Kürzlich ist eine Studie erschienen, die im Auftrag des Bildungsministeriums durchgeführt wurde und bei Studenten – unter anderem – ein immer geringeres Interesse an Politik feststellt. Die Kommentare aus ebendieser Politik ließen nicht lange auf sich warten: Bedauerlich sei das Ergebnis, sagte etwa CDU-Ministerin Wanka. Auch Manuela Schwesig (SPD) zeigt sich erschrocken. Die Autoren der Studie versuchen, Erklärungen für das Ergebnis anzuführen: Es könne vielleicht an der zunehmenden Komplexität der Politik oder am “allgemeinen Trend zu politischer Passivität und Apathie” liegen. Auch die höhere Belastung im Studium nach der Bologna-Reform könnte dafür verantwortlich sein, dass andere Interessen auf der Strecke blieben.
Die Kommentare und Erklärungsversuche hören sich recht ratlos an und fallen dabei durch eine Gemeinsamkeit auf: Sie suchen die Schuld, oder zumindest die Erklärung, für die Ergebnisse bei den Studierenden und nicht bei der Politik. Nun sind Klagen über die Verrohung der Jugend und dem daraus folgenden, kurz bevorstehenden Untergang der Zivilisation seit dem zweiten Jahrtausend vor Christus dokumentiert. Was aber, wenn sich weniger die jungen Menschen, als vielmehr die (Partei-)Politik verändert hat? Wenn es um Gestaltungsmöglichkeiten, Zukunftsperspektiven und Sinnstiftung geht, erscheint Engagement in der heutigen deutschen Politik in etwa so attraktiv wie ein unbezahltes Praktikum bei McDonalds. Dieselbe Studie zeigt nämlich, dass Werte, wie die Verwirklichung eigener Ideen, selbständige Entscheidungsfindung oder auch Nutzen für die Allgemeinheit, durchaus einen hohen Stellenwert besitzen – zumindest im Bezug auf den zukünftigen Beruf. All das sucht man in den etablierten Parteien aber vergeblich. Inhalte und Positionen werden zunehmend austauschbar, der Machtgewinn beziehungsweise -erhalt wird zum einzigen Ziel des politischen Handelns. Auch innerparteilich sind alle relevanten Entscheidungen kleinen Gruppen alteingesessener Kader vorenthalten. Selbst Abgeordnete unterstehen dem Fraktionszwang, der die grundgesetzlich verankerte, freie Gewissensentscheidung ad absurdum führt. Da die Wählerschaft schon aus demografischen Gründen immer älter wird, sind Positionen, die – notfalls auf Kosten der Jungen – vor allem (Vor-)ruheständler ansprechen, für die Wählerstimmengewinnung ohnehin attraktiver. Ist es also wirklich so verwunderlich, dass heutige Studenten – die in der Tat noch viele andere Belastungen schultern müssen – sich desinteressiert oder enttäuscht abwenden?
Für die Piratenpartei ist diese Erkenntnis zugleich ein Fluch und eine Chance. Die Entpolitisierung junger Menschen, die nicht nur aus Umfragen vorhergeht, sondern auch aus den Daten der vergangenen Wahlen ablesbar ist – so betrug die Wahlbeteiligung der 18- bis 30-jährigen bei der letzten Bundestagswahl 62%, während der Durchschnittswert bei 72% liegt – trifft uns besonders hart. Junge, gut gebildete Menschen bilden unsere Kernwählerschaft: 2013 bekamen wir in der Altersgruppe unter 25 Jahren 6,4% – das Dreifache unseres mageren Gesamtergebnisses von 2,2%! Die Alterung der Gesellschaft spielt uns ohnehin übel mit: die Altersgruppe unter 25 Jahren macht gerade mal 9% der Wählerschaft aus, die unter-35-Jährigen kommen auf 22%. Wenn sich junge Menschen auch noch zunehmend aus der Politik heraushalten und weder eigenes Engagement einbringen, noch zu Wahlen gehen, schmerzt uns das besonders.
