
solidaire pour les attentat du 7 Janvier 2015 à la rédaction de "Charlie Hebdo" | CC BY SA 2.0 Valentina Calà

Beim Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo starben zwölf Menschen. Diese ungeheuerliche Tat löst Fassungslosigkeit, Trauer und Wut aus. Aber wie soll die Gesellschaft auf einen solchen Anschlag reagieren, nachdem der erste Schock überwunden ist? Meinungs- und Pressefreiheit gehören zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Dabei gilt Meinungsfreiheit selbstverständlich auch – und sogar in besonderem Maße – für Aussagen, die einzelnen Menschen oder Gruppen anstößig oder beleidigend erscheinen. Eine Selbstzensur, ob aus Angst vor Gewalt oder aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf “religiöse Gefühle”, ist genau das, was die Terroristen erreichen wollen, deshalb darf sie gerade jetzt auf keinen Fall Einzug in die Presselandschaft finden. Es wäre hingegen ein Zeichen von Stärke und Entschlossenheit, wenn alle großen Verlage jetzt islamkritische Karikaturen von Charlie Hebdo nachdrucken würden, und zwar ungeachtet dessen, wie sie zu deren Inhalt stehen. Es macht Hoffnung, dass, während Islamisten Karikaturen als Anlass für Gewalt nehmen, zahlreiche Künstler auf die Gewalt bereits mit neuen Karikaturen reagieren.
Aber nicht nur die Presse- und Meinungsfreiheit sind gefährdet, auch andere freiheitliche Werte, die wir zu oft als gegeben wahrnehmen, können schnell unter Beschuss geraten, wie die neueste Geschichte zeigt. Als am 11. September 2001 Islamisten die Türme des World Trade Centers in New York zum Einsturz brachten, antwortete Präsident Bush mit einer Kampfansage. Es folgten nicht nur zahlreiche Militäreinsätze, die teilweise bis heute andauern und katastrophale Folgen verursachen, sondern auch massive Einschränkungen von Bürgerrechten in den USA und der gesamten westlichen Welt. Die Rechtsstaatlichkeit wurde ausgehebelt, Grundrechte aufgeweicht oder ganz außer Kraft gesetzt, Sicherheitsbehörden entzogen sich zunehmend demokratischer Kontrolle, und Menschen haben angesichts der anlasslosen Massenüberwachung Angst, ihre Meinung offen zu äußern. Schon Nietzsche wusste, dass jemand, der mit Ungeheuern kämpft, Gefahr läuft, selber zu einem Ungeheuer zu werden. Genau das ist das Schicksal eines Staates, der Terroristen bekämpft, indem er die eigenen Grundwerte verrät.
Es mag erscheinen, als wäre der von den USA eingeschlagene Weg im Angesicht einer solchen Tragödie alternativlos. Dass dem nicht so ist, zeigt das Beispiel Norwegens. 2011 erschütterte ein Massenmord das Land. Anders Breivik, der sich als moderner Kreuzritter verstand und dessen Weltbild sich im Detail kaum von den mittelalterlichen Vorstellungen der von ihm verhassten fundamentalistischen Muslime unterscheidete, zündete eine Bombe im Regierungsviertel und schlachtete danach Dutzende von Jugendlichen ab. Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat mit bemerkenswerten Worten darauf reagiert: “Wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.” Dieser Ansatz sollte für Frankreich und Europa heute als Vorbild dienen.
Im Angesicht von Kräften, die bereit sind, freiheitliche Grundwerte mit Gewalt anzugreifen, zeigt sich, ob die Bekenntnis zu Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie ernst gemeint sind, oder ob es sich nur um Lippenbekentnisse handelt, die in Zeiten von Frieden und Wohlstand geleistet werden, nur um sie in einer Krisensituation aufzugeben. Wir alle müssen uns jetzt entscheiden, was uns eine freie Gesellschaft wert ist. Das Feld den Sicherheitsfanatikern, Faschisten und Gesinnungswächtern zu überlassen, wäre ein Verrat an allem, wofür die Redakteure von Charlie Hebdo ihr Leben verloren – und damit ein Sieg ihrer Mörder. Je suis Charlie!