Seit einigen Wochen geistert der Fall Petra Hinz (SPD) durch die Medien. Die Bundestagsabgeordnete hatte ihren Lebenslauf gefälscht – ihr Abitur und das Jurastudium waren schlicht erfunden, mutmaßlich um in der SPD Karriere zu machen.
Alle Parteiämter ihres Ortsvereins Frohnhausen-Essen legte die Politikerin artig nieder, aber sie behielt ihr Bundestagsmandat! Das empört die SPD- Mitglieder aufs Äußerste. Man geht – so Sigmar Gabriel höchstpersönlich – davon aus, dass Petra Hinz auf ihr Mandat verzichten wird, gegebenenfalls ohne selbst zu erscheinen, über einen Notar. Ein Parteiausschlussverfahren würde ebenfalls erwogen.
Wenig in den Medien thematisiert wird dabei die abenteuerliche Rechtsauffassung der zahlreicher Genossinnen und Genossen, denn rein rechtlich ist im Grundgesetz verankert, dass Mandate nicht von der Zugehörigkeit oder der Zustimmung zur Partei abhängen. Das freie Mandat der Mitglieder des Deutschen Bundestages ist durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz fixiert: Gewählte Volksvertreter sind nur ihrem Gewissen verpflichtet.
Nahezu symptomatisch für alle Parteien ist allerdings das hilflose Gezeter und der Druck, dem Menschen ausgesetzt werden, die nicht mehr der Parteilinie entsprechen, um auf Biegen und Brechen zu erreichen, dass “das schwarze Schaf” sein Mandat niederlegt. Ähnlich zur Sache geht es, wenn Abgeordnete es wagen, die Partei wechseln. Es ist schnell die Rede von Mandatsdieben bis hin zu Verrat.
Aus verschiedenen Gründen ist das Verhalten der ehemaligen Parteifreunde angesichts solcher Fälle nachvollziehbar. Wähler haben meist eine Partei gewählt und wurden enttäuscht, die Parteibasis hat sich im Wahlkampf für den hoffnungsfrohen Kandidaten engagiert und fühlt sich hintergangen, schlussendlich geht eine Stimme im parlamentarischen Betrieb für die Partei verloren.
Aber trotzdem: Fragwürdig bleibt das Verhalten solch enttäuschter Parteifreunde allemal, wenn sie als Konsequenz für unerwünschtes Verhalten davon ausgehen, dass die Pflicht besteht, das errungene Mandat niederzulegen. Warum nimmt man nicht hin, was nicht zu ändern ist?
In den etablierten Parteien existiert ein perfide gut funktionierendes Versorgungssystem. Wer sich engagierte und vorankam, es schließlich in Landtag oder Bundestag schafft, für den sorgt die Partei – oft bis zum Rentenalter.
Fügsamkeit und Treue zu Parteimeinung werden selbstverständlich erwartet. So entsteht ein zweifelhaftes Bild eines Berufspolitikers, für den keine andere berufliche Perspektive mehr existiert. Lobbyisten haben es deshalb leicht, schließlich kennen sie ihr wenig wechselndes Klientel und deren Abhängigkeit.
Dies verursacht Politikverdrossenheit, denn auch Wähler, insbesondere die der großen Volksparteien, wählen Legislaturperiode per Legislaturperiode denselben in die Jahre gekommenen Kandidaten, der wenig engagiert “Realpolitik” macht. Dem fallen Wahlversprechen mit schöner Regelmäßigkeit zum Opfer.
Ein bekanntes Beispiel: Heinz Riesenhuber (CDU) sitzt seit 1976 im Bundestag “und verdient gleichzeitig neben seiner Abgeordnetendiät u.a. als Beiratsvorsitzender eines Umwelt- und Entsorgungsunternehmens in der Stufe 7 oberhalb von 75.001 Euro jährlich.” Genug Zeit für den Ausbau seines Netzwerks bis zum Erzielen eines solchen “Spitzenverdienstes” hatte er ja.
Prominentestes Beispiel für die Beförderungsmechanismen in etablierten Parteien ist Günther Oettinger (CDU): ehemals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, später EU-Energiekommissar und dann EU-Kommissar für Digitalwirtschaft. Er fiel nie durch mangelnde Loyalität gegenüber seiner Partei auf und leistete sich im Formalen keine größeren Fehler. Nahezu automatisch wurde er von Posten zu Posten befördert bis hin zum EU-Kommissar für Digitalwirtschaft, obwohl Sachkompetenz in dem Zusammenhang offensichtlich keine Rolle spielte. In ewiger Erinnerung seine bemerkenswert dümmliche Aussage auf den Diebstahl Passwort geschützter Fotos eines Prominenten: „Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nacktfoto von sich selbst macht und ins Netz stellt, kann [man] doch nicht von uns erwarten, dass wir ihn schützen.“
Kann es für eine lebendige Demokratie wirklich gesund sein, sich eine solche Kaste perspektivloser Berufspolitiker zu schaffen, zu versorgen und bei absoluter Unfähigkeit auf ein anderes Bezahlpöstchen zu verschieben?
Zurück zu Petra Hinz. Neben dem kräftezehrendem Aufstiegskampf blieb in Sachen beruflicher Laufbahn offensichtlich nur Zeit den eigenen Lebenslauf zu frisieren. Das ist unverzeihlich. Sicher. Nun steht sie aber vor dem Aus.
