Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Es wird viel geredet über Hass. Vor allem auf Social Media. Da es aber ein paar Bereiche gibt, die nicht unbedingt Social Media sind, wie z.B. E-Mail oder Foren fasse ich das ganze unter Internet zusammen. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, warum es so viel Hassreden gibt. Darüber, warum so etwas entstehen kann und was unsere Zeit damit zu tun hat. Der Grund ist nicht etwa, dass ich davon betroffen wäre. Glücklicherweise war mein bisher schlimmster Shitstorm, dass man mir Arschlochverhalten vorgeworfen hat. Der Grund ist, dass ich festgestellt habe, dass ich jemanden bzw. eine ganze Gruppe hasse. Das ist mehr als ungewöhnlich, denn ich neige da nicht im Geringsten zu. Zeit, einmal festzustellen, wie mir das passieren konnte und ob und wie eventuell andere ebenfalls davon betroffen sein könnten.
Der Anfang
Alles hat einen Anfang, so auch bei mir. Begonnen hat alles 2017. Da wurde bei mir Lungenkrebs diagnostiziert. In der Folgezeit hatte ich viel mit einer Behörde zu tun, einer Körperschaft öffentlichen Rechts und vielen Firmen bzw. Menschen. Die dabei gesammelten Erfahrungen haben teilweise tiefe Spuren hinterlassen, extremen Stress verursacht und mein Bild von Menschen, Behörden und Institutionen massiv negativ beeinflusst. Dummheit, Ignoranz, Besserwisserei, aber vor allem eine unsägliche Sturheit waren die Auslöser. Das alleine allerdings reicht nicht, um Hass zu verursachen. Es musste noch eine Komponente geben. Und nach längerem Nachdenken habe ich sie gefunden. Hilflosigkeit und Machtlosigkeit. Das völlige Unvermögen, die Situation zu ändern, geschweige denn zu verbessern. Daraus resultiert Frust, und irgendwann gebiert der Frust Hass.
Aber ich greife vor.
Mit der Krankheit folgte das Unvermeidliche. Es mussten Anträge gestellt werden, um Dinge zu regeln. Und schon ging es los. Vom Tag der Antragstellung (Schwerbehindertenausweis) bis zur Genehmigung vergingen 10 Monate. Das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hat wirklich alles getan, um die Ausstellung zu verzögern. Ich bin kein Jurist, aber nach meiner Einschätzung sind sie da knapp am justiziablen Verhalten vorbeigeschrammt. Anders beim Jobcenter. Da ging alles relativ flott. Dafür war der bürokratische Aufwand enorm, und wie sich hinterher rausstellte, völlig überflüssig. Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht quasi aller meiner Ärzte. War dann schon recht erstaunt, dass meine Zahnärztin nicht auch noch befreit werden musste. Dazu tonnenweise Fragen, die zu beantworten waren.
Nun ist man nach so einer Diagnose nicht unbedingt der belastbarste. Das mentale Gerüst eines Menschen ist nach Chemo, Bestrahlung und anschließender Operation, bei der einem der gesamte linke Lungenflügel entfernt wird, sind ca. 1,2 Kilo Fleisch, nicht unbedingt das stabilste. Von daher war ich froh, als endlich alles durch war. Auch wenn ich mit dem Bescheid nicht einverstanden war, da er nur befristet war und von einer Heilungsbewährung sprach. Ich hatte einfach keinen Nerv mehr und ein weiterer Einspruch hätte das Ganze noch mehr verzögert.
Der Mittelteil
Es war also alles geschafft und ich hatte Ruhe. Das war ganz klar ein Irrtum. Was jetzt und natürlich auch schon vorher folgte, war das ganz normale Leben. Und da gibt es jede Menge Hürden. Eine Folge meiner Lobektomie (so wird die Amputation einer Lunge bezeichnet) war, dass meine Stimmlippen, umgangssprachlich auch Stimmbänder genannt, beschädigt wurden bzw. gelähmt sind. In meinem Fall ist eine von den zwei Stimmlippen beschädigt und die zweite ist gelähmt. Daraus resultierte, dass ich sogar logopädisch behandelt werden musste. In gewisser Weise also das Sprechen zwar nicht neu lernen musste, aber doch Aussprache und Lautstärke deutlich verbessern musste. Das habe ich getan, aber trotzdem gibt es Menschen, die von meiner gesundheitlichen Einschränkung nichts wussten und während einer Sprachkonferenz gedacht haben, mein Mikrofon wäre kaputt, da meine Stimme trotz allem deutlichen Schwankungen unterliegt. Nun lassen sich solche Dinge noch vergleichsweise leicht regeln. Und Sprachkonferenzen am Computer arbeiten auch nicht mit den vergleichsweise sehr stark komprimierten Sprachformaten, wie sie z.B. Telefone verwenden. Und man kann meistens die Lautstärke regeln, und zwar auf beiden Seiten. Also ich kann mein Mikrofon zusagen aufdrehen und die Gesprächspartner können die Lautstärke anpassen. Am Telefon geht das aber z.B. nicht. Mit zum Teil heftigen Folgen. So brauchte ich mal dringend einen Termin bei einem Kardiologen. Leider war kein Termin frei, sodass ich eine Servicenummer anrufen