Ein Gastartikel von Jano Nymous.
Echte Demokratie kann als ein dezentraler, selbstorganisierter Prozess der politischen Meinungs- und Entscheidungsfindung von unten (von der Basis ausgehend) definiert werden. Dazu bedarf es eines fortwährenden Prozesses der Weiterentwicklung von hierarchie- und herrschaftsfreien Konsens- und Beteiligungsverfahren und der steten Verbesserung von basisdemokratischen Kompetenzen in der Bevölkerung. Das Mehrheitsprinzip als scheinbares Äquivalent demokratischer Prozesse ist jedoch nachweislich nicht dazu geeignet, eine echte transparente, faire und pluralistische Entscheidungsfindung in einem Kollektiv abzubilden bzw. zu realisieren. Das Mehrheitsprinzip entspricht der Spitze eines Eisbergs der kollektiven Willensbildung, der Rest unter Wasser entspricht einem hoch korrumpierbaren Dunkelfeld politischer Einstellungsmuster, Willens- und Entscheidungsbildung.
Bei Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip wird die Vielfalt der Lösungen im Vorfeld auf eine intransparente Art und Weise auf zwei oder einige wenige Alternativen reduziert. Durch die Entweder-oder-Logik des Mehrheitsprinzips wird dabei mittels Kampfrhetorik, sogenannten Kontrasteffekten und anderen Urteilsfehlern ein künstliches Gegeneinander (Dissensillusion) erzeugt und medial verstärkt. Menschen mit sonst ähnlichen Einstellungen begreifen sich dadurch als Konkurrenten, Gegner oder Feinde. Das führt dazu, dass sich Interessengruppen zueinander abgrenzen, sich polarisieren, in Lager aufspalten und bekämpfen. Entgegen der Forderung nach freiem und gewissenhaftem politischen Handeln werden Entscheidungen der „Handlungsfähigkeit“ wegen dabei meist über Konformitätsdruck, Fraktionszwang, indirekte Bestechung sowie durch die Unterdrückung von Alternativen mittels Totschlagargumenten durchgedrückt. Dabei erscheint es uns normal bzw. angeblich demokratisch, dass der Erfolg der einen Seite mit der Benachteiligung der Bedürfnisse und (Menschen-)Rechte der anderen Seite verbunden sein muss (Win-Lose-Prinzip). Wer im aktuellen Herrschaftssystem mitmacht oder wählen geht, willigt implizit darin ein, dass Grund- und Bürgerrechte potentiell nicht für jeden gelten und dass die Qualität einer politischen Lösung unhinterfragt gleichgesetzt wird mit der Anzahl von Menschen, oder politischen Unternehmern, die davon zu einem bestimmten Zeitpunkt mit welchen Mitteln auch immer überzeugt wurden.
So., 25.01.2015, 18:00 Uhr
Mumble, NRW-Piratenserver
Raum AG Demokratieforschung
Wie ein fairer, transparenter Leistungsvergleich in der Politik ablaufen könnte, sind wir zum Teil aus sportlichen Wettkämpfen gewohnt, in denen ein objektiver Leistungsvergleich angestrebt wird und unabhängige Schiedsrichter, eine zufällig ausgewählte Jury oder das ganze Publikum über Schwierigkeit und Leistungsqualität anhand mehrstufiger Bewertungsskalen abstimmen. In der aktuellen Ausgestaltung unserer repräsentativen Demokratie gibt es jedoch weder einen direkten, transparenten und fairen Leistungsvergleich von politischen Ideen; noch die Sicherheit, dass das ganze Wahlkampf- und Demokratiespiel nicht im Grunde eine gut organisierte Demokratie-Illusion ist: so etwas wie eine Hyperrealität, wie sie auch in der Werbung gezielt erzeugt wird, um Bedürfnisse, Einstellungen und Meinungen zu erzeugen, die anderen zum Gewinn und Macht- bzw. zum Systemerhalt dienen. Durch das Mehrheitsprinzip werden keine Informationen zum transparenten, formalen Vergleich der Lösungsqualität politischer Vorschläge gewonnen, sodass z.B. die tatsächliche Unzufriedenheit unterschätzt oder Optimierungsbedarf nicht erkannt wird, gemeinwohl- und konsensorientierte Lösungen unterdrückt werden und Konflikte im Kollektiv weiterschwelen, die die Zusammenarbeit in einem Kollektiv auch nach der Entscheidung noch anhaltend beeinträchtigen können. Es lässt sich zudem mathematisch und experimentell nachweisen, dass das Mehrheitsprinzip ab mehr als zwei Wahlalternativen versagt, widersprüchliche Ergebnisse liefert und dabei keine fairen Vergleichsprozesse gewährleistet sind.
Zudem fördert das Mehrheitsprinzip Schwarz-Weiß-Denken und Vorurteile, Konformismus, Autoritarismus, Dogmatismus und Totalitarismus („Wollt ihr den totalen Krieg?“ Ja/Nein). Dies entspricht einer voreingenommenen, diktatorischen bis zunehmend faschistoiden Meinungsbildung und Top-Down-Verhaltenslogik, die mit verschiedenen, größtenteils unbewussten Wahrnehmungs- und Urteilsfehlern einhergeht und dadurch leicht manipuliert werden kann. Insofern misst man mit einer intransparenten Entscheidungsbildung via Mehrheitsprinzip/Kopfquoren nicht den Wählerwillen, sondern wie gut die Manipulation funktioniert hat. Was uns also gewöhnlich als das Nonplusultra demokratischer Entscheidungsprozesse verkauft wird, entspricht aus psychologischer Sicht dem Prinzip „Teile-und-Herrsche“, welches anstatt auf einer innerdemokratischen, pluralistischen Logik auf einer innerdiktatorischen, monistischen Logik beruht, nach der es nur eine Wahrheit geben kann, wodurch Totschlagargumente (abwertendes Schwarz-Weiß-Denken ansteigenden Schweregrades) zum rhetorischen Hauptstilmittel in politischen Diskursen werden. Dieses Herrschaftssystem täuscht damit professionalisiert darüber hinweg, dass „diejenigen, die entscheiden, nicht gewählt [sind] und diejenigen, die wählen, nichts zu entscheiden [haben]“ (Zitat Horst Seehofer, CSU, am 20. Mai 2010 bei Pelzig).
Vor diesem Hintergrund hat die AG Demokratieforschung das Ziel, die bestehenden Missstände auf verschiedenen Ebenen zu analysieren, eine empirisch fundierte, ganzheitliche Systemkritik zu entwickeln und für ein breites Publikum verständlich und zugänglich zu machen. Zudem soll es darum gehen, theoriegeleitet Lösungsansätze für eine echte, basisdemokratische Zielfindung und Entscheidungsbildung zu entwickeln, die direkt vom Volk bzw. der Basis ausgeht und eine freie Meinungsbildung und gemeinwohlorientierte, gewissenhafte Entscheidungen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis ermöglichen. Das 1. Treffen der AG Demokratieforschung findet am Sonntag, 25.01.2015, um 18 Uhr auf dem NRW-Server der Piraten im Raum AG Demokratieforschung statt. Wir befinden uns in der Gründungsphase der AG. Bei unserem 1. Termin am Sonntag soll es daher speziell darum gehen, wie sich die Teilnehmer die zukünftige AG-Arbeit vorstellen (Themen, Ziele, Aufgaben, Methoden, Kooperationspartner, Gruppenkodex, Abstimmungsmodalitäten etc.).
Wir freuen uns auf euer Interesse und die Zusammenarbeit mit anderen AGs und Initiativen!