In der Piratenpartei geistern diverse Begriffe umher, die alle einen gemeinsamen Nenner haben. Sie haben angeblich etwas mit Basisdemokratie zu tun. Mal positiv, mal negativ.
Sehr häufig werden allerdings auch einige Begriffe missbraucht, weil angeblich undemokratische Dinge passieren.
- BuVo as a Service
- Top-down-Politik
- Transparenz
Was aber ist Basisdemokratie überhaupt und kann diese in einer Partei überhaupt funktionieren? Dem werde ich in diesem Artikel nachgehen.
Basisdemokratie in einem Staat
In einem basisdemokratischen Staat würden die Bürger über alles abstimmen und die Mehrheit entscheidet. Allerdings sind Gesetze nicht einfach. Im Gegenteil, viele sind sehr kompliziert und sorgsam ausformuliert. Eine vergleichsweise hohe Bildung ist hier klar von Vorteil. Doch sie alleine ist keine Garantie, dass jede Entscheidung wirklich zum Vorteil aller ist. Die Entscheidung in Großbritannien pro Brexit hat das gezeigt.
In Deutschland ist die direkte Demokratie nur auf Länderebene und nur sehr vereinzelt gebräuchlich. Die Bundeszentrale für politische Bildung sagt dazu, „nur in Ausnahmefällen“, und begründet das wie folgt: „Ein Argument dafür lautet: Viele Fragen, über die der Bundestag entscheidet, sind sehr kompliziert. Deshalb ist Basisdemokratie in der großen Politik nicht sinnvoll. Die Menschen würden dann entscheiden, ohne wirklich alle Konsequenzen ihrer Wahl abzusehen.“
Die Schweiz hingegen ist das Land mit der wohl am weitesten reichenden direkten Demokratie. Das hat einige Auswirkungen:
Die Schweiz blieb von Kriegen verschont. Das ursprünglich arme Land entwickelte sich zu einem der reichsten der Welt und einem Einwanderungsland, so arbeiten z.B. im Bereich der Pflege sehr viele Deutsche in der Schweiz. Steuerhinterziehung ist um 30 % niedriger, politische Institutionen sind effektiver und die Wirtschaft produktiver.
Weitere Informationen zur direkten Demokratie in der Schweiz gibt es hier:
Basisdemokratie in einer Partei
In einer Partei bedeutet das, dass es keine Hierarchien gibt. Auch hier entscheiden alle. Prominentester Vertreter waren die Grünen. Mit ihrem wachsenden Erfolg setzte eine Professionalisierung ein und letztendlich die Abkehr von der Basisdemokratie hin zur repräsentativen Demokratie mit Repräsentanten (z.B. Vorständen).
Jetzt gibt es mit der basisdemokratischen Partei Deutschland (dieBasis) nur noch eine Partei, die dies propagiert.
Die Piratenpartei ist wie die meisten anderen Parteien ein Vertreter der repräsentativen Demokratie. Dies liegt unter anderem daran, dass in Deutschland bestimmte Strukturen für Parteien vorgeschrieben sind. Allerdings gibt es immer wieder Diskussionen darüber innerhalb der Partei.
Kann eine Partei basisdemokratisch funktionieren?
Es gibt Tools wie im LV Niedersachsen das SME (Ständiger Mitgliederentscheid), Liquid Feedback war ein Tool, das direkte Demokratie innerhalb der Partei ermöglichen sollte. Mit dem BEO (Basisentscheid online und offline) soll das wieder möglich sein. Allerdings befindet sich das Tool bereits seit Jahren in der Entwicklung.
Aber selbst wenn es funktionierende Tools gibt, so müssen auch diese beschickt werden, vor allem aber genutzt werden.Das SME in Niedersachsen ist ein funktionierendes Tool. Und seine Nutzung geht gegen null.
Warum ist das so?
Das fängt bei einem lächerlichen Problem an. Der Landesverband weiß von etlichen Mitgliedern die E-Mail-Adresse nicht. Es ist müßig, über die Gründe zu reden. Aber selbst die, die angeschrieben werden, machen so gut wie nichts. Letztendlich haben maximal 6 Leute am SME teilgenommen.
