarzen Jungen, der erwachsen wird, wäre wirklich fantastisch. Die Chance, dass das umgesetzt wird: äußerst gering. Niemand würde den Film finanzieren, niemand ihn Verleih nehmen und so weiter.
Während ihr also über Ferguson tweetet und schreibt, nehmt euch einen Moment Zeit, um den weniger attraktiven Weg in Betracht zu ziehen, der in eine solche Tragödie führt und was getan werden kann, um zu verhindern, dass so etwas wieder passiert.
Allgemein bin ich der Meinung, dass es ein massiver Fehler ist, die Wirkung von Film und Fernsehen zu unterschätzen. Ich weiß, dass einige von euch Kinder haben und bereits Erfahrung mit der Phase sammeln konnten, wenn ein Film in einer 24-Stunden-Schleife läuft bis euer Kind – und damit auch ihr – alle Texte der Schauspieler auswendig kann. Wenn ihr diese Menschen so in eure Köpfe lasst, könnt ihr auch gleich in das Gebäude der Motion Picture Association of America (MPAA) ziehen.
Ich schlage euch einen Deal vor: Sendet mir per Mail den Namen des Films, den euer Kind gerade in der Dauerschleife hat und ich erzähle euch von den Skandalen, die sich hinter den Kulissen des Projekts abspielten. Schauen wir mal, wie behaglich euch dann noch die Vorstellung ist, welchen Einfluss Regisseure und Drehbuchautoren auf euer Kind haben.
Ich habe einen Standpunkt für die Piraten eingenommen, weil ich instinktiv fühlte, dass ich mit Peter Sunde mehr gemeinsam habe als mit dem ehemaligen Senator Chris Dodd, der angeblich meine Interessen vertritt. Ich habe keinen dieser beiden Männer je getroffen, aber der Instinkt spielt eine große Rolle bei Erzählern. Deswegen neige ich dazu, auf ihn zu hören. Hätte ich die Größe der roten Zielscheibe, zu der ich durch diese Haltung wurde, erahnen können, bin ich nicht sicher, ob ich die Courage gehabt hätte, es durchzuziehen.
Jetzt geht es darum, es lohnenswert zu machen. Ich schaue auf euch und eure Ziele, vergleiche sie mit meinen und denen meiner Kollegen und habe den siegreichen Schachzug vor meinen Augen.
Es hängt alles davon hab, wie gut wir uns untereinander verstehen und einigen können. Ich freue mich darauf, euch besser kennenzulernen.
Lexi Alexander
PS: Hier ist ein Rätsel für euch: Welche Organisation bricht tagtäglich internationale Urheberrechtsgesetze und lobbyiert gleichzeitig dafür, Menschen hinter Gitter zu bringen, die sich genau dieser Straftat schuldig machen?