Marinke mit wenigen Worten zu charakterisieren fällt schwer. Die Hamburger Politikwissenschaftlerin gibt ein derart facettenreiches Bild ab, das es unmöglich macht sie mit knappen Worten zu beschreiben. Doch für viele Worte fehlt die Zeit. Marinke steckt ihr Umfeld schnell mit ihrer Energie an, so wird der Vormittag mit ihr interessant – und geht doch viel zu schnell vorbei.
Das Thema, mit dem sie im Wahlkampf punktet, ist die Busbeschleunigung, ein Prestigeprojekt des SPD-Senats. Für schlappe 260 Millionen Euro sollen die Hamburger Metrobus-Linien schneller fahren. Die M6 wird am Mühlenkamp in Winterhude 60 Sekunden schneller werden. Dafür wird der Verkehr in Wohngebiete umgeleitet und eine erhöhte Verkehrsinsel gebaut, bewirtschaftetes Parken eingeführt und werden Kap-Haltestellen errichtet werden. Auch zwei alte Bäume am Mühlenkamp sollen gefällt werden. Marinke macht den Irrsinn deutlich: „Sie sollen besser die Schlaglöcher beheben, an manchen Haltestellen fehlen Anzeigetafeln und Sitzbänke. Stell dir von: Der Fahrscheinautomat am Mühlenkamp war lange Zeit kaputt – das interessierte keinen! Stattdessen sollen nun Schneisen durch die Quartiere geschlagen werden. Der Flaniercharakter von Winterhude und Uhlenhorst geht dabei natürlich verloren.“
Das Thema Busbeschleunigung ist nicht neu für Hamburg. Die Regionalausschüsse sind deswegen gut besucht. Es gab eine Versammlung in St. Gertrud mit fast 1.000 Teilnehmern. Die große gotische Kirche war voll an diesem Abend. Aber auch auf dieser Versammlung wurde nicht wirklich auf die Bedenken der Anwohner eingegangen. Ihre Argumente und Vorschläge zur Umsetzung des Programms im Stadtteil wurden von der SPD unisono abgeschmettert. Marinke fürchtet, dass zwar viel diskutiert, aber der ursprüngliche Plan trotzdem umgesetzt wird. Bürgerbeteiligung sollte für sie im 21. Jahrhundert anders aussehen. Die Kandidatin ist im Kopf offensichtlich weiter als die Bezirkspolitik.
Als wir aus dem Kaffee raus auf die schöne Papenhuder Straße gehen, sehen wir die Baumskulpturen. Es sind modellierte Arme, die Bäume umarmen. Das ist ein kreativer Protest eines Künstlers gegen die drohende Fällung dieser Bäume. Die Uhlenhorster haben sich mit den Winterhudern zur Volksinitiative „Stopp des Busbeschleunigungsprogramms“ zusammengetan. Die altehrwürdige Lindenallee der Papenhuder Straße zu erhalten, steht ganz oben auf der Agenda der Initiative. Es ist ihr bereits gelungen, in nur acht Wochen weit mehr als die geforderten zehntausend Unterschriften zu sammeln. Ein kleiner Erfolg in einer 260-Millionen Euro-Sache, aber für Marinke, die schon seit einem Jahr an diesem Thema dran ist, ein Grund zur Freude. Sie war bei vielen Versammlungen dabei und tritt dort sehr aktiv auf – wer sich im Viertel für die Busbeschleunigung interessiert, kennt ihr Gesicht.
Die Kandidatenplakate von Marinke sind schon von weitem zu erkennen. Doch neben jedem ihrer Plakate stehen mindestens drei der CDU. Es gibt da „einen Kampf um die Straße“, die CDU legt noch immer nach. Die Holzaufsteller der Piratenpartei stehen seit Ende 2014. Alle zwei Wochen kündigten sie einen anderen Themenabend an, bis dann schließlich die Kandidatenplakate verteilt werden konnten.
Gekleistert wurden die Plakate auf ihrer Terrasse. Bei den Hamburger Piraten gilt eigentlich die Maxime „Themen statt Köpfe“. Nicht alle waren mit den Kandidatenplakaten glücklich. Auf ihrem Plakat steht Marinke einfach mit einer Winterjacke im Regen. „Das Foto musste an diesem Nachmittag geschossen werden“, erzählt sie. Trotzdem wurde nichts nachgebessert. Drei Tage in der Woche arbeitet sie, die restliche Zeit gehört der Piratenpartei. Da werden die Termine schon mal knapp. Das wird mit viel Improvisationstalent ausgeglichen. Ihre Hoffnung ist, dass ein Name zusammen mit einem sympathischen Gesicht auf dem Plakat zu einem gewissen Widererkennungseffekt auf dem Wahlzettel führt.
Ihr zweites großes Thema ist die Integration. Auf die Frage nach dem „was, wenn es nichts wird mit der Wahl“ hat die Frau auf Platz 16 daher eine Antwort, die nach Gestaltungswillen klingt. Aus einem Job als Corporate Social Responsibility Projektmanagerin (CSR) während ihres Studiums ist der Verein Lessan e. V. hervorgegangen. Lessan hat nichts mit den Piraten zu tun. Dort geht es den Beteiligten um praktische Unterstützung für die fast 90 im Umfeld von Lessan vernetzten Migrantinnen, wie Rechtsberatung, Hilfe bei der Wohnungssuche oder bei Problemen in der Schule. Vielen ist auch schon mit gemeinsamen schönen Stunden geholfen. Es geht um eine offene Willkommenskultur, Hilfe für Flüchtlinge aus Afghanistan oder Afrika. „Wenn wir nicht in die Bürgerschaft einziehen, mache ich dort weiter.
Auch hier kann ich etwas bewegen“, sagt sie, während wir dem Infostand an der Alster näherkommen. „Weißt du“, sagt sie zum Abschied, „die Wahl wird auf der Straße entschieden und nicht in unserer Filterbubble.“
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.