Die Piraten in Hessen haben es gewagt! Sie haben ihr Wahlprogramm auf Reset gestellt. Was ist bei Parteiprogrammen wichtig und welche Bedeutung haben sie?
Größtmögliche Beteiligung
Nicht eine Clique von (privilegierten) Parteifunktionären soll das Parteiprogramm erarbeiten und ausformulieren, sondern demokratisch so viele (Basis-) Parteimitglieder und Nichtparteimitglieder wie möglich. Dazu können u.a. Mailing-Listen, OpenAntrag, LQFB, BEO und/oder SMVs ebenso wie Barcamps dienen, wobei auszuschließen ist, dass diese als Machtinstrumente der Deutungshoheit von einer gut organisierten Clique mißbraucht werden können. Denn im Politischen entsteht Verbindlichkeit nur da, wo gemeinsam gehandelt wird, nicht da, wo einige wenige (Cliquen, selbsternannte Eliten) sich etwas alleine ausdenken. Es mag so triftig und richtig sein, wie es will. Und ja! Es ist oft mühsam, und je mehr Piraten wir werden, umso mehr müssen wir unsere Prozesse und innere Kultur weiterentwickeln.
Vollständigkeit
Das Grundsatzproramm sollte die unveränderbaren Grundzüge unsere Politik erklären. Wahlprogramme sollten berücksichtigen, dass die Zukunft unvorhersehbar ist. Die Grenzen von Wahlprogrammen sollten uns daher bewusst bleiben. In keinem der Bundestagswahlprogramme 2005 der verschiedenen Parteien stand z.B. die sogenannte Eurokrise und der geplante Demokratieabbau per ESM und Überwachungsstaatsausbau? Dazu:
Das die Piratenpartei „… jetzt Wahlprogramme, Grundsatzprogramme und so weiter verabschieden, ist eigentlich aus meiner Sicht ein Service, eine Dienstleistung für Bürgerinnen, die uns kennenlernen wollen, weil wir Beispiele geben wollen, wie Politik aussehen könnte, wenn sie Piratinnen machen. Aber wir glauben gar nicht daran, dass man jetzt ein Wahlprogramm verabschieden könnte, was Antworten gibt auf Herausforderungen, die in drei Jahren kommen…“ Auf Grund dieser schnellen Dynamik, die wir in der Partei, die wir im Netz, die wir in der Gesellschaft wahrnehmen, glauben wir eigentlich, dass es ein veraltetes Konzept ist, Wahlprogramme zu machen. Aber wir wissen, dass wir nur verstanden werden, wenn wir an diesem Wahlprogramm-Erstellungs-Spiel teilnehmen. „ Viel spannender ist es jedoch, das wir Tools entwickeln, wo wir innerhalb von zwei, drei Wochen eine Position abfragen können unter allen Mitgliedern…“ Johannes Ponader, 2012 als politischer Geschäftsführer der Piratenpartei.
Orientierung für die Wähler
Ausgerichtet an den Begriffen „Freiheit“, „Teilhabe“ und „Transparenz“ sollte unsere Programme den Wählern zu allen wichtigen Themenbereichen eine Orientierung zu den möglichen Positionen und Entscheidungen der gewählten Piraten geben. Die Piratenpartei muss aber kein „vollständiges“ Programm haben, im Sinne von „pseudoallwissend zu allem eine festgelegte Meinung kund zu tun“. Ein Wahlprogramm ist eine Werbung und gilt nur bis zur Wahl. Nicht darüber hinaus. Weder das Grundgesetz noch irgendeine der Länderverfassungen kennt das imperative Mandat. Und nach der Wahl sind es die gewählten Vertreter, die nach ihrem Gewissen entscheiden, was sie umzusetzen versuchen. Ich denke da zum Beispiel an 2005, wie aus keiner Mehrwertsteuererhöhung (SPD) und maximal 2% Erhöhung (CDU) nach der Wahl 3% Erhöhung wurden.
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Lieber gefühlt weniger oder kein Programm, aber dafür ehrliche und nach breiten Diskurs demokratisch mit 2/3-Mehrheit beschlossene Positionen, als lautsprecherisch und pseudo-omnipotent zu allem eine vorgefertigte Meinung per Wahlprogramm verkünden.
Es gilt vor allem da Programmatik ausarbeiten, wo wir unverwechselbar sind und neue Alternativen zu der angeblichen Alternativlosigkeit zu entwickeln und auszuprobieren.
Neben der an unseren Programmen ausgerichteten Realpolitik auch das zu denken, was noch nie gedacht wurde, das, was noch nicht möglich erscheint, möglich zu machen. Piraten als Wegbegleiter und proaktive Gestalter der Zukunft, nicht als Besitzstandsverwalter der zu Ende gehenden Zeit. Von den Kommunen und den Bezirken, über die Städte, die Länder, den Bund und Europa als weltweite Bewegung.
Euer
Parzival