Damit die Flüchtlingshilfe nicht im Chaos versinkt, muss die Verteilung von Essen, Kleidung und Spielzeug, aber auch von Räumen und Betten, gut koordiniert sein. Profis in Sachen Logistik fällt die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass alles rechtzeitig am richtigen Ort ist. Dabei nimmt die Kommunikation untereinander eine wichtige Rolle ein. In Hannover unterstützen abwechselnd 20 Funkamateure am Messebahnhof Laatzen funktechnisch die Einsatzleitung. Wir fragen Oliver Häusler, den Distriktsvorsitzenden der Funkamateure in Niedersachsen, nach Details.
Flaschenpost: Oliver, wie kam es, dass Funkamateure aus Hannover am Umverteilungsbahnhof Laatzen helfen?
Oliver Häusler: In Niedersachsen haben wir uns wieder seit letztem Jahr stärker bei Behörden der inneren Sicherheit und des Katastrophenschutzes in Erinnerung gebracht. Insbesondere bei der Polizei, die vielfach den sogenannten “bunten Leitstellen” übergeordnet sind. Eine der ersten ad hoc Aufgaben war es, im Bereich Göttingen per HAMNET einen unabhängigen Drahtlos-Highspeednetzwerk im Amateurfunkbereich, Nachrichten der Polizeidirektion (PD) Göttingen in die Landeszentrale innerhalb einer Großschadensübung zu übermitteln. Aus dieser einmaligen Aufgabe entstand der Plan, alle Möglichkeiten zu erstellen, um die wichtigen regionalen PD’s alternativ zu vernetzen. An die Landkreise erging daraus die Empfehlung im Bedarfsfall den Amateurfunkdienst bei Katastrophen oder Großschadenslagen mit in Betracht zu ziehen. Zudem wurden vor
kurzem alle bekannten Amateurfunkrufzeichen, die sich nicht mehr im DARC (Deutscher Amateur Radio Club) e.V. befanden im Distrikt Niedersachsen angeschrieben, soweit bekannt. In dem Schreiben wurden die Inhaber in erster Linie wieder an den Amateurfunkdienst und das vorhandene Rufzeichen erinnert. Damit sollte wieder Kontakte auch zu nicht mehr aktiven Funkamateuren hergestellt werden. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Region Hannover, der auch Funkamateure ist, stellte eine erste Anfrage, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, hier in der technischen Einsatzleitung auszuhelfen. Die Anfrage wurde terminlich knapp zur Beantwortung gestellt, ähnlich wie bei einer echten Katastrophe. Zudem zwingen die personellen Engpässe hier zum schnellen Handeln, denn die Aufgabe auf dem Bahnhof ist nur eine von sehr vielen Anforderungen, die zum Teil seit Juli ununterbrochen auf dem nicht abwendbaren Tagesplan der Behörden stehen. Nach unserer Zusage und der Definition der Aufgabenstellung wurden wir seitens der Region Hannover gebeten, zeitnah zu unterstützen. Der Dienst wurde bereits aufgenommen. Damit übernehmen Funkamateure erstmals seit den Schneekatastrophen der 70er/80er Jahre eine ergänzende Aufgabe im Bereich funktechnischer Hilfe. Wir vermuten, dass es in Zukunft öfters zu einer solchen Aufgabenstellung kommen wird, da die personelle Verfügbarkeit auch in den Reihen der etablierten Rettungs- und Katastrophenschutzorganisationen wie im allgemeinen Vereinsleben immer geringer wird. Neben Vollbeschäftigung und Arbeitsplatzangst sind aber hier bereits wie überall die demografischen Auswirkungen zu spüren. Auch die Bereitschaft sich für die Gesellschaft nicht mehr so selbstverständlich zu engagieren, schlägt hier zu.
Flaschenpost: Welche Aufgaben übernehmen die Funkamateure konkret?
Oliver Häusler: In der Fachsprache nennt sich diese Funktion “S6”. Der S6 hat seinen Platz in der jeweiligen Einsatzleitung und ist für die funktechnische Kommunikation der eingesetzten Kräfte verantwortlich. Ferner sind wir üblicherweise für die eingesetzten Betriebsmittel wie Funkanlagen, Netzwerke, in dem Falle WLAN vor Ort für die Flüchtlinge zuständig. Das hat die Region Hannover allerdings schon aufgebaut – wir stellen jetzt das Fernmeldepersonal Mit dden übernommenen Aufgaben stellen wir den Kern unseres Könnens und Wissens an der richtigen Stelle zu Verfügung.
Flaschenpost: Haben die Einsatzkräfte keine Mobiltelefone? Funkgeräte gelten bei vielen als Technik aus dem vergangenen Jahrhundert.
