Nach einer Infoveranstaltung der Volkshochschule in München ergab sich die Gelegenheit das Thema Kontrollverlust – Was ist noch privat in der digitalen Welt? genauer zu hinterfragen.
Flaschenpost: Ich möchte gleich an das Thema des Abends anschließen, denn es wurde viel von den Unterschieden der (alten) analogen Welt zu heute gesprochen. Gibt es ein analoges Leben im Digitalen?
Katharina Nocun: Eigentlich nicht. Ich glaube, es geht uns allen so, dass wir ein ambivalentes Verhältnis zu Technik haben. Denn es ist in erster Linie so, dass Technik auch eine Bereicherung für unser Leben ist – ob es die Navigation im Stau ist oder die Bahnverbindung, die wir schnell nachschauen, ob es Bücher sind, die wir uns bestellen, oder Zeitschriften, die wir online durchlesen, manchmal auch ganze Filme – Technik ist in erster Linie eine Bereicherung. Und dann gibt es den Aspekt, dass es in vielen Bereichen nicht so läuft, wie wir es gerne hätten, dass wir irgendwo gerne mehr Kontrolle über unsere Daten hätten. Die Unternehmen lassen das aber nicht zu, weil es gegen ihr Geschäftskonzept ist, das auf Daten-Sammelei und deren Vermarktung basiert. Ein analoges Leben im Digitalen wird in Zukunft ganz schwer sein, sobald wir uns nicht komplett von der Gesellschaft abkapseln. Aber das möchte, glaube ich, keiner.
Flaschenpost: Die Privatsphäre wurde für viele inzwischen zum zweitrangigen Ziel. Die Veranstaltung hier in der VHS war nicht besonders gut besucht. Auch die Snowden-Affäre hat hauptsächlich Journalisten interessiert und nicht den Leser – und schon gar nicht den Wähler, wie wir bei der Wahl feststellen mussten …
Katharina Nocun: Dem möchte ich widersprechen. Es gibt viele Umfragen die zeigen, dass die Menschen Datenschutz schon interessiert und dass sie sich eine andere Welt wünschen, in der sie mehr Kontrolle über ihre Daten haben. Sie wissen allerdings oft nicht, welche Wege sie beschreiten müssen, um dort hinzukommen. Es gab vor einer Woche eine Umfrage, die zeigte, dass sich ein Drittel der Nutzer systematisch im Netz mit falschen Namen anmeldet, weil sie diesen Diensten nicht vertrauen.
Es wurde auch gefragt, welchen Diensten wie viel Vertrauen entgegen gebracht wird. Ganz oben in der Liste wurden Gesundheitsdienste und Banken genannt, am Ende der Skala standen soziale Netzwerke. Nur wenige trauen ihrem sozialen Netzwerk zu, mit Daten pfleglich umzugehen. Wenn ich mich aber dazu entschließe auf Facebook zu verzichten und mich dort abmelde, verliere ich viele meiner Kontakte, die ich über diesen Weg gesammelt habe.
Flaschenpost: Wenn ein Drittel der Anwender Interesse an der eigenen Privatsphäre hat: Fehlen hier Alternativen zu Facebook?
Katharina Nocun: Es gibt Alternativen. Gerade in der Forschung wird viel über alternative Modelle diskutiert. Facebook ist ein zentrales soziales Netzwerk. Das Alternativmodell dazu wäre ein dezentrales soziales Netzwerk. Es gibt da beispielsweise Diaspora. Dort kann sich jeder einen eigenen Server aufsetzen – entweder für sich oder seine Freunde. Oder jemand sagt: „Ja, ich möchte bei Diaspora mitmachen, aber einen Server zu betreiben ist mir zu viel.“ Der sucht sich dann einen Server-Betreiber, dem er vertraut. Hinter Diaspora steckt kein werbe-basiertes Konzept. Es ist ein Communityprojekt, das aus einem Crowdfunding-Projekt heraus entstanden ist. Vor einigen Wochen hat Constanze Kurz auf netzpolitik.org einen interessanten Bericht veröffentlicht. Sie hat ausgewertet, wie sich die Benutzerzahlen von Diaspora entwickelt haben. Viele haben am Anfang gesagt, Dispora erlebe nur einen kurzen Hype. Damals hatte Facebook wieder die AGB geändert und sich erlaubt mehr Daten der Benutzer abzuschöpfen. Dann kam Diaspora und viele sind dort hin gewechselt. Die Nutzerzahlen sind nicht explodiert. Aber die Zahlen zeigen, dass es ein langsames Wachstum gibt. Das Beispiel zeigt, dass es technische Alternativen gibt und die Leute bereit sind zu wechseln. Man kann nicht erwarten, dass der große Knall von heute auf morgen kommt. Aber irgendwann kommt so eine Killer-Applikation, die ein zentrales soziales Netzwerk wie Facebook nicht kopieren kann, und dann sind die Leute schneller weg als Mark Zuckerberg, der Chef von Facebook, winken kann.
