Im Jahr 2002 setzten SPD und Grüne das liberale Gesetz zur Legalisierung der Prostitution durch, eines der fortschrittlichsten Gesetze der Welt. Die Branche atmete auf und wuchs. Nun sehen die selben Parteien in diesem Umstand den Beweis, dass mit der Einführung des Gesetzes die Anzahl der Zwangsprostituierten und der Opfer von Menschenhandel gestiegen ist. Diese Annahme stützt sich auf eine Fallstudie der EU-Kommission, die die Situation verschiedener Länder analysierte und besonders Schweden als Vorbild anführt. Dort ist jede Form von Prostitution verboten.
Ein Verbot von Prostitution wäre in Deutschland kaum durchzusetzen, aber im Jahr 2015 will Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) mit der neuen Meldepflicht für Sexarbeiter regulierend in die Branche eingreifen. Außerdem sollen Besitzer von Prostitutionsstätten verpflichtet werden, Listen über die bei ihnen arbeitenden Menschen zu führen. Vermutlich müssen sich Bordellbetreiber auch noch um eine Erlaubnis für das Betreiben eines Bordells bemühen, die an eine Zuverlässigkeitsprüfung geknüpft ist. Darauf haben sich SPD und CDU laut Medienberichten bereits im Vorfeld geeinigt.
Die wenigen Berufsverbände, die sich für die Rechte der Sexarbeiter einsetzen, protestieren gegen das neue Gesetz und befürchten noch weit schlimmere Repressalien.
„Sexarbeit muss endlich rechtlich umfassend als Erwerbsarbeit anerkannt und anderen Formen der Erwerbsarbeit gleichgestellt werden“, fordert Stefan Körner , Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland und unterstützt mit seiner Aussage die Rechte der in der Branche arbeitenden Menschen.
Doch das Unverständnis und die Vorurteile der Gesellschaft erscheinen unüberwindlich. „Was ist an der Meldepflicht für Prostituierte so schlimm?“, fragen sich vermutlich viele, „Ein Gastwirt braucht ja auch eine Konzession und eine Bedienung an der Fleischtheke benötigt ein Gesundheitszeugnis. Und das ist doch gut so.“ Die Problematik des Meldegesetzes liegt vor allem in der Diskriminierung der Menschen, denn eine Meldepflicht wird unter anderem für Kriminelle eingeführt, die regelmäßig zu einem Bewährungshelfer müssen. Von Menschen, die in der Sexbranche arbeiten, geht aber nicht zwangsläufig eine Gefahr aus. Außerdem ist es unzumutbar, dass ein Mitarbeiter sich im Falle eines Wechsels der Arbeitsstelle bei der Behörde an- und abmelden muss wie ein Schwerverbrecher.
Schlimmer noch erscheint den Menschen, die in dieser Branche tätig sind, der Verlust ihrer Anonymität durch die geplante Meldepflicht und die Zwangslistung.
Die meisten können sich schlicht nicht vorstellen, unter ihrem bürgerlichen Namen eine Konzession für Prostitution zu beantragen oder als Sexarbeiter bei einer Behörde gemeldet zu sein. Dies führt zu einer Diskriminierung, unter der ihr gesamtes soziales Umfeld leiden würde.
Eine Tatsache, die verständlich ist, wenn man den Gedanken zulässt, dass Sexarbeiter in Partnerschaften leben, Kinder haben, Freunde oder teils auch bürgerliche Arbeitgeber haben. Sie alle würden unter den Sanktionen der Gesellschaft leiden, die Folge eines Zwangsoutings wären. Hinzu kommt, dass Freier ebenfalls anonym bleiben wollen. Es gibt viele Menschen, vor allem Männer, die „Liebesdienste“ von Frauen kaufen, aber nicht bereit sind, darüber zu sprechen oder sich zu einer sexuellen Vorliebe zu bekennen. Allein der Gedanke, sich bei einer Prostituierten aufzuhalten, die von den Behörden kontrolliert wird – und auf behördliche Kontrolle der Meldepflicht zielt der Gesetzesentwurf ja ab – ist den Kunden ein Graus. So besteht die Gefahr, dass eine ganze Branche wieder in die Illegalität gedrängt wird.
Der Verein „Doña Carmen e. V.“ , eine der wenigen Verbände der Sexarbeiter, vergleicht die geplante Meldepflicht für Prostituierte mit der Erfassung der Prostituierten im Nationalsozialismus. 1939 hatte ein Runderlass des Reichsinnenministers eine Zwangserfassung verlangt, mit dem Ziel Prostituierte als Asoziale zu brandmarken.
Viel aufgeklärter scheint die Gesellschaft bis heute nicht, denn Parteipolitiker gehen zwangsläufig davon aus, dass Sexarbeiterinnen geholfen werden müsse.
