Artikelversion einer Broschüre von Ullrich Slusarczyk @MikeWall_Privat
Über die Vorstandsarbeit existieren offenbar ziemlich viele Mythen und Legenden. Der Wahrheit nahe kommen sie aber alle nicht.
Der Stellvertreter Mythos
Sie sind nicht unwichtig. Sie haben genauso etwas zu sagen, wie alle anderen. Ich habe mehrfach gehört, als Stellvertreter bewerbe ich mich nicht, die haben ja nichts zu sagen. Und davon abgesehen, kann man viel schneller als manchmal gedacht, plötzlich nachrücken.
Politische Arbeit vs. verwaltender Arbeit
Der Anteil politischer Arbeit in einem Vorstand ist viel geringer, als die meisten Menschen denken. Der organisatorische und verwaltende Aufwand macht sicher mehr als 75 % der gesamten Arbeit aus. Unter anderem:
- Planung der Vorstandssitzung bis hin zur Ablage der Protokolle selbiger.
- Beantragen von Infoständen, dem Bestellen von Aufklebern, Flyern etc.
- Einladen zu und die Unterstützung bei Aufstellungsversammlungen, Aktiventreffen und ähnlichen Veranstaltungen.
- Wahlunterlagen einreichen, Plakatierungsgenehmigungen einholen, Kommunikation mit Wahl- und Finanzämtern führen.
- Unterschriften sammeln, Termine koordinieren, Mitglieder aufnehmen, Mahnungen verschicken, Rechenschaftsberichte anfertigen.
- Miete überweisen, Strom, Telefon- und Internetzugang bezahlen.
- Domains beantragen, verlängern, mit Zertifikaten versehen oder selbige verlängern.
- Hoster bezahlen, Emailzugänge für Mandatsträger, Wahlkandidaten oder AGs einzurichten.
Von juristischen Inhalten im Rahmen von Anträgen auf Ordnungsmaßnahmen oder auch wegen zivil- und/oder strafrechtlich relevanter Ereignisse mal ganz zu schweigen. All diese Arbeit, für die man im “normalen” Leben einen Job hätte, fällt an und hat mit Politik praktisch nichts zu tun.
Die eigentliche und wirkliche politische Arbeit sind: das Erstellen von Anträgen. Das können Satzungsänderungsanträge sein oder Programmanträge. Beiden gemeinsam ist: Man muss dafür nicht im Vorstand sein! Darüber hinaus kann er z.B. PMs und Blogbeiträge verfassen. Auch dafür muss man aber wieder nicht Mitglied in einem Vorstand sein.
Was also macht der Vorstand wirklich an politischer Arbeit?
Er beschließt z.B. darüber, welche Inhalte Aufkleber, Giveaways und Flyer haben. Er beschließt, an welchen Veranstaltungen man teilnimmt oder nicht. Welche Demos und Initiativen man durch Aufruf zur Teilnahme unterstützt. Auf Infoständen gibt er die politische Meinung der Partei wieder. In eventuellen Interviews ebenso. Wobei auch die “Arbeit” am Infostand nicht Vorständen vorbehalten ist. Hier sind alle “Basis”.
Er motiviert Mandatsträger, wirbt neue Mitglieder, knüpft Verbindungen zu anderen Organisationen und guckt, wo es Möglichkeiten gibt, selbst etwas für die politischen Ziele der Partei zu erreichen (z.B. Klagen). Er erarbeitet Vorschläge für Mandatsträger, informiert diese über politische Gegebenheiten und oder Änderungen. Entwirft Flyer bzw. seine Texte.
In einem Vorstand zu sein ist nicht nur eine Verpflichtung, es ist vor allem eines: Arbeit
Das fängt damit an, täglich seine Emails anzusehen und gegebenenfalls auch zu beantworten. Das können Tickets sein aus den verschiedenen Verwaltungssystemen, aber auch Mails von Organisationen, anderen Parteimitgliedern, Kommunen, Behörden und der Presse.
