Ist noch gar nicht so lange her, da launchte Facebook – oder besser Mark Zuckerberg – mit großem „Tamtam“ seine neueste Kreation. Der amerikanische Internetgigant heißt nun „Meta“. Das verkündete der Vorstandsvorsitzende Mark Zuckerberg im Oktober 2021 auf der hauseigenen virtuellen Konferenz „Connect“.
Facebook unter Beschuss
Natürlich erfolgte dies zu einem strategisch nicht ungünstigen Zeitpunkt, stand doch Facebook selbst durch diverse Datenskandale (Cambridge Analytica) oder die Veröffentlichungen der Whistleblowerin (Frances Haugen) massiv in der Kritik.
Auch in der Europäischen Union bläst dem sogenannten GateKeepern wie Facebook der Wind ins Gesicht, denn der vorgesehene „digital markets act“ wird die Daumenschrauben eng anlegen. Dabei geht es um Themen wie Interoperabilität etc.
Auch die in den letzten Monaten ausgesprochenen Strafen gegen Facebook und Whatsapp haben das einst schillernde Bild des Silicon-Valley-Strahlemanns arg ramponiert. [1] [2]
Da wiederholt die grundlegenden Dinge im Bereich Datenschutz und Privatsphäre missachtet wurden. Wissentlich. Vorsätzlich.
Aber auch in den sonstigen Geschäftsfeldern von Facebook dreht sich der Wind von „immer Rückenwind“ auf „Steife Brise von vorn“.
Nicht nur das die Nutzerzahlen des Branchenprimus stagnieren bzw. rückläufig sind, sondern auch die Zielgruppe der Jugendlichen dreht Facebook rigoros den Rücken zu und vergnügt sich lieber auf TikTok. [3]
Zusätzlich hatte sich über die Jahre hinweg die Übernahme des VR-Brillenherstellers Oculus absolut nicht ausgezahlt. [4] Denn bis auf wenige Nischenanwendungen gelang es nicht, die virtuelle Realität in voller Breite unter die Leute zu bringen.
Also wurde der Verkauf der bisherigen Oculus-Geräte nicht nur versucht durch Rabatt-Aktionen zu befeuern, sondern schließlich vorerst eingestellt.
Und noch ein kleines Detail sollte zu denken geben: Der Schritt folgte auf die Ankündigung, dass Käufer neuer Geräte – und ab 2023 alle Nutzer – sich mit ihren Facebook-Accounts anmelden müssen. Bisher gab es separate Oculus-Profile, die nicht unbedingt mit den Facebook-Daten verknüpft werden mussten.
Also was lag da näher Meta aus der Taufe zu heben.
Und damit auch einen neuen Boom bei den VR-Brillen auszulösen. [5]
Geschickt eingefädelt.
Meta – Metaverse – Horizon
Meta ist natürlich nur erst einmal ein Name. Dahinter verbirgt sich allerdings die Idee eines sogenannten Metaverse.
Ein was bitte?
Es ist nichts Geringeres als die Vision der Kreation eines Metaversums, einer virtuellen Parallel-Welt: Hier soll sich, zumindest wenn es nach M. Zuckerberg geht, zukünftig unser gesamtes Leben abspielen, vom Treffen, Spielen und Unterhalten bis zum Arbeiten und Geld verdienen.
Dafür wurde nun „Horizon“ an den Start gebracht.
Und selbstredend wird „Horizon“ nur dann erreichbar sein, wenn man möglichst alle privaten und persönlichen Daten in den so unendlichen Tiefen des Metaversums, oder ganz schlicht auf Facebooks, sorry – natürlich Meta´s, Servern und Datenbanken, hinterlegt. Einer Registrierung und Einverständniserklärung zur Nutzung der allerprivatesten Daten inklusive. Natürlich versteckt hinter 293 Seiten AGB und Datenschutzbestimmungen in Schriftgröße 2.
Oder fliegen die dann bei der Anmeldung als Scrolltext a´la Star Wars völlig virtuell an uns vorüber? Egal.