Die Meldepflicht soll Frauen zwingen, Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen, um aus der Branche auszusteigen. So soll Zwangsprostitution und Menschenhandel eingedämmt werden. Dabei werden Bevormundung und Zwangsregulierung als sinnvoller Weg propagiert und die Grundrechte der Sexarbeiter außer Kraft gesetzt. Die Pläne mancher Parteien, z.B. der Grünen, gehen so weit, dass Konzessionen für Prostituierte durch die Behörden vergeben werden sollen, um ein Überangebot zu vermeiden. Sollen demzufolge dann Behörden Berufsverbote für Sexarbeiter erteilen?
Es ist die Rede von einer Festlegung des Mindestalters für Prostituierte auf 21 Jahre, Kondomzwang, einer Gesundheitsprüfung für Sexarbeiter und deren Freier – ohne Beachtung der Tatsache, dass Krankheiten schon aufgrund der Inkubationszeit gar nicht rechtzeitig erkannt werden können. Dadurch aber wird nur eine trügerische Sicherheit geschaffen. Für Sexarbeiter hieße dies neben der Meldepflicht auch noch demütigende Amtsarztbesuche in Kauf nehmen zu müssen und von Polizisten kontrolliert zu werden, die sich als Freier ausgeben und versuchen sie zu überreden, ihre Dienstleistung ohne Kondom anzubieten.
Mit Strafen belegt würden dann vermutlich die Sexarbeiter, die sich darauf einlassen. Wer sonst? All diese Pläne zeigen, dass sich die Gesellschaft von ihren Vorurteilen leiten lässt. Die Gesellschaft lässt den Gedanken nicht zu, dass es in dieser Branche viele Menschen gibt, die freiwillig dort arbeiten, gut verdienen, selbstverständlich krankenversichert und teilweise sozialversichert sind – wenn auch kaum unter der stigmatisierenden Berufsbezeichnung „Prostituierte“, sondern eher als Masseur/in.
Dabei gibt es z.B. im SM-Bereich oder im Escort-Service etliche Frauen, die pro Stunde 250 € und mehr verdienen, weil sie besondere Dienstleistungen anbieten, die Qualifikation und Erfahrung erfordern. Etliche Männer zahlen diesen hohen Preis, da sie in ihrer Partnerschaft solche Fantasien nicht ausleben können. Warum sollten solche Frauen in einem bürgerlichen Beruf arbeiten? Weshalb muss ihnen zwangsweise geholfen werden?
Das neue Gesetz wird die organisierte Kriminalität im Bereich Prostitution vermutlich nicht nennenswert eindämmen, denn Banden, die Menschenhandel organisieren, werden kaum an Problemen mit behördlichen Auflagen scheitern. Menschen, die aus existenzieller Not heraus oder aufgrund von Drogensucht ihren Körper verkaufen, werden dies auch weiterhin tun, aber eine Meldepflicht nicht in Erwägung ziehen, weil diese das geringste ihrer Probleme ist. Für solche Sexarbeiter wird die Hemmschwelle des Ausstiegs aus dem Milieu vielleicht noch größer, da sie zukünftig Angst haben müssten obendrein für ihre illegal angebotenen Dienstleistungen bestraft zu werden.
Am härtesten treffen wird das geplante Gesetz wahrscheinlich Menschen, die freiwillig als Sexarbeiter arbeiten und dies weiterhin legal tun wollen.
Diese Menschen werden ihrer Grundrechte beraubt, gegängelt, gedemütigt und der Gesellschaft vorgeführt, weil man ihnen ihre Anonymität raubt. Verschiedene Städte und Gemeinden wittern schon ihre Chance, bei ihren Bürgern durch das Angebot zur Denunziation zu punkten: „Fühlen Sie sich durch Prostitution gestört?“, fragt eine Internetseite der Stadt Wedel und liefert gleich die technische Möglichkeit mit, die Beschwerde über fragliche Prostitutionsstätten bei passender Dienststelle zu melden.
Was ist das für eine Gesellschaft, in der sich Menschen im Internet hochauflösende Hardcore- Produktionen ansehen, die aber käufliche Liebe als störenden Schmutz aus dem Stadtbild entfernen will; die Freiern Anonymität gewährt, aber Sexarbeiter zwangsoutet und ihrer Rechte beraubt? Selbst wenn die Polizeibehörden zukünftig organisierte Kriminalität erfolgreicher bekämpfen könnten und so einzelnen Frauen geholfen würde, darf dies nicht auf Kosten der Grundrechte einer ganzen Berufsgruppe gehen.
Das Grundgesetz muss für alle Menschen gelten.
Auch wenn es nur für einige wenige Menschen eingeschränkt wird, schafft sich dadurch unsere Demokratie selbst ab. Darum haben sich die Piraten eindeutig für die Gleichstellung der Prostitution mit Erwerbsarbeit und gegen das Meldegesetz für Prostituierte ausgesprochen.