Ein Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Ich diskutiere gerne und häufig. Jetzt, in Coronazeiten, sogar noch etwas mehr als sonst, da die Treffen mit meinen Freunden ausfallen. Die Diskussionen sind online, das erschwert einige Dinge, da ja ein paar Kriterien, wie Mimik, Tonfall und Gestik in einer Onlinediskussion fehlen. Schon das alleine erschwert Onlinediskussionen erheblich. Wenn man dann noch zusätzlich mal auf Toilette muss, sich anschließend die Hände wäscht, dann noch kurz in die Küche, um was zu trinken zu holen, dann kann es vorkommen, dass in einer größeren Gruppe in der Zwischenzeit mal locker bis zu 50 oder sogar mehr Beiträge aufgelaufen sind. Und die meisten Menschen, mich eingeschlossen, entscheiden jetzt, entweder einfach durch zu scrollen und später wieder einzusteigen oder das Ganze zumindest zu überfliegen. Und spätestens jetzt entstehen dabei manchmal Situationen, die die eigene Toleranz schwer auf die Probe stellen können.
Die meisten dieser Probleme sind allerdings in der Regel relativ leicht zu lösen. Schwieriger wird es, wenn es um grundsätzliche Dinge geht, die nicht durch das Überfliegen oder nicht Lesen eines Textes entstehen. Vor kurzem stand ich mal wieder vor so einem Problem. Da wurde mir nämlich vorgeworfen, dass ich doch bitte nicht andere Menschen beleidigen soll. Es ging konkret um den Begriff „Covidioten“. Nun habe ich den gar nicht gebraucht, sondern jemand anderer, und ich habe den Begriff dann nur verteidigt. Trotzdem wurde mir vorgeworfen, ich würde andere beleidigen. Und es folgte beinah schon unvermeidlich, die Aufforderung, das zu lassen.
Zitat: Auch dich fordere ich auf, hier nicht beleidigend zu werden. Covidioten ist eine Beleidigung und du kannst gerne von ihnen halten, was du möchtest. Auch mögen diese Menschen andere gefährden. Trotzdem sollten wir uns nicht auf ihr Niveau begeben, sondern weiterhin professionell und sachlich bleiben.
Zitat Ende.
Ich habe da jetzt relativ lange drüber nachgedacht. Ist das wirklich so. Wenn wir jemanden als „Covidioten“ oder gar „Coronazi“ bezeichnen, beleidigen wir dann wirklich jemanden? Müssen wir da wirklich tolerant sein? Das Gespräch suchen, die andere Backe hinhalten, Verständnis haben?
Das Toleranz-Paradoxon
Beschrieben hat dieses Paradoxon zuerst der Philosoph Karl Popper. Es lautet:
Das Toleranz-Paradoxon wird wirksam, wenn eine tolerante Macht aufgrund ihrer Toleranz intoleranten Kräften erlaubt oder ermöglicht, die eigene Toleranz einzuschränken oder abzuschaffen.
Was heißt das auf die oben genannte Problematik? Ich soll gegenüber den von mir sogenannten „Covidioten oder Coronazis“ tolerant sein, obwohl diese mir gegenüber absolut intolerant sind? Menschen, die die Auffahrten von Krankenhäusern blockieren, Totenfeiern sprengen, Journalisten und Polizisten angreifen. Andere anpöbeln oder sogar handgreiflich werden, wenn man auf die Maskenpflicht hinweist oder darauf sogar bestehen muss als Angestellter.
Seit 2 Jahren gibt es diese Pandemie. Seit 2 Jahren sterben Menschen. Mehr als 100.000 alleine in Deutschland. Täglich im Moment 500 und mehr Menschen. Also jeden Tag ein kleines Dorf. Ausgelöscht, einfach weg. Unwiederbringbar.
Und denen gegenüber soll ich tolerant sein? Warum?
Joshua Kimmich
Fußballstar. Steht in der Öffentlichkeit. Sollte, aufgrund der hohen medialen Aufmerksamkeit, ein Vorbild sein. Hat das Impfen verweigert. Hatte Zweifel. Ist nicht auf Demos gegangen, hat nicht andere angegriffen, weil die sich haben impfen lassen. Und wie das so ist bei solchen Menschen in der Öffentlichkeit, bekam er es kübelweise, die Intoleranz, zu spüren. Und dann ist er an Corona erkrankt. Jetzt kam zur Intoleranz auch noch Häme hinzu.
Und schließlich und endlich ist er genesen und hat sich entschieden, sich impfen zu lassen.
Auch hier musste ich lange nachdenken. Und ich habe entschieden, er verdient meine Toleranz. Ich gestehe ihm zu, Zweifel gehabt zu haben. Ich glaube nicht, dass er sich mit Ruhm bekleckert hat mit dieser Entscheidung. Aber, ich habe in meinem Leben längst nicht alles richtig gemacht. Wie also komme ich dazu, das von anderen zu fordern. Und immerhin ist er ja lernfähig. Er hat öffentlich (ZDF-Interview) eingestanden, dass er da wohl einen Fehler gemacht hat, und angekündigt, sich impfen zu lassen. Mehr kann man nicht erwarten. Und so ist er sogar seiner Vorbildfunktion dann doch wieder gerecht geworden.
Ist er jetzt ein „Covidiot“ oder gar „Coronazi“? Nein, ist er nicht. Er ist einfach nur ein Mensch. Der Unterschied zu vielen von uns ist, ihm wird mehr mediale Aufmerksamkeit zuteil. Das war’s.
Toleranz
Aber wie ist das jetzt mit denen, die eben den Geimpften gegenüber intolerant sind. Die mit unserem Leben spielen. Die durch Ihr Verhalten auch unsere Freiheit vielleicht sogar länger, als es sonst sein müsste, einschränken.
Wie gehen wir mit denen um?
2 Jahre sind eine lange Zeit. Es gibt Kinder, die kennen nur diese Coronasituation. Und die ist alles andere als erfreulich, bei manchen sind auch geliebte Onkel/Tanten, LehrerInnen oder Großeltern/Eltern gestorben oder dauerhaft geschädigt. Auch wegen der vielen Existenzen, die zerstört wurden. Den physischen, aber auch psychischen Folgen, die die Pandemie verursacht hat.
In den Medien sieht es sehr oft so aus, als wenn die Anzahl derer, die die Coronamaßnahmen befürworten und die, die sie ablehnen, gleich große Gruppen wären. Aber das stimmt nicht. Eine überwiegende Mehrheit in der Bevölkerung ist „für“ die Maßnahmen.
Und das bedeutet, es wird langsam Zeit, die „falsche“ Rücksichtnahme zu beenden. Schluss mit der Toleranz. Schluss mit dem Dudu, der freundlichen Unterstützung durch die Politik, den Medien, aber auch der Polizei und den Gerichten. Toleranz ist wichtig, ja. Verständnis und Empathie, ja. Alles wichtig. Aber 2 Jahre lang? Nein!
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.