Oliver Häusler: Funk hat einen entscheidenden Vorteil, den viele unterschätzen. Alle in der Gruppe zusammengeschalteten Einsatzkräfte hören das Gesamtgeschehen mit. Ansagen, die alle betreffen, werden in der selben Zeit wahrgenommen und umgesetzt. Das Bild der Gesamtlage ist für alle zeitgleich vorhanden. Bei Mobilfunkanwendungen befinden wir uns in der Regel in einer Punkt zu Einpunktkommunikation. In schlechtesten Falle müssen alle nacheinander angerufen werden. Zudem werden Mobilfunknetze bei großen Menschenansammlungen in einigen Fällen zum Nachrichtenblocker. SMS gehen verzögert an den Empfänger, die Datennetze sind überlastet und laufen nicht rund. Merklich war dies aktuell bei der Fussballspielabsage nach der Terrorwarnung in Hannover. Jeder wollte jedem mitteilen oder erfragen, was den los sei. Ähnlich ist es bei Stromausfällen, die größere Stadtteile oder Regionen betreffen. Da heißt es sogar, “Netzabschnitt besetzt”. Denn nicht alle Mobilfunkstationen sind vollumfänglich gegen einen längeren Stromausfall geschützt. Hier werden von den Unternehmen Kosten/Wahrscheinlichkeiten/Nutzenrechnungen erstellt. Zudem sind die neuen BOS-Funknetze in Behördenhand im Moment gegenüber Dritten nach deren Angaben abhörsicher.
Flaschenpost: Wie viel Zeit investieren Funkamateure gerade am Bahnhof Laatzen?
Oliver Häusler: Wir sind im Plan der Region Hannover jeden Samstag und Sonntag eingeteilt, bei Bedarf auch mal wochentags. Hier werden die sonst üblichen Helfer oder Angestellte der Region Hannover mit Wochenenddiensten entlastet. Die Einsatzzeiten können in den frühen Morgenstunden ab 6:00 Uhr bis in den Vormittagdauern, je nachdem wann die Züge, die von Passau aus starten, in Hannover eintreffen. Vor Ort werden die Flüchtlinge auf Busse verteilt, die Unterkünfte in ganz Norddeutschland anfahren. Direkt vor Ort sollte keiner seine Hilfe ohne Anforderung anbieten. Zu viel unkoordinierte Katastrophenhelfer helfen nur der Katastrophe. Über eine zentrale Mail und Telefonnummer wird von uns zunächst mit dem Freiwilligen ein Kontakt hergestellt. In dem Kontakt werden viele Fragen und eventuelle Anforderungen für die Aufgabe mit den Fähigkeiten des eventuellen Helfers abgestimmt. Auch können wir hier Enttäuschungen vorbeugen auf beiden Seiten. Die Hilfe ist nach außen und zu den Flüchtlingen auch nicht sichtbar. Wir selber kommen mit den Menschen dort nicht in Kontakt. Viele der Interessenten stellen sich eine humanitäre Arbeit mit den Menschen dort vor. Wir sind aber ein Teil der Einsatzleitung, die sich aktiv nicht am Geschehen am Bahnhof beteiligt. Unsere Kontaktdaten: dv_h@lists.darc.de oder per Telefon: 05553-2418. Auf unserer Internetseite findet am mehr Infos zu uns und dem Amateurfunkclub DARC e.V. , zusätzlich auf der Hauptseite.
Flaschenpost: Hast du Pläne für die Zeit nach dem Einsatz?
Oliver Häusler: In der Freizeit, falls noch welche übrig ist, versuche ich unser Hobby mit den guten Dingen für die Allgemeinheit zu kombinieren. Wir versorgen mit unserem Wissen Orte oder Siedlungen mit Internet, wo keines ist. Wir bauen im Amateurfunk als Lernplattform parallel das HAMNET aus. Eine Highspeed-Datennetz auf Funk-WLAN-Basis deren Erfahrungen mit in die Versorgung ganz realer Menschen einfließt. Wer keine Amateurfunklizenz besitzt und auch nicht gleich vorhat ein Drahtlos-Internetserviceproveder zu werden, der kann in seiner Stadt/Gegend mal nach Freifunk googeln… Hier sind wie beim Amateurfunk die Communty, Eigenständigkeit und Technik zusammengefasst. Wer mit einem WLAN-Router schon einmal rumgespielt hat, ist hier genau richtig. Viele Funkamateuere sind auch da aktiv. Vielleicht läuft der Leser dieses Beitrages einen der beiden Spezies über den Weg.
Flaschenpost: Vielen Dank, Oliver, für die ausführlichen Informationen. Wir wünschen dir und dem ganzen Team in Laatzen erfolgreiche Wochenenden.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.