Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
So lange hält die Presse still, bevor sie die Arbeit einer neuen Regierung grundsätzlich das erste Mal bewertet. Und wie vieles, hat auch diese Regel ihren Ursprung in den USA, genauer gesagt bei Präsident Franklin D. Roosevelt.
In Deutschland ist jetzt die sogenannte Ampel-Koalition seit mehr als 100 Tagen im Amt. Zeit auch für uns, einen etwas genaueren Blick auf Ihre Arbeit zu werfen.
Mit 206 Sitzen ist die SPD die stärkste Partei in der Koalition und stellt den Bundeskanzler mit Olaf Scholz.
Mit 118 Sitzen ist die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die zweitstärkste Partei in der Koalition und stellt die Außenministerin mit Annalena Baerbock.
92 Sitze haben der FDP genügt, um in die Ampel zu kommen, und sie stellen mit Marco Buschmann den Justizminister.
Interessanterweise dominiert die FDP dabei sowohl medientechnisch wie auch politisch in vielen Bereichen die Ampel.
In Anbetracht Ihrer Größe sollte das verwundern, tut es aber nicht, da die FDP schon oft mit lautstarken, meist populistischen Forderungen oder Kommentaren von sich reden gemacht hat. Die Annahme, dies könnte bei Regierungsbeteiligung enden, ist ziemlich blauäugig.
Dass die FDP dabei die beiden größeren Partner z. B. in Sachen Coronapolitik, Klimapolitik und Finanzen vor sich hertreibt wie die Kuh auf dem Eis, verwundert dabei schon eher. Klar will niemand das gerade mühevoll erarbeitete Bündnis schon jetzt gefährden, aber schon jetzt sind viele Koalitionsvereinbarungen alleine durch die FDP hinfällig.
Als kleinster Partner war Ihr Verhalten allerdings erwartbar. Denn schon 2017 hatte der damalige Verhandlungsführer der FDP für eine schwarz-gelb-grüne sogenannte Jamaika-Regierung die Verhandlungen scheitern lassen mit den Worten: „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren“. Damals wie dieses Mal war das der jetzige Finanzminister … Lindner. Es verwundert also nicht, dass hier eine Dominanz zutage tritt. Alle Beteiligten konnten davon ausgehen. Das Austesten von Grenzen, wie es Kinder halt tun, all das konnte man erwarten. Dass es so lange gut geht, überrascht schon.
Anders dagegen die SPD. Als größter Partner sollte sie eigentlich tonangebend sein. Gemäß Grundgesetz hat nämlich der SPD-Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz. Und mit Prof. Karl Lauterbach als Gesundheitsminister, der nicht nur der Gesundheitsminister der Herzen war und zumindest für viele noch ist, sondern auf den, als ausgewiesener Fachmann, der er ist, auch fachlich sicher von vielen große Hoffnungen gesetzt wurden, enttäuscht auf ganzer Ebene.
Vom Bundeskanzler ist nur wenig bis gar nichts zu hören, lesen oder zu sehen. Und Karl Lauterbach ist in der rauen Wirklichkeit der Regierungspolitik angekommen, die sich klar von der Oppositionspolitik unterscheidet. Und so fragen sich nicht wenige, wann denn der Oppositionspolitiker Karl Lauterbach mal Kontakt mit dem Minister Karl Lauterbach aufnimmt und ihm den Marsch bläst.
Karl Lauterbach ist also angekommen, jetzt muss er zeigen, dass er auch in Real Gesundheitspolitik macht, die diesen Namen verdient! Bis jetzt unterliegt er klar den realpolitischen Zwängen, sehr zum Nachteil aller.
Und dann wären da ja noch die anderen Minister der SPD. Welche? Ja genau. Ich habe noch von keinem wirklich gehört, mit Ausnahme von Hubertus Heil. Der allerdings hat den Vorteil, dass er schon unter Merkel im Amt war, und das medientechnische Repertoire seines Ministeriums in der Zwischenzeit ziemlich virtuos beherrscht. Als Bundesminister für Arbeit und Soziales hat er allerdings auch keine wirklich gravierenden Verbesserungen bisher für alle gebracht. Noch immer gibt es Sanktionen für Hartz 4 Empfänger, zahlt das ALG 2 nicht in die Rentenkasse ein und sind Inklusion oder gar Teilhabe in Deutschland nicht mehr als ein Traum denn Wirklichkeit.
Aller guten Dinge sind drei und damit zu den Grünen. Die Grünen stellen mit Annalena Baerbock und Robert Habeck zwei Minister, die vom Start weg im Focus der Öffentlichkeit standen, ähnlich wie Karl Lauterbach. Komplettiert wird das ganze durch Cem Özdemir, der als Minister für Ernährung und Landwirtschaft ein Ministerium innehatte, dessen vorherige Amtsinhaberin eher mit Lobbyismus denn mit wirklichen Taten geglänzt hat.
Frau Baerbock hat als Außenministerin das derzeit wohl gewichtigste Ministerium inne. Gleichzeitig ist sie als Frau auch den meisten Angriffen diesbezüglich ausgesetzt gewesen. Allen negativen Erwartungen zum Trotz vertritt sie uns bisher ziemlich gut. Dass sie dabei ein schweres Erbe antritt, sollte allen klar sein. Denn anders als bisher ist das merkelsche Prinzip des Aussitzens jetzt nicht mehr möglich. Es wird sich zeigen, ob den ersten positiven Zeichen dann, wenn es nötig ist, auch Taten folgen werden.
Noch schwerer wiegt die Hinterlassenschaft für Robert Habeck, der mit dem Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz eine jahrzehntelange Misswirtschaft übernimmt, und jetzt versuchen muss, all diese Fehler zu korrigieren.
Der Krieg in der Ukraine hat dabei beiden, Baerbock und Habeck, sofort alles abverlangt und ihnen – und uns Bürgerinnen und Bürgern – gleichzeitig die Fehler der Vergangenheit mehr als deutlich vor Augen geführt.
Ich sehe winzige Schritte und Versuche, etwas zu ändern. Aber, z. B. im Bereich Klimaschutz dominiert die FDP auch die Grünen bisher ganz klar. Und so kritisiert FFF völlig zu Recht [1] auch die neue Regierung, diesmal mit Beteiligung der Grünen, für Ihr bisheriges Agieren.
Fazit
Die zwei absoluten und dominierenden Themen sind der Krieg in der Ukraine und die Klimakatastrophe. Bei beiden Themen sind die Grünen zumindest auf dem Papier federführend. Bis jetzt werden sie dem nur bedingt gerecht.
Die FDP erweist sich mehr und mehr als AFD nah und völlig unwählbar. Aussagen wie Freedom Day untermauern dies.
Und dann wäre da noch die SPD. Sie ist, mit einem Wort, unsichtbar. Sie braucht dringend eine innere Reform.
Ullrich Slusarczyk
[1] https://www.youtube.com/watch?v=LmIpndZWyNg
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.