Ein Beitrag von Michael Renner und Steve König.
Island, die recht kleine Insel im hohen Norden, ist bekannt für eher frostiges Klima, sehr lange Tage und Nächte und eine abwechslungsreiche Natur mit grünen Graslandschaften, Geysiren und Vulkanen. Weltpolitisch dagegen nimmt der Inselstaat oftmals eine untergeordnete Rolle ein. Schließlich leben mit knapp 340.000 Einwohnern dort weniger Menschen als in den meisten deutschen Großstädten.
Doch in letzter Zeit sind viele politisch interessierte Blicke auf die Vorkommnisse in Island gerichtet. Mit den Enthüllungen durch die sogenannten „Panama Papers“ im Frühjahr dieses Jahres nahm alles seinen Anfang – der damalige Ministerpräsident Sigmundur David Gunnlaugsson wurde auf frischer Tat beim Lügen ertappt. Es stellte sich heraus, dass er durch mehrere Briefkastenfirmen Geld am Staat vorbei in die eigene Tasche schaufelte. Nach Druck von der Bevölkerung und massiven Demonstrationen – vor allem in der Hauptstadt Reykjavík – trat er im April schließlich zurück.
Nun standen Neuwahlen für das isländische Parlament an, und vor allem die Piraten in Deutschland blickten nun auf Island und warteten gespannt auf das Ergebnis. Denn nach all dem politischen Chaos stand besonders eine Partei in den Umfragen sehr gut da – die Piratenpartei Island.
Mit der Nähe zum Wahltag wuchs in der deutschen Medienlandschaft die Anzahl der Zeitungsartikel über die isländischen Piraten. Den Auftakt lieferte DIE ZEIT schon im Mai mit dem Artikel „Die Piraten-Insel„. In der Folge wurde immer häufiger über die konstant hohen Zustimmungswerte berichtet. Die taz stellte Birgitta Jónsdottír vor, der Deutschlandfunk berichtete von der Wahl gegen das Establishment. Auch das Handelsblatt sieht die Zeit für die Piraten gekommen und macht nach Wirtschaftskrise und Banken-Crash auch die „Panama Papers“ als die Ursachen aus, die den rechtsliberale Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson politisch beschädigte. Der Tagesanzeiger aus Zürich stellte fest, dass bei dieser Wahl vor allem über die neue Verfassung abgestimmt werden wird, die als Crowdsourcing-Projekt entstand. Nur das unter russischer Regie erscheinende „Sputnik Deutschland“ übergoss islands Piraten mit Spott und Häme. Auf Twitter dagegen kannten mit dem Hastag #PiratesForIceland weder die Begeisterung, noch die Lobeshymnen, bis hin zu der Bezeichnung „Bernie Sanders Islands“ für die Vorsitzende Birgitta Jónsdóttir, Grenzen.
Zukünftig werden statt drei insgesamt zehn Piraten im Parlament von Reykjavík sitzen und eventuell an der Regierung beteiligt sein. Die neue Verfassung gilt als Prestigeprojekt, mit der harten Tagespolitik das Gesundheits- und Bildungssystem saniert werden, der Staatshaushalt sowieso. Die Neuordnung der Fischereiquoten, kürzere Arbeitszeiten und dem Wunsch, Edward Snowden die isländische Staatsbürgerschaft anzubieten, sind ebenfalls Kernpunkte im Programm von islands Piraten. Keine leichten Aufgaben, die die neue Regierung stemmen muss, auch keine leichte Aufgabe für die Piraten, falls sie zum ersten Mal an einer Staatsregierung mitwirken sollten.
Der Erfolg in Island wirft derzeit wenig Scheinwerferlicht auf die Piraten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Immerhin wird Dank Island deutlich: Es gibt uns noch. Ein Hype, wie er nach der Berlinwahl einsetzte, erwartet ernsthaft niemand. Und dennoch: Der Erfolg kann den Piratenparteien in Europa Mut machen. Sicherlich, gemessen an der Einwohnerzahl scheint Island recht unbedeutend. Doch man stelle sich vor, nur in einer Großstadt mit vergleichbarer Einwohnerzahl hätten die europäische Piraten die Gelegenheit, an einer Regierung mitzuwirken. Bei all den Ereignissen der letzten Wochen und Monate, von brennenden Flüchtlingsheimen bis zum Aufstieg der AfD, ist der Wahlerfolg der isländischen Piraten ein willkommener Lichtblick.
Liebe Piratenpartei Island: Herzlichen Glückwunsch zu 14,5% in den Wahlen, viel Erfolg im neuen Parlament und vielen Dank für den Motivationsschub.
„Doch man stelle sich vor, nur in einer Großstadt mit vergleichbarer Einwohnerzahl hätten die europäische Piraten die Gelegenheit, an einer Regierung mitzuwirken.“
Ja. Das wäre was… So richtig gut informiert seid ihr nicht, oder?
http://www.piraten-bielefeld.de/2015/02/27/koalitionsvertrag-zukunftspakt-fuer-bielefeld-spd-gruene-buergernaehepiraten/
Wir hatte insgeheim gehofft, dass jemand „Bielefeld“ in die Diskussion wirft 🙂 Aber Spass beiseite: Wie läuft es in Bielefeld?
Sehr gut. Viele von uns initiierte Runde Tische (Bürgerbeteiligung), Digitale Agenda, hervorragend funktionierende Geflüchtetenpolitik, Verhinderung von ÖPP, Beibehaltung des Sozialtickets, gerechtere Elternbeiträge für die KiTas, Verzehnfachung des Budegts für den Radverkehr, Unterstützung der freien Kulturszene, Förderung von Urban Gardening Projekten, Aktionsplan LGBTTI und da kommt noch einiges bis 2020.
Schön. In Island sind also Bürger, die sich gemeinsam engagieren statt sich zu zerstreiten und zu zerlegen, erfolgreich. Zufällig unter dem gleichen Label, das auf dem Kontinent inzwischen weit überwiegend für kleine, abgeschlossene Zirkel und für Selbstzerstörungsmodus steht.
In Deutschland könnten Bürger, die sich gemeinsam engagieren statt sich zu zerstreiten und zu zerlegen, ähnlich erfolgreich sein. Man muss es nur tun. Ist aber bekanntlich nicht einfach und keinesfalls ein Selbstläufer, nur weil das gleiche Label draufklebt.