Sobald wir in Horizon eintauchen, geht es aufgrund der völligen Interaktion in allen Bereichen unseres virtuellen Lebens eben nicht nur, wie bisher bei Facebook, um profane Dinge wie den letzten „Ich trinke Tee“-Post in der Facebook-Timeline.
Oder ob ich zufällig in einer Facebook-Gruppe bin oder ein paar bestimmte News konsumiere.
Horizon wurde nicht nur geschaffen, um uns damit einen Gefallen zu tun, uns in ferne, nicht ergründete virtuelle Welten zu entführen, uns den Alltagsstress vergessen zu lassen.
Horizon wird damit genau das tun, was Facebook, Whatsapp und Instagram auch jetzt bereits machen – Profile von uns erstellen, uns aufgrund dieser Profile dann genau das Anzeigen und einblenden, von dem der Algorithmus meint, dass wir es sehen wollen. Oder müssen.
Profile, die dann mehr über uns wissen als wir selbst.
Aber um Längen, oder Dimensionen schlimmer.
Denn: Zukünftig wird jede Bewegung, jede Reaktion, jede von unserem Denken beeinflusste Aktion oder Reaktion in Millisekunden irgendwo in den Tiefen von Meta begraben, gesichert und für alle Ewigkeiten dort lagern.
Wir entblößen unser tiefstes Inneres auf eine geradezu exhibitionistische Weise.
Weil es einfach cool ist mit einer VR-Brille durch virtuelle Welten zu spazieren, sie zu entdecken.
Zu spielen, zu interagieren.
Oder was immer Ihr da auch tun möchtet.
Oder sollt.
Und wir alles andere einfach ausblenden.
Und – gebt Euch da keinen Illusionen hin – diese Profile werden dann nicht nur dazu genutzt, um bisschen (nervige) Werbung einzublenden. Oder verbleiben dann einfach nur im Metaverse.
Wie sehr all das, was Ihr dort tut, auch in das reale Leben zurückschlagen kann, das könnt Ihr Euch in einem Film anschauen, auf den ich später noch kurz eingehe.
Und natürlich, Wetten werden übrigens gern entgegengenommen, wird uns dieses virtuelle Kunstwerk auch nur bis zu einer gewissen Grenze kostenfrei zur Verfügung stehen.
Denn, bestimmte Dienstleistungen in der virtuellen Welt werden über kurz oder lang monetarisiert. Nein, natürlich nicht so plump wie das mit manchen „In-App-Käufen“ umgesetzt ist. Das wird Horizon sicher geschickter machen. Denn spätestens, wenn Du mit einem Freund gemeinsam irgendwo vor einer virtuellen Tür stehst, an der Du für den Zutritt Coins, oder wie immer die Währung dann heißen mag, einwerfen musst, dann wirst DU Dir 2x überlegen, ob Du Dich ausloggst. Und damit den Freund im virtuellen Nimmerland zurücklässt. Oder ganz einfach bezahlst.
Und ich bin sicher, dass es vor der Tür auch eine wunderbar zugängliche Möglichkeit gibt, dass Du, sofern gerade nicht flüssig, Dir die notwendige Währung von Horizon „leihen“ darfst. Oder dies direkt aus den Accountdaten via Paypal oder sonstigen Zahlungsmethoden von Deinem Konto abgebucht wird. Natürlich wird dies virtuell so genial aufbereitet, dass es Dir eine Freude ist zu zahlen.
Und je tiefer Du eintauchst, in diese schöne neue heile glitzerbunte virtuelle Welt, umso leichter fällt es Dir den Obolus zu entrichten.
Bevor ich zum Ende komme – noch 3 Gedanken.
Schon mal den Begriff „Eskapismus“ gehört? Nein? Nicht schlimm. Wikipedia hilft. Also das im Internet, ganz ohne Horizon aufrufbare. [6]
„Eskapismus, auch Realitätsflucht, Wirklichkeitsflucht oder Weltflucht, bezeichnet die Flucht aus oder vor der realen Welt und das Meiden derselben mit ihren Anforderungen zugunsten einer Scheinwirklichkeit, d. h. imaginären oder möglichen besseren Wirklichkeit.“
Klar, wer wünscht sich nicht ab und an aus dem grauen Alltag zu entfliehen. Die Sorgen und Nöte hinter sich zu lassen. Einfach mal abzuschalten oder gar abzutauchen.
