Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Im Herbst 1989 bricht die DDR endgültig zusammen und es kommt am 09. November zum Mauerfall. Vorangegangen waren unter anderem die sogenannten Montagsdemonstrationen. Zwar waren sie nicht die alleinige Ursache, aber sie waren doch sehr hilfreich. Sie begannen mit ca. 1000 Menschen in Leipzig auf dem Vorhof der Nikolaikirche und wuchsen schnell auf bis zu 300.000 Menschen. Und anders als in der BRD, wo das Demonstrieren ein Grundrecht ist, war es in der DDR gar nicht so klar, ob die Demonstrationen vonseiten der Staatsmacht geduldet würden. Doch es blieb friedlich und so könnte man glauben, dass die Demonstrationen einen ganzen Staat quasi aufgelöst hätten. Heute sind alle diese Menschen Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Dem Staat, dem sie angehören wollten. Und sie genießen jetzt wie alle den Artikel 5 des Grundgesetzes:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Wie aber sieht es denn wirklich aus?
Liest man so einige Plakate von Demonstranten dieser Tage, dann scheint Deutschland eine Diktatur zu sein. Und während auf der einen Seite das Demonstrieren gegen Coronamaßnahmen inklusive Gewaltausübung gegen Journalisten, Polizei aber auch Unbeteiligte oder Gegendemonstranten legitim zu sein scheint, ist das Blockieren von Straßen oder gar Autobahnen absolut unmöglich nach dem Verständnis einiger.
Ist das tatsächlich so? Oder hat sich unser Demokratieverständnis im Laufe der Jahre gewandelt?
Nimmt man z.B. die Demonstrationen gegen die „Polizeigesetze“ wie NPOG oder PAG, so waren diese recht groß, völlig friedlich und legitim. Doch bewirkt haben sich nichts. Im Gegenteil, in Hannover z.B. wurde versucht, Teilnehmer zu kriminalisieren [1]. Und das durch die Polizei, die zu politischer Neutralität verpflichtet ist.
Die Demonstrationen von Fridays for Future waren ein vielfaches größer, und auch sie hatten praktisch keinen messbaren Erfolg. Zwar wurden jetzt die Grünen mit in die politische Verantwortung gewählt, aber selbst zu diesem frühen Zeitpunkt ist absehbar, dass sich die Veränderungen im Bereich der Klimapolitik in recht überschaubaren Grenzen bewegen werden.
Und da stellt sich natürlich die Frage nach dem Sinn einer Demonstration. Wenn die doch sowieso keinen messbaren Erfolg mehr haben, warum sollte man sie dann noch machen. Vorbei die Zeiten, in denen ein Staat deswegen zusammengebrochen ist. Da stellt sich dann schon so manch einer die Frage, ob es nicht andere Formen, erfolgreicher Formen des Protestes gibt.
Cécile Lecomte [2] ist eine solche Vertreterin eines auffälligeren Protestes. Sie nennt sich selbst Polit- Kletteraktivistin & freie Journalistin mit Rolli.
Andere hingegen blockieren Straßen und Autobahnen [3]. In einer Autofahrernation kommt sowas naturgemäß nicht gut an. Und dann gibt es da noch die „Spaziergänger“ und „Fackelmärsche“ [4]. Sie sind eine andere Form des Protestes. Denn hier ist das Ziel die Einschüchterung bzw. das Erzeugen von Angst bei Politikern oder politisch engagierten Menschen.
Zu klären wäre auch noch die Frage, wie zum Teil mit ganz legitimen Protesten umgegangen wird. Da wäre die schon erwähnte Kriminalisierung. Und dann ist da noch das weite Feld der, so zumindest nenne ich das, gewaltsamen Befriedung.
Das fängt an mit dem Auffahren von Wasserwerfern bei jeder Demonstration, die irgendwer als „Links“ bezeichnet hat.
Aber auch massivere Eingriffe gab es, so zum Beispiel im Dannenröder Wald, wo ein Stützseil von der Polizei durchgeschnitten wurde [5].
Aber auch bei unseren direkten Nachbarn sind solche Dinge zu beobachten. So brannte in Wien ein Protestcamp ab.
Verletzte gab es zum Glück, keine, diese wären aber möglich gewesen [6]. Und dann sind da noch die Demonstrationen derer, die gegen die Coronamaßnahmen sind, oder gar Corona leugnen. Hier werden weder Wasserwerfer noch hoch spezialisierte Polizeikommandos geschickt. Im Gegenteil, hier versuchen Ministerpräsidenten, mit Neonazis und Faschisten medienwirksam zu debattieren [7].
Wenn man all das zusammen nimmt, kann man problemlos zu dem Schluss kommen, dass eine normale Demonstration völlig sinnlos ist. Und schuld daran ist die Politik. Hauptsächlich die regierenden Politiker, das ist klar. Polizeigesetze, Statements der Polizei z.B. in den verschiedenen Social Mediakanälen, der Presse, hier vor allem die Springer Presse, der Polizeigewerkschaften, aber nicht zuletzt auch der Parteien und ihrer Vertreter, deren Äußerungen nur eines klarstellen. Demokratie ist, was Sie sagen. Und nicht, was im Grundgesetz steht.
Ich persönlich halte nichts von all diesen Aktionen. Weder irgendwelche Abseilakte, noch Blockaden, und schon gar nicht irgendwelche Gewaltakte.
Aber ich verstehe die Frustration. Wer ist schon gerne ein „Don Quijote“ (Roman von Miguel de Servantes, in dem er sinnbildlich das Anrennen gegen Windmühlenflügel von Don Quijote beschreibt) in der Politik?
Da sind alle Möglichkeiten vorhanden, und das Ergebnis ist eher Diskriminierung, persönliche Diffamierung oder sogar Kriminalisierung. Und das alles, weil man das verfassungsmäßige Recht nach dem Grundgesetz Artikel 5 Absatz 1 ausgeübt hat.
Ich habe heute erst wieder gehört, die Piratenpartei wäre eine Protestpartei. Vielleicht waren wir das mal. Jetzt habe ich da mehr als Zweifel. Vielleicht ist es an der Zeit, die Demokratie zu stärken, und uns als Bewahrer der Demokratie darzustellen.
Denn die Demokratie ist auf dem Rückzug, auch in Deutschland. Und das nicht erst seit gestern.
Daran ändert auch der 15. Platz in der Rangliste der vollwertigen Demokratien nichts [8].
Ullrich Slusarczyk
[1] https://piraten-nds.de/2020/09/24/wenn-macht-missbraucht-wird/
[2] http://eichhoernchen.ouvaton.org/index.html
[3] https://www.youtube.com/watch?v=G1JLmaMHsw0
[6] https://www.instagram.com/p/CXbiEh3qbbc/
[6] https://www.instagram.com/p/CU5YFeUKccw/
[6] https://www.instagram.com/p/CZmDqHfMTP_/
[7] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kretschmer-sachsen-107.html
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.
Die Medien spielen hier aber auch eine überaus tragende Rolle. Kritische Berichterstattung über die Polizei Aufgaben Gesetze ist wenn überhaupt in homöopathischen Mengen aufzufinden. Eine Berichterstattung über die von der EU geplannte “Chatkontrolle” durch die alle PCs und Smartphones aller Bürger ohne vorherige richterliche Anordnung flächendeckend durchsucht werden wollen. Darüber findet gar keine Berichterstattung statt.
Abbau von Demokratie und Faschistisierung funktionieren eben auch so gut weil die großen Pressekonzerne und die öffentlich rechtlichen Medien dieses Spiel so bereitwillig und unkritisch mitspielen !!!