… mit seiner alten Geschichte über seine Ex-Partei durch den Medienzirkus tingelt
Ein Gastartikel von Schoresch Davoodi
Christopher Lauer ist, laut seines Wikipedia-Artikels, von Juli 2009 bis September 2014 Mitglied der Piratenpartei Deutschland gewesen. Zwischen September 2016 und Mai 2019 war er ebenfalls Mitglied in der SPD. Am 13. November 2020 gab er ein Interview in der „Stuttgarter Zeitung“.[1] Lauer ist nicht mehr als Politiker aktiv, sondern als Publizist.[2]
Durch die Corona-Pandemie ist das Thema Digitalisierung und dass Deutschland diese verschlafen habe, wieder in aller Munde. Während früher viele Themen der Piratenpartei ignoriert oder gar als „exotisch“ und wenig relevant wahrgenommen wurden, hatte „der Tagesspiegel“ schon 2019 im Zuge der Artikel 13 Demonstrationen konstatiert, dass die Zeit der Piratenpartei, aufgrund des technischen und dadurch ausgelösten gesellschaftlichen Wandels, wohl noch vor ihr liegt.[3] Gleiches war im Zuge der Proteste auch im Januar 2019 im Deutschlandfunk zu hören, wo die Frage gestellt wurde, ob die Piratenpartei damals politisch ihrer Zeit voraus gewesen war.[4]
Die damaligen Debatten und Shitstorms, welche in der Frühzeit der Piratenpartei medial mit Erstaunen und Belustigung wahrgenommen wurden, sind nun 12 Jahre nach dem ersten Hoch der Piratenpartei, inzwischen allgemeiner Teil der politischen Netzdynamik, quer durch die Parteien und politischen Spektren. Ende 2019 hatte Tobias Buturoaga diese Entwicklung in einem Gastbeitrag in der Flaschenpost sehr gut dargestellt.[5]
Parteien wandeln sich und auch die Personen in einer Partei
Parteien wandeln sich im Laufe ihrer Geschichte, auch bedingt durch die Personen, die ihr angehören. Die damalige CDU unter Adenauer ist inzwischen, durch die Politik von Helmut Kohl, zu einer Volkspartei geworden. Durch Angela Merkel, welche der Partei ein anderes inhaltliches Profil gab, wurde es der Union ermöglicht, andere Wählergruppen zu erschließen. Ähnliches gilt auch für die Piratenpartei. Zu Beginn der Parteigeschichte, im Zuge der Entwicklung eines Programms, war die Frage prominent, wie die Piratenpartei ihre Positionen und Inhalte auf dem klassischen Feld der Außenpolitik definiert. So wurden 2013 Sebastian Nerz und Bernd Schlömer in einem Interview mit der Zeit auf dieses Politikfeld angesprochen.[6]
Heute, sieben Jahre später, werden die beiden Politiker, die nun in der FDP ihre politische Heimat gefunden haben, gewiss kaum Einblicke haben, was die Piratenpartei auf dem Feld der Außenpolitik thematisch und inhaltlich zu bieten hat.[7] Durch viele Framings und veraltete Wahrnehmungen glauben jedoch viele Menschen zu wissen, wie diese Positionen aussehen. So ist es immer wieder eine positive Überraschung, wenn diese Menschen feststellen, dass unsere Inhalte und Aussagen sich positiv von den geframten Annahmen, welche zuvor getroffen wurden, unterscheiden.
Immer wieder werden jedoch die gleichen Personen durch den Medienzirkus geschleift, wobei eine kritische Beleuchtung ihrer getätigten Aussagen und deren Einordnung unterbleibt. Zudem haben diese Interviewpartner ein Interesse daran, die eigene Relevanz auf dem Gebiet zu erhalten und gegen einen Wandel zu verteidigen. Auch deshalb liefern sie häufig die erwarteten negativen Aussagen über die Ex-Partei. Dies betrifft nicht nur ehemalige Mitglieder der Piratenpartei, sondern auch gesellschaftliche Akteure in der digitalen Debatte allgemein.