Mit dem Mitmachen ist das also so eine Sache. Heutzutage ist so viel von Eigenverantwortung die Rede. Aber wenn man sieht, wie unvernünftig sich die Menschen benehmen, dann wird klar. Eigenverantwortung, und Mitmachen ist ja auch Eigenverantwortung, ist längst nicht so weit verbreitet, wie man es erwarten sollte.
Doch was wäre, wenn zumindest unter den Mitgliedern genug Menschen mitmachen. Dann gibt es also ein Ergebnis. Und was passiert jetzt? Wer setzt das um?
Hier kommt eines der Schlagwörter, die in der Piratenpartei kursieren, zum Tragen. Nämlich der BuVo/Vorstand as a Service. Der müsste jetzt das Ergebnis präsentieren. Also eine Pressemitteilung schreiben, vielleicht eine Pressekonferenz einberufen und dafür sorgen, dass dieses Ergebnis auch auf Social Media landet.
Bei einem Interview wird es dann aber schon wieder schwieriger. Denn genau genommen ist dann wieder jeder Satz persönlich, also nicht basisdemokratisch. Das heißt, die Basis kann kein Interview geben. Sie kann nicht vor die Kamera, nicht an Diskussionen teilnehmen. Und genau genommen ist auch schon die Pressemitteilung eine eigene Interpretation, also persönlich und damit nicht mehr basisdemokratisch. Aber lassen wir alles das mal außer Betracht. Als ich in die Piratenpartei eingetreten bin, bin ich über etwas gestolpert. „Themen statt Köpfe“. Das war mal ein Motto in der Piratenpartei und irgendwie ist das auch noch in den Köpfen von einigen. Dummerweise hat dieses Prinzip nachweislich nicht funktioniert. Das sieht man an den Wahlergebnissen und den gesunkenen Mitgliederzahlen. Und Themen können nicht zu Talkshows gehen.
Interessanterweise hatte die Piratenpartei aber mal Köpfe. Und war da auch im Vergleich zu jetzt noch erfolgreich. Das aber fehlt jetzt völlig. Es sind einzelne Menschen, die eine Pressemitteilung, einen Artikel, ein Blog, Tweet etc. schreiben. Und eben nicht die Basis. Und, davon bin ich überzeugt, Menschen wählen Menschen. Themen sind dann nicht mehr so wichtig oder stehen an zweiter Stelle. Das beste Beispiel dafür ist ausgerechnet Angela Merkel. Sie hat ein paar Dinge auch gegen den Parteiwillen durchgesetzt, die kein anderer geschafft hätte. Gleichzeitig hat sie viele Probleme verschleppt und ausgesessen. Und in ihre Regierungszeit fallen jede Menge politischer Fehlentscheidungen. Trotzdem, und da bin ich sicher, wäre sie bei der letzten Wahl angetreten, die CDU hätte die Wahl gewonnen!
Kann direkte Demokratie also funktionieren in einer Partei? Ich glaube nicht, bzw. nur sehr eingeschränkt.
Wenn ich einen Vorstand wähle, egal für welche Position, dann wähle ich diesen Menschen, weil er stellvertretend für mich Entscheidungen treffen soll. Weil er meine Meinung in der Öffentlichkeit für mich vertritt. Weil ich das nicht kann, mich um meine Kinder kümmern muss, arbeiten muss etc. Ein Tool, egal wie ausgefeilt, kann das nicht.
Top-down und Transparenz
Das Misstrauen gegen die „Obrigkeit“ ist tief verwurzelt bei vielen Piraten. Interessanterweise sind die eigenen Vorstände ebenfalls für viele Obrigkeit. Das Misstrauen ist riesig. Wenn da Protokolle nicht schnell genug veröffentlicht werden, ist von Hinterzimmerpolitik die Rede oder von Top-down-Politik. Nimmt man die Mitgliederzahlen der Partei, dann wird klar, wir sind längst nicht mehr adäquat in allen Positionen besetzt. Das gilt auch für den Bundesvorstand. Die Bezeichnung Kleinstpartei ist daher zumindest momentan zutreffend. Die Bezeichnung Splitterpartei dagegen klarer Blödsinn.
Was also können wir tun?
Betrachten wir doch mal ein paar erfolgreichere politische Aktionen in den letzten Jahren und was sie gemeinsam hatten bzw. noch immer haben.
