Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Wahlkampfprogramme, egal von welcher Partei, sind ein Gräuel. Unglaublich viel Text, trocken, teils unverständlich oder kompliziert. Kurz, niemand liest gerne Wahlkampfprogramme. Das heißt nicht, dass sie überflüssig sind. Mitnichten. In Zeiten von Wahl-O-Maten sind Sie sogar noch wichtiger geworden, da Wahl-O-Maten die Programme quasi für den Wähler lesen. Sie reduzieren Wahlprogramme auf wenige wichtige Punkte und schaffen dann einen Überblick über die verschiedenen Programme der Parteien.
Allerdings sind die Wahl-O-Maten nur online/digital verfügbar, sodass die analogen Wähler hier nicht von profitieren. Allerdings ist diese Gruppe sehr groß. Es braucht also auch Lösungen für diese Wähler.
Ich gebe zu, bevor ich in die Piratenpartei eingetreten bin, habe ich nicht ein Wahlprogramm gelesen. Aber auch danach habe ich z.B. unser Programm nur in Teilen gelesen. So ist das PDF zum Bundestagswahlkampf 2021 ganze 157 Seiten lang.
Mein Chefredakteur würde das eine Textwüste nennen. Und recht hat er. Purer Text, kaum Erklärungen, keine Bilder, nichts. Keine Zahlen, um etwas zu untermauern, belegen etc.
Ein Beispiel: „Der Status einer ‚Körperschaft des öffentlichen Rechts‘ für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist abzuschaffen.“ Keine Erklärung, nichts. Warum wir das also fordern, ist völlig unklar. Sehen wir uns mal an, wie andere das gemacht haben.
Wahlkampfprogramme historisch gesehen
Eine der kontroversesten Parteien in Deutschland ist sicher die CSU. Und mit ihr Franz Josef Strauß. Und so sah 1969 das Wahlkampfprogramm von Franz Josef Strauß und der CSU aus:
Und schon 1969 wurde die „Zukunft“ beschworen, ihre Sicherung, ihr Erhalt. Auf 18 Seiten beschreibt die CDU in relativ einfachen, klaren und leicht verständlichen Worten ihr Programm.
Auch hier ein Beispiel:
„Die CSU ist entschlossen, durch eine weitsichtige, verantwortungsbewusste Zukunftsplanung dem Fortschritt zu dienen, jedoch jeder Zerstörung der Werte entgegenzutreten, die auch in Zukunft unser Leben lebenswert machen.“
Man könnte fast glauben, die CSU war damals grün, gegen Atomkraft, fossile Verbrennung und für Wind- und Solarenergie.
Auf insgesamt 16 Seiten hat die SPD ihr Wahlprogramm 1969 formuliert. Anders als die CSU definiert die SPD sich zum Beispiel über ihre Erfolge vor der Wahl, wie man gleich am Anfang lesen kann:
„Das beweist: Ohne die SPD ging es abwärts, mit der SPD geht es aufwärts.“
Interessant hier einiges, was hervorragend in die heutige Zeit passen würde.
„Wir bejahen uneingeschränkt das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Kritik an den bestehenden Verhältnissen.“ … “Dem politischen Extremismus von links und rechts sagen wir den Kampf an.“ … “Dort wo organisierte Gruppen und Parteien die Verfassungsrechte missbrauchen, werden wir alle rechtlichen Möglichkeiten zu ihrer Bekämpfung nutzen.“
Faszinierende Parallelität zu den jetzigen Verhältnissen, wie „Letzte Generation“ und Franziska Giffey als Regierende Bürgermeisterin in Berlin.
Auch das Programm der SPD ist relativ einfach zu verstehen, wenn auch längst nicht so leicht geschrieben und verständlich wie das Programm der CSU.
Damit genug von dem Ausflug in die Vergangenheit. Als Erkenntnis kann man allerdings schon mal mitnehmen, dass 157 Seiten im Vergleich zu 18 bzw. 16 Seiten doch sehr lang sind. Der Spruch:
„In der Kürze liegt die Würze“ aus Shakespeares „Prinz Hamlet von Dänemark“ scheint hier sehr passend.