So wurde zum Beispiel festgestellt, dass Sascha Lobo, neben Mercedes Bunz, Stefan Niggemeier, Kathrin Passig und Mario Sixtus, bis zur breiteren Etablierung der Piratenpartei lange Zeit als einer der wenigen sogenannten „Internetexperten“ zählte. Dadurch füllte er 2011 in der Darstellung von Christian Stöcker eine Lücke. Die Digital Natives, die „vermeintlich Verblödeten, Verrohten, Dummgesurften“, seien mehrheitlich noch nicht in einem Alter, in dem sie gesellschaftliche Führungspositionen besetzen könnten. Daher werde gern und viel über ihre Köpfe hinweg geredet.[8]
Während in der Diskussion um die Piratenpartei von Personen wie Christopher Lauer immer noch Aussagen zum Thema Liquid Feedback kommen, ist dieses innerhalb der Partei schon lange kein Thema mehr. So hatte im Jahr 2020 die Piratenpartei Brandenburg mehrfach dezentrale und digitale Parteitage in Deutschland ausgerichtet.[9][10]
Das Ganze führt nun dazu, dass bei dem Interviewer und Journalisten am Ende eine verzerrte Wahrnehmung zurückbleibt. Dies zeigt der aktuelle Fall bei dem Interview von Christopher Lauer in der Stuttgarter Zeitung. Es erfolgt eine Verzerrung der Darstellung durch auf Social Bias und unbewusstem Framing beruhende Aussagen zu dem Thema, über das berichtet wird.
Im Zeitalter des Informationskrieges werden explizit diese sozialen Mechanismen in der Medienkommunikation auch von externen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren gegen demokratische Gesellschaften eingesetzt.[11] Dieser Faktor und die Wahrnehmung, nur das hören und verbreiten zu wollen, was einem in die eigene soziale Wahrnehmung passt, ist ein Teil des Problems der Filterblasen. Diesem Problem kann nur mit mehr Wissen, einer zum eigenen Standpunkt kritischen Wahrnehmung und dem Abwägen der verschiedenen Quellen entgegengetreten werden. Diese wichtigen Eigenschaften für die politische Kommunikation, gerade dort wo sie für einen Selbst unbequem werden, sind eine Grundvoraussetzung für die Resilienz einer jeden demokratischen Gesellschaft.[12]
Als Fazit ist festzuhalten, dass Christopher Lauer, ohne sich dessen bewusst zu sein, mit seinen Aussagen viele Probleme in der öffentlich Debatte durch sein Verhalten bestätigt. Wenn man genauer hinsieht erkennt man die vielen Faktoren, die in Deutschland gerade in der öffentliche Debatte herrschen. Sie entlarven seine Aussagen als Paradebeispiel für Framing und Verzerrungen des Sachverhalts um die Selbstvermarktung weiter zu pushen, dabei sind ihm die gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen seines Verhaltens vermutlich egal.
Diese Punkte und Mechanismen, auch aufgrund der historischen Erfahrungen, in welchen der Piratenpartei die Rolle des „Patient Zero“ zugefallen ist, werden daher wichtig sein, um Gegenwart und Zukunft zu verstehen.
Fußnoten:
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Christopher_Lauer
[5] https://die-flaschenpost.de/2019/12/31/was-waere-social-media-ohne-seine-gates/
[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-02/piraten-interview-nerz-schloemer/seite-2
[7] https://aussenpolitik.piratenpartei.de/
[8] Christian Stöcker: Nerd Attack! Eine Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook, 2011, S. 261.
[9] https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/so-geht-der-digitale-parteitag-816704556
[11] https://aussenpolitik.piratenpartei.de/2020/07/08/resilienz-in-deutschland-und-europa/
[12] https://aussenpolitik.piratenpartei.de/2020/08/03/corona-und-die-resilienz/
Patient Zero trifft es sehr gut.
Ich schätze mal, dass Sascha Lobo alleine pro Tag öfter nach seinen Einsichten zum Thema gefragt wird, als die ganze Piratenpartei zusammen im ganzen Jahr. Das ist schade, denn die wenigen Talente unter den Piraten, wie Anja Hirschel oder Patrick Breyer, hätten durchaus mehr Gehör verdient. Sie bleiben aber leider im Abwärtssog ihrer Partei, die sich rechtzeitig nach den ersten Erfolgen in unsinnigen Grabenkämpfen um eine eingebildete rechts/links-Polarisierung zerlegt hat. In dieser Situation von einer „Zeit“ der Piratenpartei zu träumen, ist weltabgewandt, und als solches Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Dabei gälte es, sich endlich von dieser Vergangenheit zu lösen, um irgendwie neu anzufangen. Aber dazu scheinen die nach dem allgemeinen Ausbluten verbleibenden Strukturen nicht mehr in der Lage zu sein. Ein Trauerspiel, denn natürlich bräuchte die Republik eine aktionsfähige Piratenpartei. Und, wie an jedem Tag, heute mehr denn je.