Ich gehöre auch dazu, keine Frage. Notfalls spiele ich eine Runde Sudoku, lese ein Buch oder zocke ganz gewöhnlich „World of Warcraft.“
Oder konsumiere und nutze irgendeinen technischen Schnickschnack.
Aber wir sollten dabei eines nicht vergessen.
Keines der Dinge ist darauf ausgelegt, uns fortwährend durch immer neue Features, neue Spiele, neue Welten, gemeinsames Erleben IN dieser Welt „gefangen“ zu halten, wie das mit Horizon der Fall sein wird.
Mit all den oben beschrieben Effekten.
Mit einer völligen Kontrolle über das, was wir sehen und wahrnehmen, präsentiert von Horizon.
Die Gefahr, dass wir die reale Welt um uns herum nicht mehr wahrnehmen, oder nur das, was Horizon uns vorsetzt, ist größer denn je. Die Gefahr zu glauben, wir wären ja nur virtuell unterwegs und es würde uns im realen Leben davon nix tangieren.
Nicht alles muss man madig machen
Natürlich, und man verzeihe mir, dass dies erst an dieser Stelle kommt, wird jede virtuelle Realität auch und die mit ihr einhergehende Technologie auch Vorteile haben und positive Aspekte hervorbringen.
Denken wir nur an Menschen, die aufgrund von Beeinträchtigungen keine Möglichkeit der Interaktion mit anderen haben. Die wegen der Barrieren in der realen Welt noch von vielem ausgeschlossen werden.
Für diese kann die Nutzung einer virtuellen Realität auch Chancen bieten. Wieder das Gefühl haben mitten im Leben zu sein.
Und natürlich werden uns auch, wie auch in der Formel 1 üblich, technologische Innovationen aus der virtuellen Welt im dann ganz herkömmlichen Leben nahegebracht.
Kiddies können dann vielleicht zusammen lernen (wenn sie denn nicht gerade zocken), ohne dass ihnen die ansonsten lahme und nutzerunfreundliche Schulcloud wegbricht.
Euch fallen sicher auch noch mehr individuelle Vorteile ein, die eine VR via Horizon mit sich bringt.
Ready Player One
Nein, das seid garantiert nicht IHR. Egal wie Ihr Euch dann in der virtuellen Welt nennen werdet.
„Ready Player One“ ist ein Film von Steven Spielberg, der uns bereits erahnen lässt, was in einer virtuellen Realität alles möglich ist. Nein, ich werde Euch natürlich jetzt keine Details zu OASIS oder IOI verraten. Seht Euch den Film gefälligst selbst an.
Wenn man ihm zum ersten Mal schaut, ist das ein bombastisches Spektakel. Oder wie es eine Filmkritikerin ausdrückte:
„Spielberg singt ein Loblied auf all das, was uns das Abschalten vom Alltag ermöglicht, indem er versucht, jedem relevanten Teil eines mehr oder minder bekannten Popkulturphänomens mindestens einen kurzen Auftritt zu ermöglichen. Das gelinge ihm nicht immer subtil, so Wessels, und gleichzeitig reiche eine einzige Sichtung niemals aus, um jedes noch kleine Detail in Ready Player One auf Anhieb zu entdecken. Spielberg gelinge so etwas wie Film, Computerspiel und Konzert in einem und er entführe den Zuschauer für zweieinhalb Stunden in eine fremde Welt, wobei er sich keinerlei Grenzen auferlege.“
Kann ich nur zustimmen. Grandios. Sehenswert. Popcorn.
