Hallo Thomas, wir kennen uns ja jetzt schon seit vielen Jahren aus der politischen Arbeit für die Piratenpartei in Niedersachsen und Hannover. Du bist Bezirksrat in Linden/Limmer, meinem Wohnort. Vom Bezirksrat zum Europaparlament ist dabei schon ein gewaltiger Sprung.
Warum willst Du in das Europaparlament wechseln?
Das ist relativ einfach zu beantworten. Erstens ist es keine Voraussetzung, landes- oder bundespolitisch Erfahrungen gesammelt zu haben, um europapolitisch zu agieren. Zweitens kann es nichts schaden, wenn auch “normale” Menschen, die sich nicht verbiegen lassen für irgendwelche faulen Kompromisse, im Europaparlament zu finden sind. Drittens ist Linden ein Schmelztigel verschiedenster Nationalitäten Europas und weltweit. Schon diesen in der EU eine Stimme zu geben, ist Antrieb genug.
Im Europaparlament wird Politik für ganz Europa gemacht. Im Bezirksrat ging es um den Spielplatz in der Straße XYZ und den fehlenden Sand im Sandkasten. Da konnte man mal schnell hinfahren und sich selbst überzeugen. Im Europaparlament sind die Themen aber nicht unbedingt mit einem Ortstermin zu klären.
Reizt Dich dieser Unterschied?
Einerseits ist es natürlich reizvoll, das Eine oder Andere der Welt zu sehen, was ich noch nicht kenne. Aber warum sollte man das als Pirat im Rahmen seines Mandats eigentlich tun? Wir sind eine internationale Bewegung und zumindest in allen Ländern Europas gibt es Piraten, die sich sicher freuen, den piratigen Abgeordneten von der Situation bei sich vor Ort berichten zu können.
Europas Einfluss auf die Politik steigt. Auch in Deutschland ist das zu merken. So versucht die CDU z.B. Gesetze, die in Deutschland nicht durchgehen würden, über die EU zu realisieren.
Welche Rolle spielt Europa für Deutschland nach Deiner Ansicht?
Anders als die aktuelle Bundesregierung sollte sie alles tun, um die Bürger:innenrechte zu schützen. Insbesondere dann, wenn es auf europäischer Ebene in eine Richtung geht, die in Deutschland nicht mehrheitsfähig ist. Sich als Bundesregierung dann zu verstecken und mit dem Finger auf Europa zu zeigen, ist wenig sinnvoll. Das sorgt für Verdruss gegenüber Parlament und Kommission. Und das wiederum sorgt für ein Erstarken der politischen Ränder, denen Europa ohnehin ein Dorn im Auge ist. So etwas kann eigentlich niemand wollen.
In der Politik muss man auch zusammenarbeiten können.
Mit welchen anderen Parteien, sei es kommunal oder europaweit, hast Du politisch die größten Gemeinsamkeiten?
Die aktuellen Piraten im Europaparlament haben sich einer der Grünen Fraktionen angeschlossen. Das wäre wahrscheinlich auch in der nächsten Legislatur eine akzeptable Möglichkeit. Allein schon, um den Grünen auch dort klarzumachen, dass Orange das neue Grün ist. Dass das nicht wirklich falsch ist, hat übrigens gestern auf dem CSD in Hannover auch jemand vom Stand der Grünen Jugend bestätigt, die auf den entsprechenden Sticker aufmerksam wurde.
Unabhängig davon bin ich ein Verfechter der themenpolitischen Zusammenarbeit. Die Schnittmengen sind auf europäischer Ebene in manchen Bereichen wesentlich größer, als auf Bundes- oder Landesebene. Es muss also bei jeder Zusammenarbeit sichergestellt sein, dass das nicht ausschließt, auch mit anderen Parteien Themen zu behandeln, wenn sie dem piratigen Programm und Anspruch entsprechen.
Auch zur Europawahl muss Wahlkampf geführt werden.
Mit welchen Themen müssen wir unbedingt Wahlkampf machen?
Mein Steckenpferd ist ja die Transparenz in der politischen Entscheidungsfindung. Da ist man im EU-Parlament zwar wesentlich weiter, als in der EU-Kommission oder hier auf nationaler oder Landesebene. Aber dennoch ist da noch viel Luft nach oben. Fehlende Transparenz ist in meinen Augen auch der Hauptgrund für Politik oder besser gesagt Politikerverdrossenheit. Wenn wir es schaffen, herauszustellen, dass wir diejenigen sind, die zumindest versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen, kann das durchaus ergebnisförderlich sein.
Die Klimakatastrophe ist das wahrscheinlich alles beherrschende Thema der nächsten Jahrzehnte.
Kann das Europaparlament einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakatastrophe leisten?
Du hast ja schon darauf hingewiesen, dass vieles, was in den Nationalstaaten Europas umgesetzt werden muss, aus Brüssel kommt. Von daher, ja, wenn dort die notwendigen Vorgaben gemacht werden, dann kann das sogar ein wertvoller Beitrag sein. Zu beachten ist dabei, dass das Parlament leider zumeist nur eine Art beratender Funktion hat, und Richtlinienvorschläge der Kommission in die eine oder andere Richtung verändern kann.
Gibt es ein Thema, das Dir besonders am Herzen liegt?
Transparenz
Gibt es Thema, das wir vermeiden sollten?
Nein, ich wüsste auch nicht, warum. Wir sind eine Partei, die zu dem steht, was als überwiegender Wille der Partei demokratisch festgelegt wurde. Daher können wir auch jegliches politische Feld “bespielen”. Und sollten es auch tun. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die Programme lesen, weit mehrheitlich einen Themenbereich haben, der sie besonders interessiert. Wenn wir dazu etwas sagen, was die Erwartungen trifft, dann haben wir eine Chance, gewählt zu werden.
Für die Europawahl wurde das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt.
Wie können wir speziell die Jugend davon überzeugen, die Piratenpartei zu wählen?
Wir müssen klarmachen, warum es gerade für die Jugend wichtig ist, Piraten zu wählen. Denn wir haben mit der Forderung nach dem europaweiten bedingungslosen Grundeinkommen einerseits für die soziale Frage, aber auch mit unseren klimapolitischen Ansprüchen für die Frage nach der Erhaltung der Lebensgrundlagen die Konzepte, die für genau diese Generation wichtig werden.
Welchen Listenplatz strebst Du an?
2-5 wäre super, aber ich nehme auch alles Spätere. Denn dann kann ich auch meine persönlichen Plakate wieder nutzen. Ein gewisser Bekanntheitsgrad der Kandidierenden vor Ort kann durchaus hilfreich sein.
Das Interview wurde offline geführt. Vielen Dank für das Interview an Thomas Ganskow.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.