Flaschenpost: Glaubst du, dass Datenschutz im Leistungskatalog von Anbietern eines Tages ein Thema werden könnte? Wenn beispielsweise beim Mobilfunk-Anbieter gleich neben dem Preis und der Anzahl der freien SMSen steht, wie lang Daten gespeichert werden?
Katharina Nocun: In vielen Bereichen ist Datenschutz bereits ein Wettbewerbsvorteil. Wenn wir uns den Rechtsstreit, den Microsoft gerade gegen die US-Behörden anstrengt, anschauen, sehen wir das ganz deutlich. Microsoft ist ein großer Anbieter für Cloud-Lösungen für Unternehmen. Auch in Europa hat Microsoft damit einen guten Stand auf dem Markt. Jetzt möchten aber die US-Behörden, sprich die NSA & Co., Zugriff auf die Daten. Für viele europäische Unternehmen spricht dieser mögliche Zugriff von Dritten auf ihre Daten – dabei könnten auch Geschäftsgeheimnisse sein – dagegen, bei einem solchen Anbieter Kunde zu werden. Deswegen sagte Microsoft: „OK, wir ziehen vor Gericht, wir wollen das klären.“ Das Beispiel zeigt: Microsoft hat Angst wichtige Anteile in dem Markt zu verlieren. Da ist Datenschutz längst ein Verkaufsargument.
Ein anderes Beispiel ist Posteo. Das ist ein Mailanbieter, der noch ganz neu auf dem Markt und kostenpflichtig ist, aber dafür mit Datenschutz wirbt. Posteo versichert, persönliche Daten nicht zu Werbezwecken auszuwerten und erst gar nicht auf die Daten der Anwender zuzugreifen. Posteo geht sogar noch weiter beim Schutz der Daten ihrer Anwender. Das Unternehmen sagt: „Wir prüfen ganz genau, ob wir bei Anfragen von Behörden verpflichtet sind etwas raus zu geben.“ Da gab es eine sehr interessante Auswertung von Posteo. Sie bekamen nämlich tatsächlich eine Menge Anfragen, haben diese vom Hausjuristen prüfen lassen und festgestellt, dass 80 Prozent unzulässig waren, sodass keine Daten an Polizei und Geheimdienste herausgegeben werden brauchten. Die meisten anderen Mailanbieter geben angefragte Daten ungeprüft heraus, ohne die Rechtmäßigkeit von Behördenanfragen sorgfältig zu prüfen. In dem Moment, in dem immer mehr Leute sagen: „Das ist mir wichtig“, ändert sich der Markt. Es ist eine allmähliche Veränderung – aber sie kommt.
Flaschenpost: Wenn du die Möglichkeit hättest, für einen bestimmten Datensatz bei der NSA den Stecker zu ziehen: Was wäre das? Was sollten die nicht von dir erfahren? Deine Standort-Daten oder mit wem du Kontakt hast? Wofür würdest du dich entscheiden? Mit anderen Worten: Was ist das Schützenswerteste für dich?
Katharina Nocun: Eigentlich würde ich gern dem gesamten Geheimdienst den Stecker ziehen. Ich glaube nicht, dass sich ein Geheimdienst so, wie er gerade funktioniert, mit einer offenen transparenten Gesellschaft vereinbaren lässt. Im Zweifel würde ich nicht bei mir selbst den Stecker ziehen wollen, sondern lieber bei anderen Leuten. Ich als Aktivistin, Bürgerrechtlerin und Parteimitglied habe mich darauf eingestellt. Das ist die Sache, für die ich brenne. Dafür bin ich bereit Sachen zu opfern – beispielsweise meine eigene Privatsphäre. Jeder, der ins Fernsehen geht, ist eine öffentliche Figur. Mir wäre lieb bei einer Überwachungsmaßnahme wie Tempora den Stecker zu ziehen, damit andere Menschen geschützt werden. Weil ich in einer Gesellschaft leben will, in der jeder frei und offen diskutieren kann, wo offener Diskurs durchs Netz möglich ist. Ich selbst würde viel mehr davon profitieren, wenn andere nicht überwacht werden!
Flaschenpost: Vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Gespräch genommen hast, und weiterhin viel Erfolg für deinen Einsatz für den Datenschutz.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.