Ach Gottle, sie moderieren die Kommentare.
Piraten.
Als wolltet ihr meine Einschätzung bestätigen, bevor ihr sie noch gelesen habt.
Gott zum Gruße 🥳
Nur diejenigen, die andere in Ihrer Würde verletzten. Artikel 1 des Grundgesetzes hat nun mal Vorrang vor den schlechten Umgangsformen unsere Kommentatorinnen. Deal with it!
Liebe Sara Ziner, deine Kritik bezieht sich anscheinend auf das Zitat aus dem Buch.
[8] Christian Stöcker: Nerd Attack! Eine Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook, 2011, S. 261.
Herr Lobo mag jetzt etwas häufiger gefragt werden , mag mit seinem Iro als Markenzeichen eine gute Figur abgeben. Er hat sich als absoluter IT Laie als Hobbyreporter aus der Gothszene finanziell gut verbessert. Natürlich ist er ein guter Selbstdarstellung auch so etwas braucht man. Aber er war nie ein Freund der Piratenpartei, vielleicht auch bedingt durch seine SPD Zugehörigkeit, die natürlich auch nicht begeistert ist, als Partei der Industriellen Revolution wenn die Digitalisierung anklopft. Zudem hat Herr Lobo auch kein Interesse an einer Partei die fachlich in seiner Nische präsent ist das wird in besagtem Buch ausführlicher beschrieben. Ich würde Die Piratenpartei aber noch nicht abschreiben, denn wie sie bereits erwähnten nimmt inzwischen die Erkenntnis zu das es so eine Partei braucht. Diese Erfahrung hat auch die schon erwähnte SPD in ihrer eigenen Geschichte gemacht. Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis die SPD überhaupt in die Parlamente gekommen ist, nachdem die Industrielle Revolution richtig zugeschlagen hatte. Zudem ist Deutschland ja auch etwas rückständig im Bereich Digitalisierung was sich auch im Parteienspektrum niederschlägt. In Ländern wie Tschechien, Luxemburg und Island ist man hier schon weiter, da würde man auch niemals auf die Idee kommen einen QR Code zu Sticken bei Informatiklehrerfortbildungen für die Gymnasialstufe. In Tschechien zum Beispiel ist die Piratenpartei die größte Oppositionspartei und schickt sich an dieses Jahr die Regierungsbildung zu bestimmen und stellt auch den Prager Bürgermeister. Ich bin deswegen optimistisch das hierzulande auch die notwendige Entwicklungen eintreten und die Piratenpartei ihre Hausaufgaben machen wird, was dem ein oder anderen Schaumschläger der um seine Pfründe bangt wahrscheinlich nicht gefallen wird.
Der Zirkus geht weiter, nun wieder Kandidat bei den Grünen:
https://taz.de/Ex-Pirat-Lauer-will-ins-Abgeordnetenhaus/!5753682/
Mein Kommentar hierzu:
Die Piraten forderten einst, Themen statt Köpfe. Konnten aber dem falschen Charme mancher Menschen nicht widerstehen, obwohl solche am Auffälligsten beim Anecken und Streben sind.
Geliefert haben Piraten also Köpfe und zwar vor allem für andere Parteien und die Presse. Beide Ps greifen gerne bekannte Namen auf, weil sie Wissen die beiden Ps greifen die bei den Ps namhaft Bekannten auf. Win-Win-Win Situation – so funktioniert populär-Politik!
Eine Schande nur, dass dabei die Themen verlorengehen. Was war noch gleich das Thema der TAZ zum Interview? Achja eine Kandidatur zur Kandidatenwahl einer LT-Kandidatur. So schögt die TAZ ins Horn der populär-Politik, anstatt um sich um Themen zu kümmern. Themen die vielleicht politisch untergehen, gesellschaftlich aber Thema sind und für die sich ebenso und immer noch Menschen einsetzen, die ebend bisher nicht populär sind. Ein Dilemma!