
Minority Report | <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/">CC BY-SA</a> <a href="https://www.flickr.com/photos/encontrado/9087977014">youflavio via Flickr</a>

Laut einem Artikel in Telepolis hat die bayerische Regierung beschlossen, ein Programm namens „Precobs“ („Pre Crime Observation System“) bayernweit zu testen.
Was ist Precobs? Was verspricht es, was ist nur Wunschdenken?
Bei „Precobs“ handelt es sich um ein Predictive-Policing-Programm. Das ist die statistische Auswertung großer Datenmengen mit dem Ziel, Verbrechen, Tatorte, Täter und Opfer mit statistischen Methoden vorherzusagen. Mit diesen Prognosen sollen dann Verbrechen durch verstärkte Polizeikontrollen verhindert oder zumindest schneller aufgeklärt werden.
Bisherige Tests in München und Mittelfranken sind noch nicht abgeschlossen. Das Bayerische Landeskriminalamt will zwar noch keine verbindlichen Aussagen über die Wirksamkeit des Programms machen, angeblich sei die Zahl der Einbrüche in München seit Einführung des Pilotprogramms aber rückläufig.
Recherchiert man nach Studien über „Predictive Policing“, findet man widersprüchliche Ergebnisse. Ein Grundproblem bei der wissenschaftlichen Auswertung von Predictive-Prolicing-Programmen besteht darin, dass es keine kontrollierten Bedingungen für Experimente gibt. Die Kriminalitätsrate einer Region ist immer von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. Es ist nicht möglich, trennscharf die Effekte von Predictive Policing zu ermitteln.
Zudem ergibt es keinen Sinn, nur punktuell, also für eine relativ kurze Periode und einen begrenzten Ort, die Änderungen zu messen. Kriminelle passen sich mit der Zeit an, weichen auf andere Gebiete aus oder ändern ihre Tatmuster oder die Art ihrer Straftaten, um den neuen Möglichkeiten zu entgehen.
Ein eher allgemein gehaltener Forschungsbericht der RAND Corporation beschreibt Predictive Policing generell und weist dabei auch auf die potentiellen Probleme hin, die hinsichtlich Bürger- und Freiheitsrechten auftreten können.
Studien des FBI und der Polizei von Kent konstatieren einen Kriminalitätsrückgang in den Gebieten, in denen Predictive Policing zum Einsatz kam. Allerdings muss hier kritisch hinterfragt werden, inwieweit das Abwandern von Kriminellen in andere, nicht beobachtete Gebiete berücksichtigt wurde.
Eine detailliertere Studie, die auch einen gezielten Vergleich zwischen Gebieten mit und ohne Predictive Policing unternimmt, wurde von der RAND Corporation in Shreveport, Louisiana, durchgeführt. In dieser Studie wurde keine statistisch signifikante Reduktion der Verbrechensrate in Gebieten mit Predictive Policing im Vergleich zu Gebieten ohne festgestellt; dem amerikanischen Gesamttrend folgend fiel die Kriminalität in beiden Arten von Gebieten vergleichbar stark. Allerdings habe sich das Verhältnis der Polizei zu den lokalen Anwohnern verbessert und die Kosten der Kriminalitätssenkung haben sich gegenüber Nicht-Predictive-Policing-Gebieten gesenkt. Dies kann dadurch erklärt werden, dass gezielt mehr Polizeibeamte in von Kriminalität besonders betroffenen Gebieten eingesetzt wurden, was das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöht und von dieser positiv wahrgenommen wird. Der Einsatz der Beamten wurde effizienter gestaltet, dadurch wurden weniger (teure) Überstunden notwendig.
Nutzt man nicht-personenbezogene Daten für Predictive Policing, dann erscheint dieses Mittel als eine moderne Verfeinerung der klassischen Kriminalitätskarten, die aus Krimis bekannt sind: Stadtpläne mit kleinen Nadeln in unterschiedlichen Farben für verschiedene Verbrechen, die oft genug auch schon Kriminalitätsschwerpunkte angezeigt haben.
Kritisch wird die Methode dann, wenn auch personenbezogene Daten mit einbezogen werden, und zwar sowohl Daten einzelner Personen als auch generell personenbezogene Merkmale von Tätern, die Tätergruppen ausweisen. Es kann durchaus sein, dass Menschen aus einem bestimmten Land überdurchschnittlich häufig in der Kriminalitätsstatistik auftauchen; dies liegt dann aber vielleicht daran, dass die Armutsquote dort höher ist, was aber in der Kriminalitäts-Datenbank nicht berücksichtigt ist. Die Armut, nicht die Nationalität, ist dann die Ursache für die Kriminalität (Korrelation versus Kausalität). Sieht man dies nicht, kann das zu Auswüchsen vergleichbar dem „Racial Profiling“ führen, bei denen die Polizei gezielt Menschen mit bestimmten Staatsbürgerschaften kontrolliert. Dies wäre aus Rechtsstaats-, Bürgerrechts- und Anti-Diskriminierungs-Gesichtspunkten strikt abzulehnen.
Noch schlimmer wäre, wenn Personendaten aller Art zu Gefährderprofilen zusammengefasst würden und Menschen sich rechtfertigen müssten oder überwacht würden, die sich keiner Straftat schuldig gemacht haben, nur weil ein Algorithmus errechnet, dass sie dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tun könnten. Die Unschuldsvermutung darf in einem Rechtsstaat niemals zur Disposition gestellt werden.
Nutzt die Polizei dagegen nicht-personenbezogene, statistische Daten und Verfahren, um die eigenen Mittel und die eigene Zeit effizienter einzusetzen, spricht erst einmal nichts dagegen. Es ist aber wichtig, genau und kritisch zu prüfen, welche Daten in die Auswertungen und Prognosen einfließen.
Zudem müssen sich alle Beteiligten klarmachen, dass auch mit Predictive Policing die Zukunft nicht exakt vorhersehbar ist. Predictive Policing ist keine Wunderwaffe gegen die Kriminalität. „Minority Report“ wird auch weiterhin Fiktion bleiben.