Am letzten Wochenende war der erste Bundesparteitag der Partei „Neue Liberale“, auf dem ungefähr 150 Mitglieder anwesend waren. Sie setzen sich zum Großteil aus ex-FDPlern und ex-Piraten zusammen. Das Presse-Echo war relativ gering, doch anwesende Piraten sehen die Liberale als neue (und bessere) Alternative zur Piratenpartei. Warum das so ist, was auf dem Parteitag passiert ist und warum die „Neue Liberale“ über anwesende Piraten glücklich war, haben wir in einem Interview mit Sebastian Böcker, Listenkandidat bei den baden-württembergischen Kommunalwalhen 2014, erfahren.
Flaschenpost: Hallo Sebastian, schön, dass du dich für ein Interview zur Verfügung stellst. Ich fange gleich mal an: Warum warst du auf dem ersten Bundesparteitag der Liberalen?
Sebastian: Weil ich sozialliberal bin.
Flaschenpost: Und die Piraten sind dir nicht sozialliberal genug?
Sebastian: Nicht mehr. Vor allem sind sie mir nicht mehr politisch aktiv genug. Sie haben durchaus Ansätze und auch viele Menschen, die sich für sozialliberal halten, von denen viele auch auf dem Bundesparteitag waren. Ich war schon immer mehr an Bildungspolitik, Bürgerrechte und Basisdemokratie interessiert als an Netzpolitik.
Flaschenpost: Hat der Parteitag gehalten, was du dir versprochen hast?
Sebastian: Ja, die Stimmung war super. Das Diskussionsklima war besser. Auch wenn es hier natürlich ebenfalls kleinere Querelen gibt. Es war „als würden sich Piraten mal am Riemen reißen“.
Flaschenpost: Meinst du, das lag unter anderem daran, dass nur 250 Leute da waren?
Sebastian: Vielleicht teilweise, aber allgemein war mehr Interesse an einem produktiven Thema da als an überflüssigen Diskussionen, zum Beispiel zur Geschäftsordnung.
Flaschenpost: Was hast du dir denn von dem Parteitag versprochen?
Sebastian: Nicht viel, ich wollte es mir einfach mal angucken. Ich bin in die Partei vorher eingetreten, weil mir das Grundprogramm sehr gut gefallen hat. Es hätte natürlich auch sein können, dass vor allem beleidigte FDP-Wähler da sind, die ihre Spitzenämter wieder haben wollen. Dann wäre ich direkt wieder ausgetreten.
Flaschenpost: Stattdessen waren aber frustrierte Piraten da?
Sebastian: Ja, unter anderem. Gefühlt waren es zu gleichen Teilen enttäuschte Piraten, enttäuschte FDPler und geläuterte AfDler.
Flaschenpost: Was wurde auf dem Parteitag denn verhandelt?
Sebastian: Es war ja der erste Parteitag nach der Gründungsveranstaltung. Die Satzung war ja auch schon vorhanden. Ein Parteitagspräsidium wurde für die nächsten zwei Jahre gewählt. Dann wurden Satzungsänderungen besprochen, die den Vorstand betreffen. Die Frauenquote für die zwei Vorsitzenden wollte einer abschaffen, die Möglichkeit einer Doppelmitgliedschaft hat auch jemandem nicht gepasst. Beide Anträge wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. Außerdem haben wir einen siebenköpfigen Vorstand gewählt und ein Schiedsgericht. Zu viel mehr sind wir nicht gekommen.
Flaschenpost: Aus welchen „bekannten“ Leuten setzt sich der Vorstand denn zusammen?
Sebastian: Die zwei Vorsitzenden sind ex-FDPler aus Hamburg, die Bundesprogrammatikleiterin ebenfalls. Der Bundespressesprecher ist Ex-Pirat.
Flaschenpost: Wie haben sich die Bewerber denn vorgestellt?
Sebastian: Erst auf dem Parteitag selber, es gab keine Infrastruktur vorher.
Flaschenpost: Das hat gereicht, um sie einzuschätzen?
Sebastian: Vielen ja, bei einigen Posten war ich mir aber nicht so sicher. Es gab einen Gegenkandidaten für einen der Vorsitzenden, der sehr radikale Ansichten in Richtung der AfD hatte, der wurde dann aber schnell mit über 100 Stimmen gegen 8 klar „abgewatscht“.
Flaschenpost: Wieviel Presse war denn da?
Sebastian: Relativ viel. Hamburger Lokalpresse, Lutz van der Horst (ZDF, heute Show), im Grunde aber durchmischt.
Flaschenpost: Ab welchen Zeitpunkt warst du mit dem, was in der Piratenpartei passiert, unzufrieden?
Sebastian: Seit ich mitgekriegt habe, wie viel Gekabbel im Hintergrund passiert. Ich bin unter Sebastian Nerz dazugekommen, und die ganze Geschichte mit Ponader etc. hat mich frustriert. Außerdem die komplette mediale Unfähigkeit von 90 % der auftretenden Piraten. Ich glaube, dass den Piraten eine gemeinsame, verbindende Idee fehlt, sobald sie sich aus der Netzecke heraustrauen. Ich denke, deswegen kann die Liberale sich geschlossener präsentieren und auch geschlossener diskutieren. Ich denke, sie haben auch weniger Allergie gegen Führungspersönlichkeiten als die Piraten.
Flaschenpost: Aber trotzdem bist du bei den Piraten geblieben. Warum?
Sebastian: Weil sie immer noch Ansätze haben, die ich absolut richtig finde, wie zum Beispiel das Bedingungslose Grundeinkommen. Ihren Umgang mit Transqueer-Identitäten. Die Netzpolitik und das Urheberrecht auch.
Flaschenpost: Denkst du, dass die Liberale schon jetzt eine „Gefahr“ für die Piraten darstellt?
Sebastian: Ja, weil sie Schwung hat, weniger falsch gemacht hat und eine Ausstrahlung besitzt, die die Piraten schon verloren haben. Neu, offen und interessant. Die Liberale ist keine sehr laute Partei, gerade im Gegensatz zur AfD, die sehr populistisch ist. Das kann natürlich positiv oder negativ sein. Überzeugte Piratenwähler werden wir ihr nicht abgraben können, aber der Rest ist auf jeden Fall Wählerpotential.
Flaschenpost: Was müsste denn die Piratenpartei machen, damit sie interessanter oder gleich interessant wird wie die Liberale?
Sebastian: Sich Strukturen geben, die Mitglieder disziplinieren und sich dann inhaltlich moderner aufstellen als die Liberale mit teils FDP-Hintergrund, teils bürgerlichen Hintergrund das kann.
Flaschenpost: Was hast du vom Parteitag denn noch mitgenommen?
Sebastian: Das Lustigste am Parteitag fande ich, wie locker und teilweise naiv die ex-FDP-Organisationsleitung daran gegangen ist. Es gab kaum Vorbereitung, man hat gemerkt, dass man in der FDP problemlos die Bundesgeschäftsstelle anrufen kann, die dann einen Parteitag für einen organisiert. Die Organisation haben größtenteils ex-Piraten geschmissen, was von anderen durchaus positiv aufgenommen wurde.
Flaschenpost: Ok, das war’s schon. Vielen Dank für deine Zeit!
Sebastian: Gerne.
Wir wünschen der Liberalen natürlich einen guten Start und hoffen gleichzeitig, dass wir Piraten durch diese neue Konkurrenz mehr Motivation finden, unsere Probleme anzugehen. Die Fragen stellte Peter Oliver Greza.