Ein Gastartikel von Max Kehm
Die Europäische Union arbeitet derzeit an einer neuen Richtlinie, die Kommunikationsanbieter wie zum Beispiel Betreiber von Messenger Diensten, Mail Provider, Chatangeboten und Videoconferencing dazu zwingen soll, Überwachungsfilter gegen illegale Inhalte einzubauen. (In der Argumentation ist derzeit – auf die übliche perfide Art – von Kinderpornographie die Rede).
Die meisten dieser Dienste werden derzeit von US Amerikanischen IT Konzernen erbracht. Da diese zusammengerechnet den mit Abstand größten Marktanteil besitzen will ich als Beispiele Google, Facebook und Microsoft nennen. Meldet der eingebaute Filter verdächtige Inhalte, so werden diese hochgeladen und von Mitarbeitern des Konzerns oder Angestellten externer Dienstleistern überprüft – um dann gegebenenfalls Strafanzeige zu stellen.
Die genauen technischen Details zu dem Verfahren könnt ihr auch auf der Webseite von Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei nachlesen [1] .
Alles Verbrecher?
Die Europäische Union will Ausländische IT-Konzerne faktisch verpflichten, in strafrechtlich relevanten Dingen gegen die eigenen Nutzer zu ermitteln. Zum einen werden mit dem Vorhaben quasi alle Smartphone- und Internetbenutzer pauschal unter Generalverdacht gestellt. Was die Frage aufwirft, was für ein Menschenbild die Politiker und Parteien, die dieses Vorhaben vorantreiben, von ihren Mitbürger*innen haben. Sind wir für die alle potentielle Verbrecher die permanent überwacht und digital kontrolliert werden müssen?
Zum anderen würde auch die Privatisierung der Polizeiarbeit gesetzlich erzwungen werden. In der Folge würden Überwachungskapitalistische Konzerne nicht nur die Erlaubnis, sondern sogar die Pflicht haben Dateien und Kommunikationsvorgänge von Bürger*innen permanent zu kontrollieren. Konzerne wie zum Beispiel Facebook, die über Jahre hinweg geltendes Datenschutz Recht immer wieder und wieder willentlich gebrochen haben, sollen zur Digitalen Weltpolizei erhoben werden – dies ist unfassbar verantwortungslos.
Die Forderung, einen wesentlichen Teil der Rechtsstaatlichkeit – hier die Polizeiliche Ermittlungsarbeit an Privatwirtschaftliche Akteure auszulagern – ist schon für sich allein betrachtet ein geradezu monströser Exzess der neoliberalen Privatisierungsideologie. Das dann auch gleich noch weitere fundamentale Grundrechte wie die Unschuldsvermutung, das Digitale Briefgeheimnis und der Richtervorbehalt – der vor Eingriffen in die Privatsphäre bisher als Rechtsstaatlicher Grundsatz gilt – abgeschafft werden soll macht die Sache noch schlimmer. Oder anders ausgedrückt, die Konzerne sollen hier Befugnisse und Pflichten zur Massenüberwachung erhalten die derzeit noch nicht einmal das Bundeskriminalamt besitzt.
Und unser Grundgesetz?
Dieses Vorhaben ist so eindeutig Grundgesetzwidrig, das ohnehin davon auszugehen ist das es vom EUGH, beziehungsweise die Anwendung in Deutschland vor dem Bundesverfassungsgericht, gestoppt werden dürfte. Vor allem wenn man bedenkt das dieses Vorhaben noch sehr viel weitergehend ist als die vom Bundesverfassungsgericht bereits für illegal erklärte Vorratsdatenspeicherung.
Das hat am 09.03.2021 jedoch nicht die Abgeordneten von CDU, SPD und AfD im EU Parlament davon abgehalten der grundsätzlichen Forderung nach dieser Überwachungsmaßnahme in einer Vorabstimmung geschlossen zuzustimmen.
In der Abstimmung am 06.07.2021. in der es darum ging den Anbietern das Scannen zu erlauben, konnte sich immerhin die AfD und einige vereinzelte SPD Politiker dazu durchringen dagegen zu stimmen. Dies dürfte wohl der zunehmenden öffentlichen Kritik und Zahlreichen Protestaktionen geschuldet sein die eben doch ein Umdenken erzeugen können. Es lohnt sich also politisch aktiv zu werden und sich einzubringen. Ob das jedoch ausreichen wird, um eine Mehrheit gegen die geplante verpflichtende Überwachung zu mobilisieren, muss sich erst noch zeigen.
Und die DSGVO?
Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sehr Pikant, vor allem da diese erst vor einigen Jahren von der EU beschlossen wurde um Bürger und Bürgerinnen vor der ausufernden Überwachung durch den Überwachungskapitalismus zu schützen. Mit der Chatkontrolle würde diese Errungenschaft umgehend ausgehebelt werden, da die Privatwirtschaft dann dazu verpflichtet würde den Datenschutz der Bürger und Bürgerinnen nicht mehr zu respektieren. Diese Initiative würde somit grundlegende Fortschritte im EU Datenschutz rückgängig machen.