Was aber bei all den guten Kritiken zu kurz kommt, und was auch die meisten, die den Film gesehen haben, nicht wissen:
Er beruht auf einer Dystopie! (Geschrieben von Ernest Cline im Jahr 2010)
Und nein, eine Dystopie ist nicht nur etwas Fiktives. Nicht nur ein Buch, oder ein Film.
Goerge Orwell hatte sich mit seinem Roman „1984“ auch nicht vorstellen können, dass der (Achtung: Trigger) Überwachungskapitalismus sein Buch als Vorlage nimmt und es Realität werden lässt.
Ich erspare mir jetzt, Euch weiter zu erklären, was eine Dystopie ist. Das findet Ihr hoffentlich auch ohne Horizon oder Alexa oder Siri noch selbst heraus. Oder lest „1984“.
Viel wichtiger ist: Hinter der glitzerbunten Fassade des Films, den tollen Welten und Aktivitäten verstecken sich auch viele gesellschaftskritische Elemente. Dystopische Elemente.
Welche?
Seht Euch den Film an.
Und ja, ich weiß. Tut mir leid. Schlagt mich.
Ich werde gleich etwas vom Ende des Films spoilern.
Weil es mir aber wichtig ist.
Denn: Nicht umsonst kommen die zukünftigen Besitzer der OASIS zur Erkenntnis, OASIS zweimal pro Woche, jeden Dienstag und Donnerstag, herunterzufahren, um die Menschen dazu zu zwingen, mehr Zeit in der realen Welt zu verbringen.
Ja und was nun?
Der Beitrag ist nicht dazu gedacht Euch vorzuschreiben, ob Ihr Euch nun in das Metaversum begebt oder nicht.
Oder Euch Horizon madig zu machen.
Nein, ich werde da sicher auch mal schnuppern gehen.
Ob es Euch da gefallen wird oder nicht, das könnt nur Ihr selbst entscheiden.
Tut worauf Ihr Lust habt, und genießt es.
Lasst Euch meinetwegen fallen, erkundet Welten. Oder lasst es.
Bei all den wunderbaren Dingen, die es da immer wiederzuentdecken gibt, halte ich es dennoch mit den Besitzern der OASIS.
Unsere reale Welt samt Familie, Kindern, Enkeln, Freunden und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen, befinden sich außerhalb von Horizon.
Und sie alle brauchen Eure Aufmerksamkeit, Zuneigung, Eure Geduld und manchmal auch Euren Frust.
Ach übrigens: Wenn der Frust kommt, geht meinethalben eine halbe Stunde zu Horizon. Aber vergesst das Wiederkommen nicht.
[1] Liste der Strafen von Facebook
https://www.dsgvo-portal.de/dsgvo-bussgeld-gegen-facebook-inc.-2020-01-28-US-325.php
[2] Weitere Strafen Facebook/Google
[3] Facebook verliert die Jugend
https://de.statista.com/infografik/24717/umfrage-zur-regelmaessigen-nutzung-von-facebook/
[4] Absatzprobleme Oculus
[5 ]Boom bei VR durch Horizon
[6] Eskapismus
1984 Beschreibt ja eher eine Sozialistisch/Kommunistische Überwachungsdiktatur. Eine Kritik des Linken Orwell am Soviet Kommunismus. Passt ganz gut zu China, aber ansonsten eher nicht zum Kapitalismus !
Ready Player One beschreibt eher eine Welt in der es durch Automatisierung keine echte Arbeit für die Menschen mehr gibt. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen produzieren die Leute deshalb virtuelle Güter in einer rein virtuellen Welt die dann virtuell gehandelt und konsumiert werden. Also ein Kapitalismus der materiell nicht mehr wachsen kann und daher ein unlimitiert immaterielles Wachstum anstrebt. Haben wir ja bereits, siehe Bitcoin, Altcoins, NFTs, usw. Immer mehr Wirtschaftstätigkeit zur Erzeugung von virtuellen nicht real existierenden Werten.
Der Wert und der Status eines Menschen bemisst sich dann zunehmend am virtuellen (nicht materiellen) Besitz ! Dieser entscheidet dann in wie fern Mensch es sich leisten kann am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder eben auch nicht.