sollte, damit ich einen Arzt vermittelt bekomme. Das hat erst beim dritten Anruf geklappt, weil ich beim dritten Mal einen Freund anrufen lassen habe. Bei den ersten beiden Anrufen wurde das Gespräch einfach beendet, weil ich angeblich betrunken war oder doch mal deutlich sprechen sollte. Das Schlimme daran ist, es gab und gibt keine Alternative. Bis heute nicht. Solche und ähnliche Erfahrungen habe ich noch öfter gemacht. Unter anderem mit dem Jobcenter. Meine Sachbearbeiterin hat nämlich gerne angerufen, statt eine Mail oder einen Brief zu schicken. Meine Hinweise, dass ich nur ungern telefoniere, weil schlecht am Telefon zu verstehen, wurden einfach ignoriert. Gelöst habe ich das Problem letztendlich durch eine neue Telefonnummer. Nach ca. zweieinhalb Jahren wollte das Jobcenter dann wieder ein Gutachten erstellen. Es könnte sich ja an meinem gesundheitlichen Zustand was geändert haben. Wieder folgte der ganze bürokratische Aufwand, samt den diversen Fragebogen. Und wieder alles völlig umsonst, da auch diesmal keiner meiner Ärzte befragt worden ist. Stattdessen gab es ein Gutachten, das beinah das Gegenteil vom Ersten behauptete. Ich konnte mir die Frage, ob der, der das Gutachten erstellt hatte, dabei eventuell betrunken war, dann doch nicht verkneifen. Das heißt, ich war plötzlich wieder voll arbeitsfähig und vermittelbar. Ich hatte zwar einen GdB von 100 sowie das Merkzeichen G, aber na ja. Erstaunlicherweise zweifelt außerhalb von Behörden etc. niemand meinen Gesundheitszustand an. Und nur die wenigsten sind Mediziner. Es ist also ein ständiger Kampf, ein ewiges Repetieren von Fakten, die alle Betroffenen längst kennen. Und es ist anstrengend, nervt und frustriert.
Die Radikalisierung
Das erste Mal Hass verspürt habe ich, als das Jobcenter ein drittes Gutachten in 4 Jahren erstellen wollte und von mir Krankschreibungen verlangt hat. Dies habe ich verweigert. Als ich daraufhin angerufen wurde, bin ich eskaliert und habe am Telefon geschrien. Da ich nicht alleine war, haben da einige quasi mitgehört und haben nach einer Weile nur noch mit dem Kopf geschüttelt. Und die meinten alle nicht mich, sondern das Jobcenter.
Und dann folgte mal wieder das Landesamt in Niedersachsen. Die hatte ich bis dahin, mit all ihren Fehlleistungen und Fehlverhalten, erfolgreich verdrängt. Aber leider ist mein Schwerbehindertenausweis befristet. Und so steht also eine Neubewertung an.
Und da wird konstatiert, dass eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten ist. Es würde viel zu weit führen, alles aufzuführen, was ich unternommen habe. Aber auch das nimmt schon wieder mehr als 7 Monate in Anspruch. Und war völlig erfolglos. Juristische Schritte, Mails, Erklärungen, nichts hat geholfen. Jetzt soll ich einen GdB von 60 bekommen ohne Merkzeichen G.
Dazu gab es ein Schreiben für eine Anhörung. Die ist offenbar gesetzlich vorgeschrieben. Und ich wollte dazu auch Stellung nehmen. Und hab es dann doch nicht getan. Aus zwei Gründen. Zum einen, weil das ja wieder nur die lesen, mit denen ich mich schon die ganze Zeit herumschlage. Und zum anderen, weil mich der Hass förmlich überflutet hat. Wenn ich dann so auf Social Media gucke, dann kann ich Probleme, wie ich sie hatte und habe, tausendfach bei anderen wiederfinden. Und irgendwann ist halt bei jedem die Geduld erschöpft. Behörden, Körperschaften, aber auch Unternehmen, ich nenne hier mal stellvertretend die DB und Amazon, verursachen solche Gefühle. Und zu guter Letzt muss man dann noch die Politik nennen. Bestes Beispiel hier das neue Bürgergeld und die gestiegenen Strompreise sowie die Klimakatastrophe, die fast ausschließlich von der Politik zu verantworten sind. Und für den Einzelnen ist alles, was man tun kann, von zwei Dingen geprägt. Nämlich dem Gefühl der Ohnmacht und Machtlosigkeit. Und irgendwann eskaliert das dann eben. Mit Hass, wie er in der Zwischenzeit beinah alltäglich ist.
Fazit
Behörden, Institutionen, Ämter, aber auch die Politik müssen wieder lernen, dass sie für die Menschen da sind, dass sie es mit Menschen zu tun haben. Nicht für Parteien wird Politik gemacht, sondern für Menschen. Und Gesetze sind ebenfalls für Menschen. Und wenn die Anwendung von Gesetzen einem Menschen schadet, dann ist das nicht richtig. Zu meinem Bedauern scheint der Trend aber eher dahinzugehen, dass es noch schlimmer werden wird. Der beträchtliche Rutsch nach rechts zu den Neonazis wird das noch beschleunigen bzw. verschlimmern. Und das Interessante ist, die Hauptlast bei den Änderungen müssen aus der Politik kommen. Das wird vermutlich nur gehen, wenn einige der Altparteien abgewählt werden.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.