Während wir auf jeder Webseite weiterhin auf nervige Datenschutz Cookie Banner klicken müssen würde im Hintergrund die stille Überwachung massiv ausgebaut. Der EU Datenschutz somit zur lächerlichen Farce verkommen.
Wir sollten uns hierbei bewusst sein, das die Entwicklung der Digitalisierung und insbesondere der Künstlichen Intelligenz gerade erst in ihren Kinderschuhen steckt. Die Regulierung des Internets, die jetzt beschlossen wird, wird jedoch Einfluss auf die zukünftige digitale Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten haben. Das Digitale Zeitalter gerade damit zu beginnen, hart und blutig erkämpfte, bewährte Grund- und Bürgerrechte abzuschaffen wäre in der Tat kein sehr guter Start in eine neue und ungewisse Zukunft.
Copy&Paste
Anzufügen wäre auch das Argument das die Gesetzgebung die in der Europäischen Union gilt auch weltweiten Einfluss hat. Andere Regierungen werden sich solch eine Richtlinie mit Sicherheit zum Vorbild nehmen. Die Regierungen in China, Russland oder dem Iran würden sich bestimmt sehr freuen, in ihrer Nationalen Umsetzung der Überwachungsfilter dann die Zensur und Repression gegen ihre eigenen Bevölkerungen und die demokratische Opposition in den Vordergrund zu stellen. Als konkretes Beispiel kann hier die autoritär von Präsident Erdogan dominierte Türkei genannt werden die das von CDU und SPD in Deutschland eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz quasi 1:1 kopiert hat. Hier zeigt sich auch, das dieses hervorragend geeignet ist um eine demokratische Opposition noch effektiver unterdrücken zu können. [4]
Sollte die EU die Chatkontrolle beschließen dann könnte Sie sich gegenüber Putin und Lukaschenko wohl kaum mehr als Hüterin von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten aufspielen. Der Vertrauensverlust – nicht nur International sondern auch in der eigenen Bevölkerung – wäre immens.
Fazit:
Die Strafrechtliche Verfolgung von Kinderpornographie ist ein sehr wichtiges Anliegen das weiter voran getrieben werden muss. Jedoch darf das berechtige Anliegen des Kinderschutzes nicht auf unerträglich perfide Weise dazu missbraucht werden, grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates auszuhebeln.
Es wäre es in erster Linie geboten, den entsprechenden Behörden mehr technisch geschultes Personal zur Verfügung zu stellen damit entsprechende Ermittlungsverfahren zeitnah auf rechtsstaatlichem Wege bearbeitet werden können. Auch ist die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Kindergärten, Schulen und Kirchlichen Einrichtungen zu stärken. Denn es ist davon auszugehen das ein Großteil der Missbrauchsfälle gar nicht in Form von Videos oder Fotos dokumentiert wird und somit durch eine Massenüberwachung gar nicht erfasst werden kann.
Die zur Verfügungstellung von Beratungsangeboten in Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, könnte da gegebenenfalls viele Ermittlungsverfahren ins Rollen bringen – vor allem die, die einem digitalen Überwachungsstaat niemals auffallen würden. Vor allem die Kirche hat sich hier in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert und durch ihr teilweise klandestines oder auch sehr „intransparentes“ Vorgehen Ermittlungen gegen Täter massiv behindert. Dennoch haben christlich-konservativen Parteien wie die CDU/CSU als Resultat nicht die Forderung aufgestellt alle Kirchlichen Einrichtungen unter eine Verdachtsunabhängige Totalüberwachung zu stellen.
Es stellt sich schon die Frage, warum CDU/CSU Grundrechte, die Sie an anderer Stelle nicht antastet, ausgerechnet im „Internet“ abschaffen will.
[1] https://www.patrick-breyer.de/beitraege/nachrichtendurchleuchtung
[2] https://twitter.com/echo_pbreyer/status/1370394172939763715
Und am Ende fallen die ganzen Massenüberwachungsdaten dann in die Hände von Kriminellen oder Terroristen. So wie jetzt die Biometrie Daten in die Hände der Taliban….
Die Inkompetenz der Regierungsparteien in Digitalfragen macht mir sehr große Angst……
Ach du meine Güte, macht euch mal nicht in die Hosen. Ich hab nix zu verbergen also ist mir das egal, halte mich ja an alle Gesetze und so. kümmnert euch mal lieber um die wichtigen Themen: kapitalismus abschaffen und Klimakrise verhindern, nicht kriminelle im Netz schützen !
„Ich hab nichts zu verbergen“ ist immer wieder ein beliebtes, wenn auch sehr dummes Argument von Leuten, die nicht verstehen, worum es geht. Jeder hat etwas zu verbergen. Sitzt du bei offener Tür auf der Toilette, oder veröffenlichst du deine Einkommensverhältnisse?
Was du heute als gesetzeskonform betrachtest, kann morgen (mit einer anderen Regierung) schon illegal sein und entsprechend verfolgt werden. Schau nur mal Afghanistan.