Gleichzeitig kann die Entwicklung aber auch als Chance verstanden werden. Wenn es die Strukturen und Positionen der etablierten Parteien sind, die junge Menschen das Interesse an der Politik verlieren lassen, sind wir wie keine andere politische Kraft imstande, vorzuleben, dass es auch anders geht. Die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Katharina Nocun, hat einmal gesagt, dass wir Piraten als die Interessensvertretung der jungen Generation auftreten müssten, die sonst keinerlei Lobby hat. Diesen Anspruch sollten wir stets im Auge behalten. Das hat Auswirkungen sowohl auf unsere Programmatik als auch auf die innerparteiliche Organisation.
Inhaltlich gehört dazu eine verstärkte Schwerpunktsetzung bei unseren netzpolitischen Kernthemen, deren Relevanz am besten von denjenigen verstanden wird, die das Internet als Lebensraum wahrnehmen. Jenseits der Kernthemen sollten wir uns mehr aus der Deckung wagen und insbesondere bei gesellschaftlich kontroversen Themen, wenn die Parteibasis sich für eine Positionierung entscheidet, selbstbewusst nach außen auftreten. Unser Ziel ist es, 5% der Wähler zu überzeugen, uns tatsächlich zu wählen und nicht durch einen weichgespülten Kuschelkurs für möglichst viele “wählbar” zu bleiben.
In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich auch, unsere Wurzeln als “Protestpartei” wieder stärker zu betonen – aber nicht in dem negativen Sinn, der in dieser Bezeichnung meistens mitschwingt. Viele von uns wurden “Politiker aus Notwehr”, weil wir uns von den bestehenden Akteuren weder verstanden noch repräsentiert fühlten. Dass die Verzweiflung nach wie vor groß ist, sieht man am überdurchschnittlichen Abschneiden des reaktionären Altherrenvereins AfD unter jungen Wählern. Können wir ihnen nicht eine viel bessere Alternative aufzeigen? Denn eine Stimme für Piraten ist sehr wohl eine Stimme des Protests – gegen Geheimverhandlungen zu TTIP, gegen die dreiste Missachtung des Grundgesetzes durch Geheimdienste, gegen folgenloses Anlügen von Parlament und Öffentlichkeit.
Innerparteilich ist unsere Mitmachkultur, trotz aller bestehenden Probleme, das Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir Menschen für aktive politische Teilnahme begeistern können. Meine prägende Erfahrung mit der Piratenpartei war 2009, als ich – damals 22-jährig und seit einer knappen Woche in der Partei – auf einem Bundesparteitag aufkreuzte und erfolgreich einen Gegenentwurf zum Wahlprogrammantrag des Bundesvorsitzenden durchsetzte. Das Gefühl, unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten zu haben, hat auch viele andere Piraten lange Jahre motiviert, Zeit und Energie in die Partei zu investieren. Die dringend benötigte Konsolidierung der Partei und die Professionalisierung der Strukturen darf dieses Gefühl nicht aushebeln. Auch wenn wir uns in den letzten Jahren oft genug an offenen Strukturen verbrannt haben und regelmäßig Probleme mit Glücksrittern als Neumitgliedern bekamen, dürfen wir uns nicht abschirmen, denn das ist genau die Art, mit der die Altparteien junge Menschen vergraulen. Die richtige Balance zwischen Offenheit und Arbeitsfähigkeit zu finden, wird ein Drahtseilakt, den wir meistern müssen. Wir sollten es auch nicht zur Gewohnheit werden lassen, dass ein neunköpfiger Bundesvorstand nur zwei Mitglieder hat, die jünger als 40 sind.
Wenn die Wahlergebnisse zunehmend von den älteren Generationen bestimmt werden, erzeugt das einen Teufelskreis. In Parteien werden die Standpunkte und Interessen junger Menschen vernachlässigt, die sich daraufhin noch weniger einbringen und von Wahlen fernhalten, wodurch wiederum deren Interessen für Politiker weiter an Wichtigkeit verlieren. Wir müssen darum kämpfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen – nicht nur, um unser eigenes politisches Überleben zu sichern, sondern auch, um das schwindende Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen und so den Aufstieg populistischer Rattenfänger zu stoppen.