Kein Wunder, dass sich die Politikerin an ihr Mandat klammert. Letzteres ist aber nur ein Symptom für ein faules System, das solche “Karrieren” fördert und jährlich weniger Wählerinnen und Wähler zu Urne treibt!
Was für ein Unfug wurde denn hier zusammengequirlt?
“…das errungene Mandat…”
Reden wir hier von einem Direktmandat?
Nein. Wieso schreibt man dann errungen!?
“Warum nimmt man nicht hin, was nicht zu ändern ist?”
Genau nehmt doch bitte alles hin weil jemand behauptet es ist nicht zu ändern.
Wenn jemand was verbockt hat gehört auch die Konsequenz dazu seinen durch andere “errungenen” Vorteil aufzugeben.
Alles andere fördert Politikverdrossenheit, den der moralische Anspruch wird nur an andere gestellt man selbst ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Die und 9.000 Euro Staatsknete sind ja auch nicht zu verachten.
Und hier die Gewissensfreiheit anzusprechen ist eher ein Zeichen von Moralfreiheit.
Treffende Analyse des gegenwärtigen Politikbetriebes. Danke an Frau Hinz, den Aufhänger dazu geliefert zu haben.
Überdies authentische Analyse. Vor allem deshalb, weil die PP in einigen Landtagen selbst von “Abweichlern und Mandatsdieben” betroffen ist. Ich würde jeden dieser “internen” Fälle einzeln betrachten. Nicht immer ist ein Abweichler der Held und nicht immer ist er ein Schurke. Es kommt meines Erachtens in erster Linie auf die persönliche Motivation UND auf die Aussagen der betreffenden Person VOR der Wahl an.
“An ihren Taten sollt’ ihr sie erkennen.”
@A: Vielleicht hast du Christiane an einigen Stellen missverstanden. Die Moralfreiheit, die du berechtigterweise konstatierst, ist, wie die Autorin des Artikels sagt “ein Symptom für ein faules System”. Ersetze “Symptom” durch “Folge” – dann wird es noch etwas klarer.
Die wichtige Frage ist jetzt, wie man dieses “faule System” überwindet…
Liebes Seepferdchen,
ja, du hast recht. Wie mit solchen Fällen umzugehen ist, ist ganz sicher eine individuelle Entscheidung – im Jahr 2012 wechselten einige Mandatsträger von anderen Parteien zu den Piraten – im letzten Jahr verließen einige die Partei und nahmen ihr Mandat mit. Öffentliche Schelte hat daran nichts geändert.
So etwas ist fraglos bitter.
Aber die Piratenpartei ist aus meiner Sicht nicht mit den etablierten Parteien gleichzusetzen. Das faule System ist eine Folge routinierter Berufspolitiker.
Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, die Anzahl der Legislaturperioden zu begrenzen, um frischen Wind in die Parlamente zu bringen. Maximal zwei Legistaturperioden fände ich sinnvoll.
“Aber die Piratenpartei ist aus meiner Sicht nicht mit den etablierten Parteien gleichzusetzen.”
NOCH nicht… Tendenzen dahin sind allerdings klar erkennbar, gerade bei einigen dieser Abweichler, denen es egal zu sein scheint, in welchem Team sie spielen, solange sie im Politzirkus überhaupt mitspielen dürfen.
Das mit den 2 Legislaturperioden halte ich ebenfalls für eine sinnvolle Maßnahme, die aber die von dir angesprochenen Probleme allenfalls abmildern und nicht lösen kann.
Wir sollten auch eins nicht vergessen, WER MACHT eigentlich Politik? Berufspolitiker? Es gibt deutlich bessere Witze, über die man lachen könnte. >2000 Lobbyisten mit Zutrittsberechtigung zum Bundestag. Von Brüssel will ich jetzt gar nicht reden. Oder bin ich zu pessimistisch und die Politik ist tatsächlich das Regulativ zur Vermeidung gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, was sie mMn sein sollte. Vielleicht haben wir ja gar keine solchen Fehlentwicklungen.
Fragen…
Nein sicher nicht.
Meine Ideen zu dem Thema sind leider zu radikal für einen Artikel 🙁
Wenn ich mir vom Gesetzgeber etwas wünschen dürfte, wäre es, dass gesetzliche Regelungen für Beamte auch auch für Bundestagsabgeordnete gelten.
Jeder Nebenverdienst müsste demnach genehmigt werden, Schenkungen über 10€ dürften nicht angenommen werden.
Überhaupt finde ich es extrem fragwürdig, wie viel Zeit Abgeordnete für Nebenjobs/Beratertätigkeiten haben. Eigentlich sollte eine so verantwortungsvolle Tätigkeit derartiges ausschließen…
Als erstes müssen alle ( Politiker ) die etwas zu bestimmen haben oder zu solchen gewählt wurden auch für Ihre Entscheidungen einstehen ( auch finanziell ) Was mich an dem ganzen politik gemache stört ist das alles mögliche entschieden wird aber wenn es in die Hose geht keiner dafür gerade steht oder stehen muss. Jeder Bürger hat für sein Handeln welches er tut die Konsequenzen zu tragen nur die Damen und Herren in den Ortsräten landtagen und ganz besonders in Berlin nicht und dieser Mist führt auch dazu das alle mitlerweile unglaubwürdig sind oder werden und die Masse der Bürger kein Interesse mehr daran hat.