Wir Piraten sind vor 15 Jahren angetreten, dem Politikbetrieb ein Update zu verpassen – genau genommen wollten wir es patchen, da unser demokratisches Betriebssystem an sich ja nicht schlecht designt ist.
Was wir ändern wollen
Einer der Punkte die uns störten war, dass die Schnittstellen nicht dokumentiert waren – sprich, dass nicht klar war, wer hier mit wem was beredet und wie Ergebnisse zustande kommen – was wir fordern ist Transparenz. Ein anderer Punkt war, das es uns nicht gefiel wie Politik in der Praxis abläuft – eine kleine Gruppe (Fraktions- und Parteiführung) bestimmte de facto wie die Abgeordneten abzustimmen haben (Fraktionszwang). Und wehe jemand hat eine andere Ansicht zum Punkt X, oder noch schlimmer – wehe da ist ein „Abweichler“!
Auch ein Punkt war, dass das Parlament sich in seinen Beschlüssen und die Regierung in Ihren Verordnungen nicht an die Verfassung oder geltendes Recht hielten – die Zahl der vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof zerschellten Gesetze und Verordnungen ist bekanntlich Legion.
Wir, so sagten wir, wir wollen das anders machen. Fraktionszwang finden wir nicht gut, jeder soll seine Ansicht frei vertreten und es wäre doch schön wenn alle in der Sache frei entscheiden könnten. Und Verstöße gegen die Verfassung oder andere Gesetze – die gehen schon mal gar nicht!
Was wir auch lächerlich fanden war, dass Ideen von Leuten alleine deshalb abgelehnt wurden, weil der Antrag oder die Person aus eine anderen Partei oder einem konkurrierenden Interessenkreis kommt.
Was wir selbst tun
Wie sieht es bei uns aus? Setzen wir die Freiheit, die wir fordern, auch innerparteilich um? Betrachten wir Ideen unabhängig von der Person? Und orientieren wir uns in der Art, wie wir intern $Dinge regeln, an unserer eigene „Verfassung [Satzung]“, unserer eigene „Gesetze“ [Parteitagsbeschlüsse] und unsere eigenen Verordnungen [Vorstandsbeschlüsse]?
Ich befürchte, dass wir in großer Gefahr sind dies nicht zu tun – ein paar Beispiele:
- Wenn eine polarisierende Person aus Brandenburg, NRW, SH oder *** einen Vorschlag macht, ist es egal wie gut oder sinnvoll der ist – er wird von einer bestimmten Gruppe generell abgelehnt, weil es von „dieser Person“ kommt, denn die sei ja *** oder ***.
- Wer in der Öffentlichkeit (also auf Twitter ^^) klar äußert, dass er Programmpunkt X für Bullshit erachtet, der/die bekommt sofort einen Shitstorm – das dürfe die Person nicht sagen, das stände im Programm oder in der Satzung, das müsse so nach außen vertreten werde, wenn einem das nicht gefiele könne man ja austreten, … Ihr kennt das ja – leider.
- Wenn es einen Beschluss des Bundesparteitages zu Thema X gibt oder aber eine Vorgehensweise festgelegt ist (Positionspapiere, Corporate Identity, …) dann sollte sich der Bundesvorstand oder die von Ihm Beauftragten danach zu richten. Verstöße dagegen gehen gar nicht .. wait, doch, sie gehen. Wir tun das und es gibt eine größere Anzahl von Parteimitgliedern die damit überhaupt kein Problem hat – ich spreche vom Sonstigen Antrag 007 vom BPT 2016.1 [1]
Was wir ändern sollten
Das Recht auf einen andere Blickwinkel auf ein Thema ist ein zutiefst demokratisches Recht und Grundlage eine jeden Diskurses. Wer also meint, Programmpunkt X ist für Ihn Bullshit, der sollte nicht alleine deswegen auf die Mütze bekommen – maximal für dumme Tweets oder Postings. Gleiches gilt für Anträge am BPT oder in Vorstandssitzungen – auch wenn es Trollanträge sind.
Und gleiches gilt für Verstöße gegen Satzung/Programm oder Parteitagsbeschlüsse – wir müssen damit aufhören bevor wir richtig angefangen haben. Selbiges gilt auch für Vorstandsbeschlüsse, wenn dort geregelt ist wie Dinge intern organisatorisch abzuwickeln sind, dann ist das einzuhalten. Vor allem was die Dokumentation von Zugriffsrechten auf Systeme angeht. Gleiches gilt für Schreibrechte auf kritischen Kommunikationskanälen oder die Mitgliedschaft in Servicegruppen.
Mein Apell
Die Idee hinter der ganzen Satzungen, Programmen, Parteitags – und Vorstandsbeschlüssen ist, dass sich alle daran halten und nicht, dass einzelne denken, für Sie gelte das ja nicht. Denn Sie seien jung und dynamisch und die Avantgarde, Sie wüssten es ja besser und der Zweck ließe das zu – und der BuVo könne ja auf Antrag den BPT-Beschluss aussetzen. Das ist eine zutiefst anmaßende und sehr autoritäre Sichtweise und hat in einer demokratischen Partei nichts zu suchen. Kein Pointe.
Wenn wir die Balken im Auge unserer Demokratie kritisieren, dann sollten wir darauf achten, das wir keine Splitter im Auge haben.
[1] https://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2016.1/Antragsportal/SO007
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
SPALTER!