Die regelmäßige und ständige Teilnahme an den Vorstandssitzungen sollte selbstverständlich sein und geht von “nach Bedarf” auf Kreisebene bis zweimal monatlich auf Landesebene. Mittlerweile geht das Ganze nicht nur per Telefonkonferenz, sondern auch sehr gut via Videokonferenz.
Auch wenn, wie oben angeführt, die Teilnahme an Infoständen, Demos und Veranstaltungen nicht Vorstandsmitgliedern vorbehalten ist, so ist es eine ihrer Aufgaben. Dazu kommen die ganzen Verwaltungsaufgaben, die gesetzlich vorgeschrieben sind, wie z.B. das Erstellen eines Rechenschaftsberichtes zu den vorgegebenen Terminen.
Die ständige Erreichbarkeit via Telefon ist ein weiteres Kriterium. Eingehende Anrufe von Mitgliedern, anderen Vorstandsmitgliedern etc. Dazu kommen eine Vielzahl von Gesprächen, die man selber führen muss.
Einen ständigen Arbeitsaufwand von ca. 10 – 30 min. pro Tag sollte man ermöglichen können. Wer das nicht kann, sollte sich ernsthaft fragen, ob er das, was er für die Partei und sich selbst erreichen will, nicht auch ohne ein Vorstandsmandat erreichen kann.
Ein Aufwand von 4 -8 Stunden pro Tag ist aber ebenfalls problemlos möglich. Wer also glaubt, man kann ein Vorstandsamt, egal welches, nebenbei erledigen: Kann man nicht! Zumindest nicht, wenn man einen aktiven Vorstand möchte. Von daher sollte sich auch jeder mit einer Mandatsverpflichtung überlegen, ob es sinnvoll ist, neben dieser noch Verpflichtungen in einem Vorstand zu übernehmen neben dem täglichen Broterwerb und den Verpflichtungen im Privatleben.
Voraussetzungen
Teamfähigkeit ist ein Kriterium, das gar nicht hoch genug angesiedelt werden kann. Wer nicht in einem Team arbeiten kann, sollte sich das überlegen. In Wort und Schrift sollte man ebenfalls einigermaßen sicher sein. Außerdem sollte man eine gute Menschenkenntnis besitzen. Dies erleichtert die Zusammenarbeit und ermöglicht das Erkennen der Stimmung im Verband und der Partei.
Verantwortung und Vorbildfunktion
Mit einem Vorstandsamt geht auch eine hohe Verantwortung einher. Auch sie ist nicht zu unterschätzen. Da ist nicht nur der innerparteiliche Teil, sondern auch der, der die Partei, ihre Ziele und Ideale nach außen vertritt. Vieles hängt von der ordnungsgemäßen Arbeit eines Vorstandes ab. Darüber hinaus hat ein Vorstandsamt auch eine sehr hohe Vorbildfunktion. Speziell, wenn es um das Einhalten demokratischer Beschlüsse geht, oder den Umgang mit anderen. Verbale Entgleisungen, das Ignorieren von Parteibeschlüssen, menschliches Fehlverhalten sind hier eher kontraproduktiv und schaden der Partei erheblich.
Oft genug sitzt man innerparteilich zwischen wenigstens zwei Stühlen. Besonders dann, wenn man Aussagen im Namen der Partei tätigt, für die keine Beschlussgrundlage existiert oder wo es Interpretationsmöglichkeiten aus Grundsatzbeschlüssen gibt. Oder gar gegensätzliche Beschlusslagen in den Programmen.
Gleiches gilt, wenn die eigenen Anstrengungen von Dritten als nicht ausreichend erachtet werden, um ein ins Auge gefasstes Ziel zu erreichen. Unabhängig davon, ob diese daran beteiligt waren oder nicht. Dass ein Vorstandsamt ein wirkliches “Ehrenamt” ohne jegliche Entschädigung über tatsächlich entstandene Kosten hinaus ist, sollte auch jeder bedenken.
Verursacher der Broschüre und des Artikels:
- Idee, Inhalt und Entwurf: Ullrich Slusarczyk.
- Inhaltliche Mitwirkung und Anregungen: Thomas Ganskow, Sebastian Alscher und viele andere ungenannte Basismitglieder.
- Grafik: Nils Wilke
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.