Am Montag, den 10. August 2015, gab die Bundesanwaltschaft der Öffentlichkeit die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen netzpolitik.org bekannt. Ein internes Gutachten war zu dem Schluss gekommen, dass die Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister mit der Veröffentlichung des geheimen Budgetplans des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) kein Staatsgeheimnis verraten hätten. Somit sei die Anklage des mittlerweile in den Ruhestand versetzten Generalbundesanwalts Harald Range hinfällig, so die offizielle Lesart.
Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich mit seiner juristischen Einschätzung durchgesetzt, die er schon vor einigen Tagen kundtat. Soweit so gut. Nach Kritik zahlreicher Journalisten und aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Netzwerken sowie Mahnwachen und Demos, fühlt sich die Einstellung des Ermittlungsverfahrens für viele wie ein kleiner Sieg an: Schließlich war mittels massiven Protesten die Pressefreiheit in diesem Land erfolgreich verteidigt worden.
Aber was steckt hinter der Anklage, zu der keiner der Beteiligten mehr viel sagen möchte? Die kurze Presseerklärung dazu klingt spartanisch – zu viele Fragen bleiben unbeantwortet. Die Tatsache, dass Harald Range seinen Hut nehmen musste, spricht eher dafür, dass das schwächste Glied in der Kette von Mitwissern und Initiatoren geopfert wurde. Mutmaßlich wusste Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) Bescheid, so der Tagesspiegel. Vielleicht war die Vorgehensweise juristisch nicht wasserdicht geprüft, eventuell war Range vorgeprescht oder man hatte die öffentliche Kritik schlicht unterschätzt? Die Bundesstaatsanwaltschaft zeigt sich wortkarg, der Fall sei erledigt. Nachfragen sind unerwünscht.
Gleichzeitig werden die Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Weitergabe der Dokumente weitergeführt, weil Dienstgeheimnisse verletzt wurden. Selbst wenn die eigentlichen Initiatoren der Affäre im Dunkeln bleiben, wäre es jenseits aller Verschwörungstheorien denkbar, dass es um etwas Anderes geht: die Möglichkeiten und Grenzen des investigativen Journalismus auszuloten.
Seit Edward Snowdens Enthüllungen die Lethargie der budgetverwöhnten Geheimdienste störte, kämpfen etablierte Politiker und Ministerien verbissen mit unliebsamen Veröffentlichungen widerborstiger Journalisten und hartnäckiger Wistleblower: Was tun gegen die „beklagenswerte“ Tatsache, dass aus dem NSA-Untersuchungsausschuss interne Dokumente in die Hände der Öffentlichkeit gelangen? Wie könnte man der „elenden” Tatsache Herr werden, dass geheime Budgetpläne des Verfassungsschutzes zur Überwachung sozialer Netzwerke im Netz landen?
Erschwerend kommt hinzu, dass solche Papiere in irrsinniger Geschwindigkeit über das Internet rund um den Globus verbreitet werden können. Wo soll die Pressefreiheit aufhören, welchen Stellenwert hat der Quellenschutz der Journalisten? Kann man den abschaffen? Sollte man ihn einschränken?
Vielleicht lautet die Antwort der Mehrzahl der „Groko-Politiker“, dass sie sich unsicher sind, wie sie solche Probleme bewerten sollen. Die Vorgehensweise bei den Ermittlungen gegen netzpolitik.org wirkt jedenfalls wie hilflose Improvisation. Pleiten, Pech und Pannen bestimmen das Bild. Den Initiatoren dieser Affäre scheint die Pressefreiheit zwar wichtig, vor allem aber lästig zu sein, wenn sie sich nachteilig auf sogenannte „Staatsgeheimnisse”auswirkt. Wo sollen die Grenzen gezogen werden? Eine klare Linie ist bei den Verantwortlichen nicht zu erkennen. Akteneinsicht blieb den betroffenen Journalisten bisher verwehrt. Am 19.8. 15 soll eine Sondersitzung des Rechtsausschusses des Bundestags Licht ins Dunkel bringen, aber ob die Verantwortlichen erscheinen werden, ist noch unsicher.
Wie zukünftig die Weichen gestellt werden, bestimmt auch die Meinung der Öffentlichkeit. Dieses Mal hat das Engagement zahlreicher Bürgerinnen und Bürger zur Einstellung der umstrittenen Ermittlungen gegen netzpolitik.org geführt und so geholfen, die Pressefreiheit zu verteidigen. Aber es wird kaum das letzte Mal gewesen sein. Der Umgang mit den technischen Möglichkeiten der Überwachung sozialer Netzwerke ist genauso ungeklärt wie der rechtliche Schutz von Wistleblowern oder die Weitergabe sogenannter Dienstgeheimnisse sowie deren Verbreitung im Internet.
Tragfähige Konzepte im Spannungsfeld „Freiheit und Sicherheit“ müssen erst erarbeitet werden; wir Piraten werden uns an diesem wichtigen Prozess beteiligen.