Wahlkampfprogramme aktuell
Anders als noch 1969 gibt es jetzt deutlich mehr Parteien. Vorbei die Übersichtlichkeit. Heute treten bis zu 40 Parteien oder mehr an. In dem Wust an Parteien die Wähler zu erreichen ist gar nicht so einfach. Da ich zur Bundestagswahl 2021 selber in der WKO (Wahlkampfkoordination) der Piratenpartei war, habe ich ja einiges selbst miterlebt. 2024 steht die Europawahl an. Sie ist aus vielen Gründen besonders wichtig für die Piraten. Ein Grund ist die Absenkung des Wahlalters von 18 Jahren auf 16 Jahre. Dadurch erhöht sich die Anzahl der digitalen Wähler signifikant. Und mit ihnen auch die Zahl derer, für die Themen wie das Klima durchaus wichtig sind, da es ihre Zukunft direkt betrifft. Für sie sollten wir ein extra Wahlprogramm erstellen!
Das schon alleine aus dem Grund, weil die Piratenpartei völlig überaltert ist. Wir brauchen dringend junge Leute mit Blick auf die Zukunft!
Aber es gibt noch mehr an unserem Wahlprogramm, was ich vermisse. So zum Beispiel den Umstand, dass wir nicht dahingehen, wo es wehtut. Was meine ich damit?
Mehrsprachige Plakate, Wahlprogramme und Flyer wären ein Anfang. Aber auch das Ansprechen großer Gruppen in Deutschland wie Türken, Kurden, Griechen und Spanier, um nur ein paar zusätzlich zu den Russlanddeutschen zu nennen. In meinem Haus gibt es 9 Mietparteien. 3 deutsche, zweimal griechisch, zweimal türkisch, einmal kurdisch, einmal spanisch. Und auch in Hannover gibt es eine große Gruppe von Russlanddeutschen. Leider kommt von uns Piraten da herzlich wenig. Mehrsprachige Flyer wären da schon ein Fortschritt!
Wenn dann noch das ein oder andere spezifische Problem angesprochen werden würde, könnte uns das deutlich helfen.
Fazit
Auch wenn der Wahlkampf erst nächstes Jahr ansteht, so sollten einige Grundlagen schon jetzt gelegt werden. So wird sich nicht jeder Landesverband mehrsprachige Flyer/Plakate/Broschüren leisten können. Hier könnte der Bund mit Konzeption, Inhalt und dann Sammelbestellung für alle Landesverbände vorarbeiten. Was es auch braucht, ist ein professioneller Wahlkampf. Mit eingängigen Slogans. Slogans, die zukunftsbezogen sind, die Jugend ansprechen, also unsere Wähler von morgen. Und natürlich mit Themen, die wir sowohl europäisch wie auch national nutzen können. Spätestens nach der Aufstellungsversammlung für die Europawahl 2024 am 24. – 25. Juni in Magdeburg sollten wir mit den Vorbereitungen zur Europawahl beginnen.
Und diesmal sollte die WKO zumindest in zwei Teile, besser drei geteilt sein.
- Kaufmännisch
- Politisch/inhaltlich
- Organisatorisch
Und jeder dieser Bereich sollten einen eigenen Verantwortlichen haben. Das setzt natürlich Teamarbeit voraus, aber wir sind ja die Mitmachpartei, sollte also kein Problem sein. Wahlkampf ist sehr viel Arbeit. Je früher wir anfangen umso besser. Zumal wir ja relativ wenige sind, die Arbeit sich also auf wenige verteilt.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.
Wahlprogramme, daran glaubt doch keiner mehr. Das Vertrauen in die Parteien ist kaputt.
Piraten sollten statt Programm/ Themen sich selbst besser als Basisdemokratische Alternative zum zunehmenden Autoritarismus vermarkten….
Eine Partei die ganz anders organisiert ist die ist interessanter als noch eine Partei mit einem Wahlprogramm.