Nachdem die “patriotischen Abendländler” über Wochen hinweg mit ihren Anti-Einwanderungsdemos die Innenstädte dominierten, stellt sich ihnen nun ein ständig wachsendes bürgerliches Lager entgegen. Wir Piraten waren mittendrin – was uns viel Sympathie einbrachte. Jannis Milios war in Köln dabei, ich in München. Gemeinsam suchen wir eine Einschätzung.
Michael Renner: Jannis, wie war das bei euch in Köln?
Jannis Milios: Im Rheinland ist die Abwehr gegen rechte Tendenzen schon fast Teil der kollektiven Identität. Natürlich gibt es hier auch Alltagsrassismus und Diskriminierung genug. Rechte und rassistische Parteien sind in fast allen Kommunalparlamenten der Region vertreten. Aber es existiert hier ein öffentlicher Konsens, wie man mit diesen Erscheinungen umzugehen hat. Wie vor einigen Jahren, als in Köln eine Tagung europäischer Rechter stattfinden sollte und Taxifahrer und Schiffskapitäne sich weigerten, die Konferenzteilnehmer zu befördern, gab es auch diesmal einen breiten Widerstand gesellschaftlicher Institutionen. Nicht nur der Dom war verdunkelt, sondern auch fast alle Bürogebäude am rechten Rheinufer. In den Bahnhof Deutz einfahrende Züge gaben lange Hornsignale ab, um die Gegendemonstranten zu begrüßen, die in Massen auf der Hohenzollernbrücke und um den Bahnhof standen.
Mein persönlicher Gänsehaut-Moment kam dann, als die Gegendemonstranten den geplanten Marschweg der Pegida einfach übernommen haben und sich auf den Weg in Richtung Hauptbahnhof machten. Als der Zug die Domplatte erreichte, gingen die Lichter am Dom an und die Glocken begannen zu läuten. Da stehst du nur und denkst: “Jap, das ist meine Stadt”.
Michael Renner: In München sah ich mehrere Piraten-Gruppen, die etwas auseinander standen. Mir war nicht immer klar, welche Piraten in welcher Gruppe waren. Zwar hatten wir auf der Mailingliste einen Treffpunkt ausgemacht, aber offensichtlich kamen Piraten unabhängig davon.
Jannis Milios: Wir hatten einen Treffpunkt mit unseren Rhein-Erft-Piraten ausgemacht und dann alles an Schildern und Fahnen mitgenommen, was wir finden konnten. Da wir mit dem ganzen Zeug gut sichtbar waren, fanden uns die anderen Piraten recht schnell in der Menge.
Michael Renner: Es hat wirklich lange gedauert, bis jemand auf die Straße ging, um sich den rechten Umtrieben von Pegida entgegenzustellen. Letzten Montag war die Gruppe derer, die Pegida nicht in ihrer Stadt sehen wollen, dann bunt gemischt. Piraten natürlich, verschiedene Parteien, Musiker, Gewerkschaften und Kirchengruppen. Vor allem das klare “nicht in unserem Namen” der Kirchen freut mich. Die Mischung gibt mir das sichere Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen.
Jannis Milios: In und um Köln wurden wir im vergangenen Jahr von der Wucht der Hogesa-Veranstaltung völlig überrumpelt. Das kratzte merklich am Ego einer Region, in der man zu Recht stolz auf die eigene Vielfalt und Toleranz ist. Vielleicht war der Widerstand diesmal auch so auffällig. Viele hatten noch eine Rechnung offen und wollten ein Zeichen setzen.
Michael Renner: Wir als Piraten suchen ja schon seit einiger Zeit einen Weg zurück in die öffentliche Wahrnehmung. Meinst du, dass unsere Präsenz bei solchen Veranstaltungen dazu beitragen kann? In Gesprächen mit anderen Teilnehmern wurde mir klar, wie sehr die sich freuen, dass wir “endlich etwas Vernünftiges” machen, wie sich eine ältere Dame ausdrückte.
Jannis Milios: Gemessen an unserer Mitgliederzahl sind wir auf solchen Veranstaltungen immer gut vertreten und sichtbar. Das ziehen wir vor Ort auch konsequent durch. Abwehr gegen Rechts ist Teil unserer Identität als Piraten. Bei keiner anderen Veranstaltung und kaum einem anderen Thema kriegen wir regelmäßig so viele Mitglieder mobilisiert.
Michael Renner: Diese Erfahrung machen wir in München auch. Piraten, die zum Teil seit “Chemnitz” nicht mehr gesehen wurden, schwenkten diesen Montag Piraten-Fahnen. Auch wenn der Anlass traurig ist, sollten wir die Gelegenheit zur Imagepflege nutzen und dabei auch Mitglieder reaktivieren.
Jannis Milios: Ich habe nächsten Montag schon die erste Fraktionssitzung. Da liegt auch ein großes Problem. Die meisten kommunalen Mandatsträger haben ihre Fraktionssitzungen am Wochenanfang, und die kannst du nicht einfach so ausfallen lassen, wenn du gute Arbeit machen möchtest. Ich denke, darauf setzt Pegida auch: Die brauchen nur den einen Montag, an dem sie die Anzahl der Gegendemonstranten übertreffen, um wieder eine Woche mediale Aufmerksamkeit zu generieren.
Michael Renner: Vielleicht bewegt unser Artikel den einen oder anderen Piraten am Montag auf die Straße. Die Wiedersehensfreude wird groß sein!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.