
Piraten wirken | CC BY 2.0 Michael Renner
“Schimmelpreis beim Grimme-Preis” mit Melanie Kern | Bild: CC-BY-SA Backschafter Bo
In ihrer Not baten die Flüchtlinge die Piraten um Hilfe, weil die zuständigen Ämter den Zustand der renovierungsbedürftigen Flüchtlingsunterkunft Röttgershof ignorierten. Mitte März dokumentierte daraufhin die Kreistagsabgeordnete der Piratenpartei Melanie Kern menschenunwürdige Lebensumstände: Sechs Menschen hausten in einem einzigen Zimmer, jedes Zimmer war mit einer Familie überbelegt und im ganzen Gebäude schimmelte es, überall gab es ungesicherte Stromleitungen, die sanitären Anlagen waren kaputt und man sah sogar Spuren von Kakerlaken. Außerdem litt eines der Kinder an einer meldepflichtigen Erkrankung. Fürsorge oder Betreuung durch Sozialarbeiter? Fehlanzeige!
Aber es kam noch schlimmer, seit fünf Jahren wussten die Kommunalpolitiker und die lokale Presse nachweislich Bescheid und hatten die schlimmen Zustände im Röttgershof angeblich beseitigt. Mit dem aktuellen Zustand der Unterkunft konfrontiert, stritten die Verantwortlichen alles ab. „Die Unterkunft wird fortlaufend baulich unterhalten“, so die Verwaltung. Die Belegung der Zimmer entspreche den vorgesehenen und üblichen Standards. Sofern es durch unsachgemäßes Heizen und Lüften zu Schimmelbildungen komme, würden diese umgehend beseitigt. Mitglieder des Unterausschusses „Flüchtlinge“ des Sozialausschusses hätten sich erst vor wenigen Wochen bei einem Besuch im Röttergshof ein Bild von der Situation in der Unterkunft gemacht und die Unterbringung nicht beanstandet. So ließ man es in der Presse verlauten. Die dreiste Manier auch noch den Notleidenden die Schuld zuzuschieben, fand Melanie Kern, Kreistagsabgeordnete der Piraten, empörend.
Schockiert beschlossen die Piraten, unverzüglich den Antrag im Kreistag zu stellen, die Flüchtlingsfamilien in richtigen Wohnungen unterzubringen und die marode Unterkunft Röttgersdorf abzureißen.
Um diesem Antrag Nachdruck zu verleihen, hatten die Piraten aus Marl eine kreative und zielführende Idee: Anlässlich der Preisverleihung des Grimme-Preises, der am 27. März im Theater von Marl an die Künstler der Satiresendung „Die Anstalt“ passenderweise für ihren kritischen Beitrag zur Flüchtlingspolitik verliehen werden sollte, demonstrierten sie – unterstützt von Attac Kreis Recklinghausen – vor dem Theater.
Alle Besucher der Preisverleihung wollten die Demonstranten auf die Zustände aufmerksam machen, unter denen Flüchtlinge nur vier Kilometer entfernt wohnen mussten.
Höhepunkt sollte die Verleihung des Schimmel-Preises an Bürgermeister Werner Arndt sein, der bei der Preisverleihung des Grimme-Preises anwesend war. Der Bürgermeister ließ sich nicht blicken und nahm auch seinen Schimmel-Preis nicht entgegen, aber dafür verließen die Darsteller der “Anstalt” überraschend spontan das Theater und sprachen mit den Piraten Melanie und Nico Kern über die menschenunwürdigen Zustände in der örtlichen Flüchtlingsunterkunft!
Doch nicht nur die Demo war ein großartiger Erfolg. Die öffentliche Aufmerksamkeit beflügelte den Piraten-Antrag: Mit fünf Stimmen von Linken, Grünen, Piraten und bum/FDP stimmte der Sozialausschuss dem Antrag der Piraten zu.
Zukünftig werden Familien mit Kleinkindern nicht mehr im Röttgershof wohnen müssen, solange nicht alle Gesundheitsgefahren beseitigt sind. Zudem muss die Stadt alle Mängel, die das Gesundheitsamt aufgelistet hat, durch die längst überfällige Renovierung erledigen. Außerdem sollen die Bewohner der Unterkünfte von geschulten ehrenamtlichen und professionellen Kräften betreut werden.
Angesichts des durchschlagenden Erfolges der Aktion warf Bettina Hartmann (SPD), die Sozialausschuss-Vorsitzende, den Piraten schlechten Stil vor. Sie hätten den engagierten Sozialausschuss vorführen wollen. Dabei hat sich der Ausschuss eigentlich selbst vorgeführt, denn fünf Jahre solche Zustände auszusitzen, ist schockierend. Gesiegt haben aber vor allem die Flüchtlingsfamilien, die nun endlich unter menschenwürdigen Bedingungen leben dürfen. Auf die Verleihung des Schimmel-Preises an den Bürgermeister Werner Arndt haben die Piraten jedenfalls verzichtet. Der ist nun zum Glück überflüssig.
Piraten wirken!