- Save your Internet 2018
- Nopag/Nonpog etc. 2018 – 19
- Free Assange 2019
Nimmt man es ganz genau und bricht alle drei Themen auf den kleinsten Nenner herunter, dann lautet der einfach nur: Nein
- Nein zur EU-Urheberrechtsreform
- Nein zu den Polizeiaufgabengesetzen
- Nein zur Inhaftierung von Julian Assange
Das ist relativ einfach und hat den Vorteil, dass man nur wenig selber erarbeiten muss. Was aber, wenn man Themen hat, die mit einem Nein nicht zu lösen sind?
So z.B. die Klimakatastrophe. Klar kann man einfach ein Tempolimit fordern. Aber das reicht nicht! Nicht, um die Katastrophe zu verhindern, noch um gewählt zu werden. Wir müssten ein Programm erarbeiten und damit an die Öffentlichkeit gehen. Also ein Kopf, der ein Thema vorträgt. Der glaubhaft wirkt, dem man vertraut, den man wählen würde.
Dazu braucht es innerparteiliche Bildung. Das Futurecamp ist ein solcher erster Schritt gewesen. Aber klar zu wenig. Es braucht eine deutlich bessere innerparteiliche Kommunikation. Z.B. eine eigene E-Mail-Adresse für alle Mitglieder, kostenlos, solange man Mitglied ist. Eine Professionalisierung im Bereich Grafik mit einer parteieigenen Cloud. Bundesweit einheitliche Software für Designer und Grafiker.
Das Problem dabei ist, vieles davon ist hierarchisch und muss es auch sein, um schnell und zuverlässig funktionieren zu können. Aber eine eigene E-Mail-Adresse für alle z.B. würde den Mitmachfaktor deutlich verbessern und so Tools wie eben dem BEO oder SME helfen!
Fazit
Ich glaube, dass direkte Demokratie und repräsentative Demokratie in einer Partei sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen.
Beide bedeuten aber Arbeit. Sowohl für die Vorstände als auch für die Mitglieder. Wer politisch etwas bewirken will, der muss halt mal Texte lesen und sich eine Meinung bilden, auch in Bereichen, die einen vielleicht nicht so interessieren.
Ich gebe zu, dass z.B. das Thema Steuern nicht wirklich meines ist. Ich bin eher bei der Energie, Klima, Gesundheit und Inklusion zu Hause. Aber bei einem vorhandenen Tool würde ich mich selbstverständlich einlesen und abstimmen.
Das heißt, direkte Demokratie, ja. Soweit als möglich und sinnvoll.
Buvo as a Service kann ich dagegen komplett verneinen. Es funktioniert nachweislich nicht. Zu sehen in mehreren LVs und zum Teil auch im BuVo. Es braucht Köpfe. Und klar, da werden sicher auch mal welche dabei sein, die eher suboptimal sind. Das gibt es in jeder Partei. Mir fallen da mit Wagenknecht, Schröder, Sarrazin ein paar prominente ein.
Aber jemanden zu wählen, der anschließend seine Meinung nicht äußern darf, das ist für mich keine Demokratie. Aussagen wie Hinterzimmerpolitik entbehren eh jeder Grundlage. Denn vor realer Politik sind wir doch sehr weit entfernt. Und Top down? Lustigerweise sind ausgerechnet die, die diesen Begriff nutzen, ziemlich autoritär unterwegs.
Wir müssen uns professionalisieren. Überall. Und das möglichst schnell. Unsere Parteijugend fördern, bilden und unterstützen. Ich habe Parteijugend aus anderen Parteien kennengelernt. Einer von denen, mit dem ich noch einen Demolastwagen gefahren habe, ist jetzt Mitglied im Bundestag in Berlin!
Ein andere ist Sprecher der Bundesjugend in seiner Partei.
Und zu guter Letzt ein Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei:
Mit ihnen allen habe ich gegen das NPOG (Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz) demonstriert. Von unserer Jugend sehe ich dagegen kaum etwas. Zwar gibt es Fortschritte, aber doch sehr langsam. Unsere Parteijugend ist die Zukunft. Sie muss gefördert werden. Und sie werden dann hoffentlich die Partei nach vorne bringen. Sowohl mit direkter Demokratie als auch mit repräsentativer.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.